2024: Kein gutes Jahr fürs Lebensrecht in Europa

vor 4 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

In der fünften Woche beginnt das Herz eines Kindes zu schlagen. In Norwegen darf eine Mutter ihr Kind bald bis zur 18. Woche abtreiben lassen. So beschloss es im Dezember das norwegische Parlament. In der 18. Woche kann das Kind lächeln, mit der Stirn runzeln, die Hände zu Fäusten ballen – und seine Fingerabdrücke entwickeln sich in dieser Zeit: Polizeiliche Ermittlungen würden hier also zu einem zweifelsfrei identifizierbaren Individuum führen; Abtreibungsgbefürworter wollen hingegen daran festhalten, dass es sich lediglich um „Gewebe“ handelt.

Bereits im Frühjahr hatte Frankreich ein Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert – eine Epoche machende Entscheidung, die die Weichen stellte: Zum Ende des Jahres 2024 nun wurde das Recht auf Leben europaweit in die Zange genommen, vom Lebensanfang und von seinem Ende her.

Eine fatale Entwicklung, die ein Schlaglicht wirft auf den Zustand der europäischen Gesellschaften. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde: Wer im eigenen Leben wenig Sinn erkennt, der steht auch dem Leben des anderen desinteressiert gegenüber. Wer den Sinn des Lebens einzig in Hedonismus und Egoismus zu finden meint, der muss geradezu zwangsläufig davon ausgehen, dass Menschen, die noch nicht oder nicht mehr hedonistisch und egoistisch agieren können, wertlos sein müssen.

So entsteht eine Kultur des Todes, die im Grunde einem kannibalistischen Sozialdarwinismus frönt: Wer gesund ist, wer sich durchsetzen kann, der darf leben. Wer es nicht mehr kann, ist dem guten Willen der Starken ausgeliefert. Beide Bewegungen, Ungeborene abzutreiben und Alte und Kranke in den Suizid zu treiben oder sogar, wie in den Niederlanden, in Belgien und Kanada, sie zu euthanasieren, verstärken einander gegenseitig, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene: Wer keine Familie gründet, oder sich seiner Nachkommen entledigt, bevor sie geboren werden, läuft eher Gefahr, im Alter isoliert und einsam zu sein, und sich selbst als wertlos und überflüssig zu empfinden, und folgerichtig sein Ableben beschleunigen zu wollen. Eine Gesellschaft, die zu wenig Kinder hervorbringt, kann sich Pflege und Versorgung der vielen Alten weder personell noch finanziell leisten, und wird dem Sparzwang folgend dazu übergehen, sich dieser Menschen zu entledigen, wo es nur geht.

Es ist eine von Resignation und Hoffnungslosigkeit geprägte Kultur, die nicht mehr dazu in der Lage ist, die Ressourcen, die in Hilfsbereitschaft, Aufopferung, Humanität und Zusammenhalt liegen, zu aktivieren, und eine Kultur zu schaffen, die Kinder annimmt, auch, wenn die Situation gerade nicht „ideal“ ist, und die Alte und Kranke nicht wegwirft, weil sie nichts mehr leisten und viel kosten.

Es ist befremdlich, dass das Interesse der Legislative wie auch der Bevölkerung an politischen Fragen, die existenzielle Lebensbereiche berühren, derart gering ist. Immerhin: Die deutsche Bräsigkeit verhindert vorerst deprimierende Entwicklungen wie in den Niederlanden oder Belgien, und eine weitere Verschlechterung der Situation für Schwangere in Not und Ungeborene. Doch das Zurückschrecken vor diesen Themen ist nichts anderes als eine Scheu, der um sich greifenden Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben etwas entgegenzusetzen – womöglich aus Furcht, sich eingestehen zu müssen, dass man nichts entgegenzusetzen hat. Vielleicht müsste man, wäre man ehrlich zu sich selbst, erkennen, dass wir nicht mehr über die ethischen, weltanschaulichen und psychischen Ressourcen verfügen, um die Sinnhaftigkeit des Lebens zu erkennen.

Dennoch wird eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Themen im nächsten Jahr nicht ausbleiben, gleich, welch unbequeme Wahrheiten sie zutage fördern mag. Es bleibt zu fragen, ob es sich nicht lohnen würde, sich auf die Seite des Lebens und des Menschen, auch des kleinen, leidenden und kranken Menschen, zu stellen. Die Gegenentwürfe einer solchen Haltung kennen wir bereits, nicht nur aus der Historie, sondern ganz aktuell aus unseren Nachbarländern. Der Versuch, eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen, die dem Leben an sich Sinnhaftigkeit zugesteht, und in der eine lebensbejahende und lebenswerte Gesellschaft angestrebt wird, steht hingegen noch aus.

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