
Immer, wenn es bei ProSieben um Politik geht, wird es schlimm. Und peinlich. Es war aber noch nie so schlimm und so peinlich wie bei der 15-Minuten-Aktion von Joko und Klaas, bei der Scholz, Habeck und Merz sich und dem Land ein Wahlkampfversprechen gaben. Unter dem Motto „Politik und Anstand“ waren die scheinheiligsten 15 Minuten zu bestaunen, die je im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurden.
Von den 15 Minuten waren die Minuten von Schwurbelkönig Robert Habeck der absolute Höhepunkt. Da saß er auf seinem minimalistischen Stuhl, der wahrscheinlich bescheiden wirken sollte, in dunkler Studioatmosphäre, die wohl nachdenklich machen sollte, und redete noch betroffener als sonst.
Robert Habeck auf dem einsamen Stuhl im ProSieben-Studio
Olaf Scholz und Friedrich Merz würden wohl andere Kanzler werden als er, aber er erkenne an, dass sie sich ebenso „dem Wohl des Landes“ verpflichtet fühlen. Er wolle einen Wahlkampf „voller Respekt“ führen, nach dem sich jeder noch „die Hand reichen“ könne. Man müsse „bündnisfähig“ bleiben. Diesen Zusammenschluss der „demokratischen Parteien“ will er all jenen entgegensetzen, die zu „Desinformationen“ und „schamlosen Lügen“ greifen. Er beschreibt sie weitergehend: „Sie wollen unsere Gesellschaft kirre machen, Angst, Misstrauen, Spaltung herbeiführen.“
Jeder Kandidat von CDU, SPD und Grünen durfte einmal auf dem Stuhl Platz nehmen.
Das finde ich hochinteressant. Robert Habeck möchte also im Wahlkampf respektvoll mit seinen Wettbewerbern umgehen, sich von Desinformationen sowie Angstmache fern halten und immer betonen, dass auch ein Friedrich Merz sich dem Wohle des Landes verpflichtet fühlt. Es kann nur zwei Optionen geben. Entweder Robert Habeck wurde von Aliens entführt, die sein Gehirn ausgewechselt haben oder Robert Habeck lügt genauso schamlos, wie er es anderen in der Sendung vorwarf. Da eine Alienentführung doch relativ unwahrscheinlich ist, behaupte ich: Der grüne Kanzlerkandidat ist der scheinheiligste Deutsche.
Habeck, Merz und Scholz werben für „Anstand und Respekt“.
Denn noch im Mai 2024 sprach der angeblich so besorgte Demokratieprediger ganz anders. Nach den Überschwemmungen im Saarland und in Rheinland-Pfalz griff er auf einem grünen Parteitag das „Welt geht morgen nicht unter“-Zitat von Friedrich Merz auf. Empört brüllte er in sein Mikrofon: „Ja, sag das doch den Leuten im Saarland, die abgesoffen sind. Für die ist die Welt untergegangen, buchstäblich. Was für ein Hohn. Was für ein Zynismus.“ Danach behauptete er, dass die Dichte und Häufigkeit von Hochwasser durch den Klimawandel zunehmen würde.
Lesen Sie auch die Analyse zu den Auftritten von meinem Kollegen Alexander Kissler: Wenn drei Kanzlerkandidaten sich verbrüdern, ist der Wähler der Dumme
Die Natur schlage zurück, bald würden sich nicht mehr die Menschen rechtfertigen müssen, die Klimaschutz wollen. „Ich glaube, die Zeit wird sehr schnell da sein, wo sich die dafür rechtfertigen müssen, die keinen Klimaschutz haben wollten. Weil sie damit in Kauf nehmen, dass Menschen ihr Haus und Hof, ihre Gesundheit und im schlimmsten Fall ihr Leben verlieren.“
Mai 2024: Friedrich Merz (CDU) und Robert Habeck (Grüne) begrüßten sich freundlich.
In nicht einmal zwei Minuten betrieb Robert Habeck im Mai alles, was er bei ProSieben den Feinden der Demokratie vorwarf. Er tat so, als interessiere sich Friedrich Merz nicht für die Opfer von Hochwasserkatastrophen, als hätte er nur Hohn und Spott für sie übrig. Noch viel schlimmer, er insinuierte, dass die Klimapolitik der CDU Menschenwohl und sogar Menschenleben gefährde.
Diesem Mann soll ich plötzlich glauben, dass er glaubt, Merz fühle sich dem Wohle des Landes verpflichtet? Es gibt keinen schlimmeren politischen Vorwurf, keine größere Infragestellung der charakterlichen Eignung eines Menschen als die Behauptung, dessen Politik führe zu Toten und das wäre ihm schnurzpiepegal.
Aber nicht nur der persönliche Angriff auf Friedrich Merz entlarvt den grünen Moralprediger als scheinheilig. Er selbst verbreitet in dem Ausschnitt lupenreine Desinformation, will die Gesellschaft „kirre machen“ und Angst herbeiführen. Seine Erzählung, dass Hochwasser durch den Klimawandel zunehme, entbehrt jeder Faktengrundlage. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg für diesen Zusammenhang und das schreibe nicht ich, sondern der IPCC, das wichtigste wissenschaftliche Klimagremium der Welt. „Im Allgemeinen besteht wenig Vertrauen darin, Veränderungen der Wahrscheinlichkeit oder Magnitude von Hochwasserereignissen dem menschlichen Einfluss zuzuschreiben, da es nur eine begrenzte Anzahl an Studien gibt, die Ergebnisse dieser Studien unterschiedlich sind und große Modellunsicherheiten bestehen.“
Kurz: Robert Habeck erzählt die Unwahrheit und nutzt sie, um der Gesellschaft nicht nur unbegründete Angst vor dem Klimawandel zu machen, sondern politischen Gegnern die Verantwortung für Hochwasser in die Schuhe zu schieben.
Olaf Scholz auf dem ProSieben-Stuhl
Auch Habecks Personalentscheidung für den Wahlkampf zeigt, wie verlogen er agiert. Sein Wahlkampfmanager ist nämlich Andreas Audretsch, ein radikaler Merzhasser. Nur ein Beispiel aus etlichen: Am 4. Dezember sagte er bei ntv: „Wer steigende Preise möchte, der wählt am besten die Union. Wer ein bezahlbares Leben mit bezahlbarem Strom und Mieten möchte, der wählt besser die Grünen.“ Das klingt eher nicht so, als nähmen die Grünen an, dass Friedrich Merz gute Absichten hat.
Man kann nicht dem politischen Gegner vorwerfen, er verursache Hochwasser und mache das Leben für alle schlechter und teurer und gleichzeitig bei so einer ProSieben-Kuschel-Show komplett gegenteilig reden.
Wie soll ich angesichts solcher Ungeheuerlichkeiten nicht annehmen, dass Habeck Friedrich Merz eigentlich verachtet? Wie soll ich nicht annehmen, dass er Merz in Wahrheit nur eine Falle gestellt hat, um einen braven Wahlkampf der Union zu garantieren, der bürgerliche Wähler verschreckt? Kann ich nicht annehmen, denn genau das waren diese 15 Minuten in Wahrheit: eine Falle. Die Grünen spielen die Heiligen, betreiben aber lediglich brutale Machtpolitik, indem sie die CDU am Nasenring durch die Manege führen.
Merz legitimiert Habeck weiterhin als potenziellen Partner
Durch das Mitspielen von Friedrich Merz hat er höchstpersönlich den diffamierenden, verlogenen, spaltenden und faktenfernen Wahlkampf der Grünen legitimiert.
Man fragt sich, wer diesen Mann berät. Wie er so naiv sein kann, bei dem Schmierentheater mitzumachen.
Am Ende bleibt neben Fassungslosigkeit nur die Frage, wie andere Demokratien eigentlich ohne so einen gefühligen Sonntagsreden-Quatsch überleben können. Wie beispielsweise die USA seit hunderten Jahren mit brutal harten Wahlkämpfen ein stabiles und erfolgreiches Land sind, während Deutschland sich in der Zeit eher nicht mit Ruhm bekleckert hat. Vielleicht ist die Antwort auf eine mit der etablierten Politik immer unzufriedeneren Bevölkerung nicht das Zusammenrücken bis zur Unkenntlichkeit, sondern die heftige Auseinandersetzung und der klare Unterschied. Vielleicht sind derartige Bullerbü-Initiativen von Joko und Klaas eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Vielleicht braucht Deutschland einfach weniger Habeck-Heuchelei. Vielleicht müssen Konservative und Liberale das endlich mal kapieren, anstatt ein Spiel mitzuspielen, das sie nur verlieren können.
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