
Im November 2023 stach ein syrischer Jugendlicher 14-mal auf einen Familienvater ein und verletzte ihn schwer. Das Opfer leidet noch heute, während der Täter, der auch noch seine Familie bedroht, bis heute auf freiem Fuß ist. Eine Geschichte aus Sachsen-Anhalt, die kein Einzelfall sein dürfte.
Anderthalb Jahre ist es her, da wurde das Leben einer Familie aus Merseburg auf den Kopf gestellt. Der Familienvater Sami A. (Name geändert, wie auch die folgenden), tunesischer Herkunft, wird auf der Straße des Friedens vom Freund der Tochter attackiert. Mahmoud zückt ein Messer, sticht von oben bis unten auf den Mann ein, 14-mal, auf, Schulterblatt, Ellbogen, Oberkörper, Oberarme, fügt Sami eine 15 cm lange klaffende Wunde im Oberschenkel zu, schleift den vielen Wunden blutenden Familienvater noch zehn Meter über die Straße.
Noch heute leidet er an chronischen Schmerzen, schläft maximal vier Stunden pro Nacht, wacht immer wieder auf, weil ihn die Erinnerungen an die Tat quälen, die Tochter in psychologischer Behandlung ist. Seine Lungenfunktion liegt noch bei 60 Prozent, der kleine Finger der linken Hand ist steif geblieben („Fraktur des Kleinfingerendgliedes multifragmentär“ heißt es im Arztbericht). Und das Schlimmste: Verdacht auf Posttraumatische Belastungsstörung. Ob er die jemals wieder loswird? Sami A. war auch mal ein sportlicher Mann, jetzt geht nichts mehr.
Diese Verletzungen hat der Familienvater davongetragen.
Der Täter lebte unter seinem Dach. Ein Flüchtling im Teenager-Alter, angeblich aus Syrien, aber ursprünglich mit seiner Familie aus Libyen eingereist. Er ist bei der Familie im südlichen Saalekreis aufgenommen worden, die sozial engagierte Frau von Sami A. hat sogar die Vormundschaft für Mahmoud übernommen. Und es bereut, denn der Teenager, angeblich 2008 geboren, sorgte mit seiner aggressiven Ader des Öfteren für Probleme. Auch an der Schule, hin und wieder war sogar Gewalt im Spiel, sagt Samis Frau Angelika. Doch der Junge, damals – jedenfalls offiziell – erst 14, blieb, obwohl schon „polizeibekannt“, verschont.
Er war auch der erste Freund der Tochter Nadine. Sie wurde emotional stark abhängig von ihm, zog sich zurück, hatte kaum noch Kontakt mit Freunden, was die Eltern mit Sorge beobachteten. Das Mädchen brach das Sportinternat ab und begann auch, lange Kleidung zu tragen, offenbar auf Mahmouds Bestreben hin. Es gab häufig Streit zwischen den beiden, Mahmouds mangelnde Impulskontrolle brach sich immer wieder Bahn. Eifersucht war wohl im Spiel. Nadines Eltern sahen das alles mit Missfallen und teilten das dem Jungen, dessen manipulatives Verhalten sie besorgte, schließlich auch mit. Sie wollten nichts als Normalität.
An jenem 2. November 2023, als der junge Syrer auf Sami A. einstach, hatte der Familienvater draußen eine Diskussion mit seiner Tochter. Mahmoud mischte sich ein, griff dann unvermittelt den Vater an. Ein „Blackout“, wie es später hieß. Gerade mal eine Nacht verbrachte der junge Syrer in Polizeigewahrsam.
Aus dem Leben der Merseburger Familie verschwand er nicht. Im Oktober 2024 besuchte Nadine eine Disco in Braunsbedra. Dort tauchte Mahmoud plötzlich auf, beschimpfte sie als „Hure“ und „Schlampe“ und versuchte sie an den Haaren herauszuzerren. Draußen drohte er in Gegenwart von Nadines Mutter, nach dem Vater auch die Tochter „abzustechen“. Danach wurde ein Kontaktverbot ausgesprochen, der Syrer durfte sich dem Mädchen nicht mehr nähern. Dennoch lebt sie seither in ständiger Angst, geht selten raus, und wenn, dann in anderen Orten, die Mutter fährt sie hin und holt sie ab.
Die Familie sieht sich vom Staat im Stich gelassen. 15 Monate gingen ins Land, bis der Fall endlich vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Merseburg landete. Die Verhandlung dauerte jedoch nur 20 Minuten: Das Gericht ging nicht von „schwerer Körperverletzung“ aus (ursprünglicher Tatvorwurf), sondern sah Hinweise auf versuchten Totschlag, von dem der Täter allerdings „freiwillig Abstand genommen“ habe. Wegen der Bedrohung in der Disco wird auch noch Anklage erhoben. Das Amtsgericht Merseburg hat die Sache dem Landgericht Halle zur Prüfung einer Übernahme vorgelegt – wegen des für wahrscheinlich gehaltenen Tötungsvorsatzes des Angeklagten.
Für den Messer-Fall ist nun das Landgericht Halle zuständig.Aber wird es zu einer „beschleunigten Terminierung“, überhaupt zu einer Verurteilung kommen? Mutter Angelika A. hat da ihre Zweifel. Sie befürchtet eher, dass der Junge „abhaut“, sich also vorher ins Ausland absetzt. Oder, noch schlimmer, seine massiven Drohungen in die Tat umsetzen könnte. Die dauerhafte körperliche und psychische Belastung ihres Mannes, die Sorge um die Tochter und die ständige Angst vor Mahmoud mischen sich mit Frust über den Staat, der den Täter noch immer frei herumlaufen lässt.
Denn: Der Junge hat noch nicht einen Tag in Untersuchungshaft verbracht. Diese diene laut eines Sprechers der Staatsanwaltschaft Halle „nicht der Bestrafung einer Straftat, sondern ausschließlich der Sicherung des Strafverfahrens“. Nur wenn neben dem dringenden Tatverdacht noch Flucht- und Wiederholungsgefahr bestehe, könne U-Haft verhängt werden. Und bei Jugendlichen gälten noch strengere Maßstäbe.So lebt Mahmoud inzwischen in einer eigenen Wohnung, die, wie seine Erstausstattung, vom Staat bezahlt wird, während die von ihm terrorisierte Familie A. umgezogen und in Therapie ist und in ständiger Angst vor dem Syrer lebt – und vor dessen Familie, die ebenfalls wiederholt Drohungen ausgestoßen hat, auch in sozialen Netzwerken.
Ist Mahmoud überhaupt Syrer und nicht Libyer? Das ist ebenso wenig sicher wie sein Alter, das die Mutter der Merseburger Familie eher auf mindestens 20 schätzt. Festgestellt wurde das Alter des Jungen nie, Angelika A. hegt den Verdacht, dass die Familie des Täters sein Geburtsdatum und das eines seiner Brüder getauscht hat.
Sie selbst bedauert, nicht den Mut gehabt zu haben, dem Jugendamt zu sagen, dass sie mit ihrer Vormundschaft überfordert war. Sie hatte aus einem guten Glauben an Menschlichkeit gehandelt, ist mit bosnischem Migrationshintergrund als Muslimin aufgewachsen, lebt ihre Religion aber privat. Dass ihre Hilfsbereitschaft derartige Folgen hatte, nagt an ihr.
„Es fühlt sich alles so unfair an“, sagt Angelika A., „unser Leben ist komplett auf den Kopf gestellt und er läuft frei rum.“ Was, wenn der unberechenbare Syrer plötzlich vor der Tür steht? Die Unsicherheit nagt an der Familie. Und der Frust. Dass der Staat auch ganz anders kann, hat sie selbst erlebt: Sami hat seit 15 Jahren den Führerschein, damals in Tunesien gemacht, aber versäumt, ihn umschreiben zu lassen, eine neue Theorie- und Praxisprüfung zu machen.
Und geriet, das war noch ein paar Monate vor dem Messerangriff, in eine Polizeikontrolle. Im September 2023 kam die Quittung: 2600 Euro Geldstrafe, monatelanges Fahrverbot. Bei einem Einwanderer, der sich nie etwas zuschulden kommen ließ, der keinen Tag seines Lebens staatliche Leistungen in Anspruch genommen hat, gab’s kein Pardon.
2024 wurden in Deutschland 15.741 Messerangriffe verübt.
Jetzt kann der Staat „nichts machen“, Mahmoud ist auf freiem Fuß und die Merseburger Familie lebt in ständiger Unsicherheit. Es habe lange gedauert, bis sie überhaupt Hilfe angeboten bekommen habe, sagt die Mutter, erst im Juli 2024 habe sich eine Sozialarbeiterin von der Justiz gemeldet. Der Täter hingegen werde mit allem versorgt. In der Verhandlung am Amtsgericht Merseburg im Februar hat er die Familie hochmütig angegrinst.
15.741 Messerangriffe hat es im vergangenen Jahr in Deutschland gegeben, wer weiß schon, wie viele Opfer so wie Sami A. vermutlich lebenslang an den Folgen leiden. „Messer haben in der Öffentlichkeit nichts zu suchen. Und es gibt niemals eine Rechtfertigung für Gewalt. Gegen Gewalttäter muss der Rechtsstaat hart vorgehen. Sie müssen die Konsequenzen ihres Handelns schnell und deutlich spüren.“, hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser dazu gesagt. Worte, die in den Ohren der Messer-Opfer wie Hohn klingen müssen.
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