
Am Jahrestag vom bestialischen und tödlichen Angriff auf den Polizisten Rouven L. während einer Protestkundgebung in Mannheim, kommt ein bitterer wie trauriger Befund, der sprachlos macht, wäre er nicht längst Teil des neuen deutschen Alltags. Die Zahl der Straftaten gegen Bundespolizisten und Bahnmitarbeiter steigt dramatisch.
Was früher Ausnahmen waren, ist heute neue Normalität. Die aktuelle Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage im Bundestag zeigt ein erschütterndes Bild: 10.726 Straftaten gegen Bundespolizisten im Jahr 2024 – fast 3.000 mehr als noch 2022. Für das laufende Jahr deutet alles auf einen neuen traurigen Höchststand hin: hochgerechnet 11.637 Übergriffe bei 3879 Straftaten in den ersten vier Monaten diesen Jahres. Auch gegen Bahnmitarbeiter nimmt die Gewalt immer weiter zu: 3.151 registrierte Taten im Jahr 2024, mit steigender Tendenz. Allein von Januar bis April: 1.244. Rechnet man das hoch, steuert man auf ca. 3.800 Fälle zu.
Diese Zahlen belegen nicht nur ein immer gravierenderes Sicherheitsproblem, sie dokumentieren einen kulturellen Dammbruch. Selbst der Linken-Politiker Dietmar Bartsch, dessen Partei sonst immer dabei ist wenn es um das Schönreden von Gewalt geht, konstatiert: Bahnmitarbeiter und Polizisten werden „immer mehr als Prügelknaben der Nation“ begriffen. Diese „inakzeptable“ Enthemmung ist mehr als ein statistischer Ausreißer, sie ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Verfalls, der nicht länger ignoriert werden darf.
Doch was tut die Politik? Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) inszeniert sich im Licht der Nebelkerzen, statt endlich einen längst überfälligen und klaren Plan vorzulegen. Symbolpolitik ersetzt Strategie. Dabei geht es hier nicht um irgendeine Gruppe, sondern um Menschen, die tagtäglich für Ordnung, Sicherheit und Infrastruktur sorgen und dabei inzwischen buchstäblich ihren Kopf und ihre Knochen hinhalten müssen.
Schon 2023 zeigte sich die Eskalation. Die Deutsche Bahn registrierte einen Anstieg der Angriffe um über 20 Prozent innerhalb eines Jahres. Sicherheitschef Hans-Hilmar Rischke sprach offen von einem „gesamtgesellschaftlichen Problem“. Und es war kein diffuses Bauchgefühl, sondern eine harte und traurige Tatsache – der öffentliche Raum ist dabei zunehmend zu entgleiten: auf Bahnhöfen, in Zügen, in Parks, auf Straßen. Und was macht die Politik? Verlässt sich auf technische Lösungen, Bodycams, Videoüberwachung, Gesichtserkennung für alle, statt endlich das Gewaltmonopol durchzusetzen.
Das ist die Realität in einem Land, in dem Ordnungskräfte und Angestellte im öffentlichen Dienst nicht mehr sicher sind. Es sind nicht mehr nur Polizisten, Feuerwehrleute oder Sanitäter, die zur Zielscheibe werden; auch Reinigungskräfte, Servicepersonal, Busfahrer und Schaffner sind betroffen. Was früher als Respekt vor Uniform und Amt selbstverständlich war, ist heute nur noch eine Fußnote. Das Vertrauen in staatliche Autorität erodiert und mit ihm die Stabilität des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Die Bahn reagierte – so gut es eben geht – mit Deeskalationstrainings für ihre von Angriffen bedrohten Mitarbeitern, Bodycams, mit privaten Sicherheitskräften. Doch ohne Rückhalt der Politik bleibt das ein Kampf mit stumpfen Waffen. Wenn selbst linke Oppositionspolitiker wie Bartsch mehr Konsequenz und „Wertschätzung“ fordern, während ein konservativer Innenminister mit Schweigen reagiert, dann ist klar: Der Wille zur Lösung ist noch immer nicht vorhanden.
Wer heute Bahn fährt, muss damit rechnen, dass das Zugpersonal oder auch man selbst das Ziel von Gewalt wird. Wer bei der Bundespolizei arbeitet, lebt mit der ständigen Bedrohung durch tätliche Angriffe. Der Staat hat sich bequem eingerichtet in einer Lethargie, die nur noch den nächsten Skandal verwaltet.
Es ist fünf nach zwölf. Es braucht klare gesetzliche Verschärfungen, Mindeststrafen für Angriffe auf Polizisten, Rettungssanitäter, Bahnmitarbeiter ebenso wie Busfahrer, einen massiven Ausbau des Schutzes im öffentlichen Raum – und vor allem: politische Rückendeckung. Bestehende Strafvorschriften müssen auch umgesetzt werden. Verharmlosung und Schönrednerei müssen durch ein klares Bekenntnis zu Recht und Ordnung ersetzt werden. Wer das Personal auf der Schiene und in Uniform allein lässt, verliert nicht nur öffentliche Ordnung, sondern seine moralische Autorität gleich mit. Bahnmitarbeiter und Polizisten sind keine Prügelknaben der Nation, sie sind ihre tragenden Säulen. Wer das nicht erkennt und in Form von zielgerichteter Handlung anerkennt, ist Teil des Problems.