
292.000 Menschen sind im vergangenen Jahr eingebürgert worden – ähnlich viele Personen leben in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Damit erhielten so viele Migranten wie noch nie zuvor den deutschen Pass. Das sind noch einmal 46 Prozent mehr als im Zuvor-Rekord-Jahr 2023, als bereits 200.000 Menschen eingebürgert worden sind.
NIUS warf einen tieferen Blick in die Einbürgerungszahlen und erklärt die Hintergründe und Besonderheiten der Einbürgerungswelle nach Deutschland.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lässt sich auf einer Einbürgerungsfeier im April im Kölner Rathaus mit einer Bürgerin fotografieren. Elf ausländische Bürger hatten auf der Einbürgerungsfeier die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Es ist für Politiker auf Bundes-, Landes- und auch auf kommunaler Ebene zum Standard geworden, die Einbürgerung neuer Staatsbürger zu bejubeln und die Feierlichkeiten als Foto-Bühne zu verwerten und besondere Integrationsleistungen hervorzuheben. „Nordrhein-Westfalen ist Einwanderungsland, unsere Geschichte ist geprägt von gelebter Vielfalt“, sagte etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei einer solchen Feier Ende 2023. Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte bei einer Einbürgerungsfeier im August 2024 in Bremen gesagt: „Ich bin sehr froh darüber, dass sich in unserem Land immer mehr Männer und Frauen mit Einwanderungsgeschichte für diesen Schritt entscheiden.“
So hat sich die Zahl der Einbürgerungen seit 2000 entwickelt.
Die Ampel-Regierung hatte das Einbürgerungsrecht dahingehend erleichtert, dass Ausländer nun schon nach fünf statt nach acht Jahren den deutschen Pass erhalten können, so sie denn für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen, gut Deutsch sprechen (Level B1), die freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen und nicht mit Straftaten auffällig geworden sind. Es ist Mitte 2024 in Kraft getreten.
Es gibt jedoch – gerade durch den massiven Anstieg an Einbürgerungen – Zweifel, ob tatsächlich in jedem Fall all diese Bedingungen auch tatsächlich erfüllt werden. Anlass gab etwa ein Treffen von Olaf Scholz mit der 93-jährigen SPD-Wählerin Fatma T., die Anfang dieses Jahres eingebürgert worden war. Die frisch eingebürgerte Deutsch-Türkin verstand nämlich augenscheinlich kein einziges Wort von Scholz' auf Deutsch vorgetragener Freude über ihre Einbürgerung. Jedes Wort musste ins Türkische übersetzt werden.
Zwar gelten für die Gastarbeitergeneration Ausnahmen bei den Einbürgerungsbedingungen, doch auch sie müssen sich laut Gesetz „ohne nennenswerte Probleme im Alltagsleben in deutscher Sprache mündlich verständigen“ können, um deutsche Staatsbürger zu werden.
Auf NIUS-Nachfrage konnte das Bundesinnenministerium keine Angaben machen, wie hoch der Anteil der erwerbsfähigen Eingebürgerten ist, der einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgeht. Auch über die Quote von Sprachzertifikaten konnte das Ministerium keine Auskunft geben: „Die Einbürgerungsstatistik, in der die Datenzulieferungen aller sechzehn Bundesländer (Inlands-) und des Bundesverwaltungsamtes (Auslandseinbürgerungen) berücksichtigt werden, enthält weder Auskünfte zu den finanziellen Verhältnissen der eingebürgerten Personen, noch zu deren Sprachkenntnissen“, teilte ein Sprecher mit.
Bei besonderer Integrationsleistung ist die Einbürgerung nach aktueller Rechtslage schon nach drei Jahren möglich.
Von der Opposition ist dies als „Turboeinbürgerung“ (Union) und „Verramschen des deutschen Passes“ (AfD) kritisiert und abgelehnt worden – und auch 52 Prozent der Deutschen hatten sich in einer Umfrage gegen die Ampel-Pläne ausgesprochen.
Auffällig ist: Nur sieben Prozent der Einbürgerungen 2024 – also jede fünfzehnte – erfolgte in Folge einer besonderen Integrationsleistung, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Bedeutet im Umkehrschluss: Das neue Ampel-Gesetz hat allen voran für die breite Masse der Einbürgerungswilligen die Frist von acht auf fünf Jahre verkürzt und somit den Ansturm auf die deutsche Staatsbürgerschaft befeuert.
Entsprechend kann die Ankündigung von CDU und CSU, die „Turbo-Einbürgerungen“, also die Drei-Jahres-Regel wieder abzuschaffen, auch kaum einen Effekt entfalten, wenn weit über 90 Prozent der Fälle trotzdem drei Jahre früher eingebürgert werden können, wie es im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot festgeschrieben ist.
Der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm hatte das neue Staatsangehörigkeitsrecht heftig kritisiert.
15 Jahre lang – von 2005 bis 2020 – pendelte die Zahl der Menschen, die einen deutschen Pass erhielten und eingebürgert wurden, Jahr für Jahr zwischen 100.000 und 120.000. Seither ist die Zahl nun auf das beinahe Dreifache angestiegen.
Hauptauslöser: Immer mehr der rund eine Million Syrer, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, werden eingebürgert. Allein in den vergangenen drei Jahren waren es insgesamt 207.000 Syrer, die eingebürgert worden sind und nun auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Auffällig dabei: Während Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, im Schnitt rund 12 Jahre in Deutschland verbracht haben, sind es bei Syrern im Mittel weniger als siebeneinhalb Jahre bis zur Einbürgerung, der geringste Wert aller Herkunftsnationen. In den vergangenen Jahren waren Syrer sogar nach noch kürzerer Aufenthaltsdauer eingebürgert worden (6,8 Jahre in 2023, 6,4 Jahre in 2022).
Auch bei Menschen aus anderen Asyl-Herkunftsstaaten ist die Zeitspanne zwischen Einreise und Einbürgerung vergleichsweise kurz: Die 13.545 Iraker, die 2024 eingebürgert worden sind, waren im Schnitt achteinhalb Jahre in Deutschland, die 10.100 eingebürgerten Afghanen knapp neun Jahre. Auch Somalier (8,6 Jahre), Iraner (8,4 Jahre), Staatenlose (8,4 Jahre) und Menschen mit ungeklärter Staatsbürgerschaft (8,1 Jahre) werden vergleichsweise schnell eingebürgert.
Tatsächlich haben 2024 auch 4130 Staatenlose und 1825 Menschen mit ungeklärter Staatsbürgerschaft den deutschen Pass erhalten, obwohl laut dem neuen Staatsangehörigkeitsgesetz der Ampel-Regierung eine gesetzliche Bedingung für die Einbürgerung lautet, dass ein Ausländer nur deutscher Staatsbürger werden kann „wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind“.
Auf NIUS-Nachfrage erklärte das zuständige Bundesinnenministerium dazu: „Die Staatsangehörigkeit einer Person ist geklärt, wenn eine bestimmte Staatsangehörigkeit bzw. bestimmte Staatsangehörigkeiten oder die Staatenlosigkeit festgestellt wurde. Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit können nur nach Artikel 116 Abs. 2 GG und § 15 StAG eingebürgert werden, da eine geklärte Staatsangehörigkeit bei diesen Einbürgerungsgrundlagen tatbestandlich nicht vorausgesetzt wird.“
Artikel 116 Absatz 2 des Grundgesetzes regelt, dass ehemalige Deutsche, deren Staatsbürgerschaft während der NS-Zeit aus „politischen, rassischen oder religiösen Gründen“ entzogen worden ist, wieder einzubürgern sind, wenn sie das wollen. Gleiches gilt für ihre Nachkommen.
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