
Obwohl ein Bundesgericht am Dienstag urteilte, dass die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Meinungsfreiheit mit dem Verbot des Compact-Magazins rechtswidrig eingeschränkt hat, macht der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) nahtlos dort weiter, wo seine Vorgängerin aufgehört hat.
In ganz Deutschland hat die Polizei am Mittwochmorgen Bürger aus dem Bett geholt und vernommen: 65 Hausdurchsuchungen fanden anlässlich des 12. Aktionstags gegen „strafbare Hasspostings und Hasskriminalität im Netz“ statt.
Insgesamt, so schreibt es das BKA, „wurden über 180 polizeiliche Maßnahmen in mehr als 140 Ermittlungsverfahren umgesetzt“. Laut BKA sind die am häufigsten verfolgten Straftaten: Volksverhetzung (§ 130 StGB), Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB), Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) sowie Beleidigung (§ 185 StGB).
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
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Etwa zwei Drittel der strafbaren Hasspostings ordnet das BKA dem Bereich der „politisch motivierten Kriminalität rechts“ zu. Hinzu kommen Fälle aus dem Bereich politisch motivierte Kriminalität „sonstige Zuordnung“ sowie vereinzelte Fälle aus den Bereichen „religiöse Ideologie“, „links“ und „ausländische Ideologie“.
Die 65 Durchsuchungen wegen Hasspostings dürften mehr koordinierte Einsätze dieser Art sein als bei jedem anderen gesammelten Vorgehen wegen eines bestimmten strafbaren Themenbereichs, etwa Islamismus oder Linksextremismus.
Bei der großangelegten Razzia gegen die Reichsbürger-Szene, die am 23. November 2023 in acht Bundesländern in Deutschland durchgeführt wurde, fanden beispielsweise nur 21 Durchsuchungen statt. Der Staat lässt beim Thema „Hass im Netz“ eine politische Härte walten, die die Bürger in vielen anderen Bereichen vermissen.
„Die deutschen Strafverfolgungsbehörden führen regelmäßig Aktionstage zur Bekämpfung von Hasskriminalität durch, um ein deutliches Zeichen gegen Gewalt und die Verbreitung von extremistischem Gedankengut im Netz zu setzen“, erklärt das BKA in einer Mitteilung.
Schon beim letzten Aktionstag hatte ein Sprecher des bayerischen Justizministers, Minister Georg Eisenreich (CSU), gegenüber der Welt erklärt, hinter dem Aktionstag stecke die Idee einer „Generalprävention“. Übersetzt heißt das: die Abschreckung der Bevölkerung, um diese zu erziehen und Exempel zu statuieren. Dabei darf allenfalls die Strafe, die nach Abschluss eines Ermittlungsverfahrens verhängt wird, diesem Zweck dienen.
Doch sind öffentlichkeitswirksame Ermittlungsaktionen zur Abschreckung der Bevölkerung überhaupt rechtens? Und: Ist das Verhalten der Behörden bei derartigen Vergehen wirklich verhältnismäßig?
Bernd Schünemann, der als Koryphäe im Strafverfahrensrecht gilt, erklärte bereits beim letzten Aktionstag gegenüber NIUS: „Ein Aktionstag ist eine politische Veranstaltung.“ Hausdurchsuchungen seien laut Bundesverfassungsgericht „schwerwiegende Grundrechtseingriffe, die den Grundsätzen der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit genügen müssen. Ein für ihre Anordnung kausales Motiv, die quantitative Dimension eines ‚Aktionstages‘ zu verstärken, würde sie deshalb rechtswidrig machen.“
Im Morgengrauen standen bei vielen Bürgern heute Polizisten vor der Türe.
Heißt: Da die zeitliche Bündelung von Ermittlungsmaßnahmen aus verschiedenen Verfahren keinen Gewinn im Hinblick auf die Aufklärung einzelner Straftaten bringt, sondern lediglich dem Zweck dient, die Außenwirkung zu verstärken, sind diese rechtswidrig. Dass der abschreckende Effekt das Ziel und kein bloßer Nebeneffekt waren, ergibt sich aus dem konzertierten Vorgehen.
Dass der neue Bundesinnenminister vermeintlichem „Hass im Netz“ derart große Relevanz beimisst – trotz der weit drängenderen Probleme, die Deutschland derzeit hat – und damit die gleiche Sprache spricht wie die vom Gericht abgekanzelte Nancy Faeser, lässt befürchten, dass es keine echte Kehrtwende zu Faesers Vorgehen gegen die Meinungsfreiheit geben wird.
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