
Die Dokumentation über Verfolgung von Online-Straftaten im Bereich „Hass und Hetze“, die über die bekannte Marke „60 Minutes“ gerade Millionen Menschen weltweit erreicht, zeigt Deutschland, wie es ist: Eine große Minderheit der Bevölkerung und eine große Mehrheit der Wähler-Repräsentanten in Union, SPD, Grünen, FDP und Linken liebt die Gesinnungsjustiz. Deutsche Staatsanwälte für Internetkriminalität werden interviewt, lachen fröhlich über das Erstaunen der Menschen, wenn man ihnen nach einer morgendlichen Hausdurchsuchung wegen eines rechtswidrigen Posts im Internet Laptop und Telefon konfisziert; die Chefin der regierungsfinanzierten Organisation „HateAid“ erklärt den Amerikanern, warum Redefreiheit keine völlige Redefreiheit sein kann, weil sonst ja „unendliche Freiheit“ von Wenigen zur Einschüchterung aller anderen missbraucht werden könne.
Gelächter bei den Staatsanwälten Dr. Matthäus Fink, Svenja Meininghaus und Frank-Michael Laue.
Und eine ultra-wertschätzende, verständnisvoll-freundliche Sharyn Alfonsi erklärt ihren Zuschauern das Geschehen als den durchaus ehrenwerten Versuch, „etwas deutsche Ordnung“ ins Internet zu bringen – wobei sie anklingen lässt, dass dies ja ein immenser Aufwand mit geringem Ertrag sei, der in seinen Praktiken an die Geheimpolizeien dunkler Perioden Deutschlands erinnere. Im Ganzen blickt die Dokumentation mit Erstaunen, aber nicht unfreundlich auf die deutschen Verhältnisse. Das hat Tradition; früher erschienen in dieser Reihe auch bewundernde Episoden, etwa über das humane deutsche Gefängniswesen.
Die Aufregung über die Dokumentation, die von kritischen Geistern als skandalöse Offenbarung des deutschen Zensurunwesens negativ abgefeiert wird, ist mir zu flach. Auch die Reaktion von US-Vizepräsident Vance, es handle sich hier um „Wahnsinn, dem jeder Widerstand leisten müsse“, trifft die Sache nur halb.
Nein. Das ist keine Blackmirror-Folge. Das ist echt. Wenn US-Journalisten die deutsche Justiz fragen, sagen die: „It can be a Crime to call anybody a pimmel“ pic.twitter.com/JcxnEutrWF
Ja, Widerstand ist angebracht, aber nicht, weil es sich hier um „Wahnsinn“ handelte. Es gibt etwas Fundamentales zu kritisieren an der deutschen Internetjustiz – aber man trifft diesen feinen Punkt nicht, wenn man mit der Schrotflinte moralischer Entrüstung auf die Sache zielt und alle Beteiligten als Zensurknechte eines repressiven Regimes brandmarkt. Das Problem ist nicht, dass in extremer Weise zu Mord und Totschlag aufrufende Posts dort, wo sie im Internet rückverfolgbar sind, als Straftaten geahndet werden (wie die Beispiele im Film es zeigen). Auch Beleidigungen und Verleumdungen sind altbekannte Straftatbestände, die vor Gerichten verhandelt werden. Ist eine Verleumdung vor 400 „Followern“ meines Social-Media-Accounts weniger schädlich für den Verleumdeten als eine Verleumdung am Stammtisch mit 14 Freunden?
Aber was ist dann das Problem, das die Dokumentation sichtbar macht? Wir müssen grundsätzlich werden, um es zu erfassen, bevor wir wieder auf die „60 Minutes“-Episode zurückkommen: Immanuel Kant sagt, „die Freiheit der Menschen“ müsse Gott das Wichtigste auf der Welt sein, und die Regierung hätte diese vor allem anderen zu hüten. Hannah Arendt führt diese Tradition fort und stellt fest, dass „der Zweck des Staates die Freiheit“ sei. Wir unterwerfen uns nicht unter eine Staatsgewalt, weil wir hoffen, dass sie uns moralisch richtig erziehen und die Erlösung im Himmelreich garantieren kann. Wir unterwerfen uns Gesetzen, weil sie unsere Freiheit ermöglichen. Und wir haben Grundrechte, die Abwehrrechte gegen den Staat sind, damit dieser bestimmte Freiheiten immer respektieren muss.
Immanuel Kant sagt, „die Freiheit der Menschen“ müsse Gott das Wichtigste auf der Welt sein, und die Regierung hätte diese vor allem anderen zu hüten.
Deswegen wird ein Volk, das die Freiheit liebt – Menschen also, die das Spiel des Lebens nicht nur spielen, um nicht zu verlieren –, ein solches freiheitsliebendes Volk wird deshalb immer darauf achten, keine Gummigesetze über sich zu verhängen, die Regierungen zu ideologischer Willkür einladen.
Aber wir Deutschen sind kein freiheitsliebendes Volk, wir sind mehrheitlich ein sicherheitsorientiertes Volk von Konformisten. Man braucht uns nur irgendeine Moral hinhalten, und schon übererfüllen wir sie – um „das Klima zu retten“, „das Virus zu besiegen“, „die Ukraine zu befreien“ – und was der deutschen Rettungsprojekte mehr sind. Raymond Unger hat schlagend dargelegt, dass wir Deutsche in der Mehrheit psychologisch immer noch „Die Wiedergutmacher“ sind, die ihr Bestätigungsdefizit, das emotional abwesende Kriegseltern ihnen mitgegeben haben, durch übereifrigen Autoritätengehorsam zu kompensieren trachten. Und deshalb sind vielen Deutschen ideologische Gummigesetze, die den „Guten“ Willkür gegenüber den „Bösen“ erlauben, grundsympathisch. Diese Sympathie ahne ich hinter den fröhlich-sorglos-eifrigen Witzeleien der niedersächsischen Staatsanwälte in der „60 Minutes“-Episode.Viele Deutsche lieben die Idee, böse Gesinnungen zu verfolgen und zu bestrafen: „Hass ist keine Meinung!“, sondern eine böse Tat, so meint man. Das erscheint dem wiedergutmachenden Über-Gutmenschen nur konsequent. Den Beleg für diese These haben wir in der deutschen Gesetzgebung gegen „Hass und Hetze“, der zuletzt 2021 ein ganzes „Gesetzespaket“ gewidmet wurde.
Raymond Unger bei der Frankfurter Buchmesse – Autor des Buches „Die Wiedergutmacher“.
Hass ist eine Emotion – wörtlich etwas, das von bestimmten Situationen in uns ausgelöst wird. Es gehört zur psychischen Mechanik eines Herdenwesens wie des Menschen, mit aller Kraft wegzustoßen, was ihn verletzt oder doch zu schaden droht, und das an sich zu ziehen, was ihn pflegt und nährt. Hass ist, genau wie Liebe, eine völlig gesunde Emotion, die in jedem Menschen vorkommt. Hass verdammen zu wollen ist, wie Liebe verdammen zu wollen: blanker Unsinn. Hass ist also nicht immer eine kritikwürdige Gesinnung, sondern oft einfache eine Reaktion auf bestimmte Reize, die uns aufgrund unserer persönlichen Geschichte Gefahr, Ekel oder sonst etwas Unangenehmes ankündigen. Und wir wissen: Das ist nichts Objektives. Ich hasse intuitiv Dinge, die andere lieben, und umgekehrt. Wer politisch von „Hass und Hetze“ spricht und dagegen Gesetze macht, der versteht das Problem so, dass Menschen ihren Hass auf irgendetwas in eine politische Gesinnung (oder „Bestrebung“, wie die Spitzel vom Verfassungsschutz es nennen) übersetzt, die sie dann zum Schaden der Allgemeinheit handlungsleitend machen könnten. Was er aus dieser unterstellten Gesinnung heraus äußert, ist dann „Hetze“: Rede in böser Absicht.
„Hass und Hetze“: Gummibegriffe eines Gesinnungsstaates.
Ob jemand eine Gesinnung hat, kann ich nicht sehen. Ich sehe nur seine Taten. Über Gesinnungen kann ich nur spekulieren, außer in wenigen Fällen, wo jemand bekennt, etwas zum Beispiel aus Hass zu tun. Was der eine als „Hassrede“ bezeichnen möchte, das kann dem anderen als „mutiges Wahrheitssagen“ erscheinen. Deswegen eröffnen auf Gummibegriffe wie „Hass und Hetze“ aufgebaute Rechtsnormen der parteilichen Willkür der Regierung gegen missliebige Personen und Organisationen Tür und Tor. „Staatsfeindliche Hetze“ war der DDR-Gummibegriff für alles Regimewidrige. Heute wird „Hass und Hetze“ von denen beklagt, die beanspruchen, „unsere Demokratie“ zu vertreten. Damals wurde „staatsfeindliche Hetze“ von denen beklagt, die beanspruchten, „unseren Arbeiter- und Bauernstaat“ zu vertreten. Rechtsstaaten ahnden deshalb explizit verbotene Taten bei maximaler Freiheit der Rede und Gesinnung. Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung – das sind einige wenige Tatbestände, bei denen Gesinnungen mit beurteilt werden, und die Urteilsfindung ist hier oft heftig umstritten. Deswegen vermeidet man in einem Rechtsstaat möglichst die Einführung von Begriffen mit weitem Auslegungs- und Spekulationsspielraum. Jedoch ist Deutschland kein wirklicher Rechtsstaat. Die Staatsanwaltschaften sind politisch dominiert, Minister sind zugleich Abgeordnete, das Verfassungsgericht trägt rote Roben als Signalfarbe: „Vorsicht, Interessenkonflikt und Parteienfilz!“ Ein ehemaliger CDU-Oberer findet als Verfassungsgerichtspräsident zum Beispiel die offen grundrechtsbrüchige Corona-Politik bis heute prima.
Parallelen zur DDR? Staatsfeinde wegen Meinungsverbrechen.
Der Film zeigt ein Volk, das die eigenen Geschmacksurteile über gute und böse Gesinnungen gern als Gesetzesnorm sieht, damit die „Bösen“ verfolgt werden können. Deshalb gibt es „Hass und Hetze“-Gesetze, die selbstverständlich niemals gegen die Anhänger der Regierungslinie Anwendung finden – denn die Regierung kontrolliert die Staatsanwaltschaften und finanziert die GONGOs (Government-Operated-Non-Government-Organizations), die der Bevölkerung aufs Maul schauen. Das Problem der Deutschen ist nicht, dass sie online Beleidigungen ahnden wollen – sondern dass die Gesetze, die es sich dazu gegeben hat, der Regierung die gesinnungspolitische Verfolgung der eigenen Bevölkerung und ihre Einschüchterung durch Massenklagen erlaubt. In diese Tiefe dringt der „60 Minutes“-Bericht nicht. Dass man diese Verhältnisse zu rechtfertigen sucht, indem man das US-Fernsehen unstrittige Fälle der Verfolgung von Online-Menschenverachtung und Volksverhetzung abfilmen lässt und dazu pausbäckig-pflichtbewusst dreinschaut … nun ja. ***Michael Andrick ist Philosoph und Kolumnist der Berliner Zeitung. Die Themen seines Spiegel-Bestsellers „Im Moralgefängnis – Spaltung verstehen und überwinden“ diskutierte er kürzlich mit dem Historiker Daniele Ganser.
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