100.000 Jobs fallen weg: Der Niedergang der deutschen Industrie beschleunigt sich dramatisch

vor etwa 18 Stunden

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Der Erfolg der deutschen Wirtschaft beruhte seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Wesentlichen auf der präzisen Umsetzung technologischer Kenntnisse in Geschäftsmodelle, die vor allem in den Ingenieursdisziplinen wie dem Maschinenbau oder der Elektrotechnik und dem Automobilbau globale Standards definierten. Im koordinierten Zusammenspiel verantwortlichen Unternehmertums und einer rationalen Politik, die für offene Märkte und den Zugang zu verlässlicher und günstiger Energie sorgte, gedieh die unschlagbare Trademark „Made in Germany“ über Jahrzehnte zur internationalen Benchmark in den Schlüsselsektoren der Ökonomie mit hoher Wertschöpfung.

Hat sich Deutschland wirtschaftlich zu Tode gesiegt? Macht Erfolg so satt, dass man die Werte über Bord wirft, die den Erfolg brachten? Die harten wirtschaftlichen Fakten scheinen die Vermutung zu bestätigen. Seit 2017 ist die Produktivität der deutschen Wirtschaft, das wichtigste ökonomische Maß zur Richtungsbestimmung der Gesamtökonomie, nicht mehr gewachsen. Wir verbessern uns nicht mehr. In ihrer jüngsten Standortanalyse liefert die Wirtschaftsberatung EY konkretes Zahlenwerk in ihrem Industriebarometer zum Niedergang der deutschen Industrie.

Gleich zu Beginn der Schock: In nur einem Jahr war die deutsche Industrie gezwungen, 100.000 Jobs zu streichen. Dabei handelt es sich um gut bezahlte Stellen, was auch den Fiskus treffen dürfte, wenn das Steueraufkommen im Zuge der Rezession bald schrumpft. Allein die Automobilindustrie trennte sich in diesem Zeitraum von sechs Prozent, oder 45.400 ihrer Mitarbeiter – es hallen noch die angekündigten Werkschließungen von VW und die forcierten Einsparbemühungen der Konkurrenz von BMW und Mercedes nach: wir sind noch lange nicht in der Talsohle angelangt!

Heute arbeiten nur noch 734.000 Menschen in der deutschen Automobilwirtschaft. Für das Herzstück der Industrie sieht es düster aus, ein beispielloser Aderlass droht, die Firmen können angesichts der Energiekrise und politisch weltfremder Regulierungsarbeit aus Brüssel auf dem Weltmarkt nicht mehr mithalten. Vor allem chinesische Produzenten wie BYD stoßen in die aufreißenden Marktlücken vor, die deutsche Anbieter wie offene Scheunentore präsentieren.

Die Experten von EY werden konkret und präsentieren aktuelle Arbeitsmarktzahlen des Statistischen Bundesamts: Demnach wurden seit 2019 im Verarbeitenden Gewerbe Deutschlands 217.000 Stellen abgebaut, ein Minus von 3,8 Prozent. Auch der Maschinenbau verzeichnete laut EY einen Rückgang von 2,5 Prozent bei den Beschäftigtenzahlen. Im Metallsektor wurden 18.700 Stellen gestrichen – ein Minus von 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahl der Beschäftigten in der Chemieindustrie sank um 1,6 Prozent. „Die Verluste sind branchenübergreifend, aber besonders dramatisch in den Schlüsselindustrien unseres Landes“, so Jan Brorhilker, Managing Partner bei EY Deutschland.

Dass der Industrieumsatz in Deutschland im ersten Quartal nur noch um 0,2 Prozent gesunken sei, bedeute nicht, dass die Krise bald überwunden werde, so Brorhilker: „Das erste Quartal sagt wenig über den weiteren Jahresverlauf aus. Zum einen gab es im US-Geschäft Vorzieheffekte – also vorgezogene Exporte, um den angekündigten hohen Einfuhrzöllen zu entgehen. Dieses Mehrgeschäft wird im zweiten Quartal fehlen. Zum anderen bringt der US-chinesische Handelskonflikt auch Kollateralschäden für deutsche Unternehmen mit sich.“

Mit Blick auf die Ursachen für diesen dramatischen Kollaps der Industriesektoren bestätigt die EY-Studie, was eigentlich längst bekannt ist: Es handelt sich fast ausschließlich um hausgemachte Probleme. Im Kern sind es die hohen Energie- und Personalkosten sowie die Überregulierung, die den Betrieben die Luft nehmen. Hinzu kommt die schwache Nachfrage in Europa, das grosso modo im stagflatorischen Umfeld feststeckt. Die aggressive Konkurrenz aus China und Unsicherheit auf dem US-Markt runden das insgesamt trübe Umfeld für die Unternehmen ab.

Die EY-Ökonomen bestätigen auch die wachsende Tendenz, Produktion ins Ausland zu verlagern. Dass in diesem Moment der offensichtlichen Schwäche die USA mit sinkenden Abgaben und Abbau der Regulierung gerade im Bereich der industriellen Erzeugung und Grundstoffwirtschaft in die Offensive gehen und ihren Standort für internationales Kapital, Firmengründer und eben auch deutsche Industriebetriebe attraktiv machen, wird Abwanderungswilligen neue Argumente an die Hand geben.

Besonders dramatisch ist die Lage für den Mittelstand. Während Großkonzerne in vielen Fällen über Reserven verfügen, geraten kleine und mittlere Unternehmen zunehmend in Existenznot. Der Arbeitsplatzabbau trifft nicht nur die Industriearbeiter, sondern die gesamte Wertschöpfungskette – vom Zulieferer bis zum Handwerk. Laut EY wurden 72 Prozent der gestrichenen Stellen im Mittelstand abgebaut, was zeigt, dass der ökonomische Stoßdämpfer des Rückgrats der deutschen Wirtschaft abgenutzt ist.

Die Bundesregierung reagiert – wenn überhaupt – mit Symbolpolitik. Statt die Fesseln der Bürokratie zu lösen, hagelt es neue Auflagen und Regulierungen. Die Diskussion über eine „Offset-Regel“ zur Abwehr von US-Zöllen ist ein weiteres Beispiel für Aktionismus ohne Substanz. Die eigentlichen Probleme – zu hohe Steuern, fehlende Planungssicherheit, überbordende Regulierung – bleiben ungelöst.

Sollte der Trend anhalten, wird Deutschland in die Phase der beschleunigten Deindustrialisierung eintreten. Dann sind die Pfade, die zu besseren Standorten führen, ausgebaut und sichtbar für jeden, der Kapital mobilisieren kann. „Die Unternehmen stehen gewaltig unter Druck“, warnt Brorhilker und rechnet mit weiteren Stellenabbau in der Industrie. 70.000 Jobs könnten noch in diesem Jahr gestrichen werden. Besonders betroffen wären der Maschinen- und Fahrzeugbau, wo die Investitionsbereitschaft rapide schwinde. Brorhilker übt sich zum Schluss in Zweckoptimismus: „Der Industriestandort Deutschland wurde schon oft totgesagt – und hat sich immer wieder dank einer sehr starken Substanz als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen.“

Das ist sicherlich richtig. Doch war die Politik in der Vergangenheit stets in der Lage, einen Konsens zu finden, der ideologische Borniertheit überwand und das Wohl und Wehe der deutschen Wirtschaft ins Zentrum politischer Entscheidungsprozesse rückte. Diese Tage sind definitiv vorüber.

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