
Brüssel ist nicht Warschau, mit einem ausgebrannten Häuserblock, Symbol des Warschauer Aufstands, dem vollständig zerstörten Ghettostadtteil, den Schienen der Ghettostraßenbahn, dem Bunker der jüdischen Widerständler, dem Stück Ghettomauer im Hinterhof, unüberwindbar. Es ist nicht Rotterdam, mit einer völlig zerstörten, einfach nicht mehr vorhandenen Altstadt. Brüssel ist unzerstört, sieht man vom Wirken der Architekten in den 50er, 60er, 70er Jahren ab. Der NS-Horror ist versteckt.
Täglich reisen deutsche Politiker nach Brüssel, nur wenige dürften um die Geschichte des Art Deco-Gebäude Résidence Palace mit seinen Luxuswohnungen wissen, das Teil des Ratsgebäudes ist. Beschlagnahmt durch die Nationalsozialisten, wurde dort das Oberkommando der Wehrmacht einquartiert. Auf der Prachtmeile Avenue Louise ein weiteres Art Deco-Gebäude, Nummer 347, Hauptsitz der Gestapo mit Folterkeller, Inschriften der Gefolterten an den Wänden.
Rue Archimède, direkt am Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Europäischen Kommission. Von Politikern, Beamten, Lobbyisten gut besuchte Restaurants. Auch Apartmentgebäude; und an einem ein Messingschild – an der Nummer 22, keine 200 Meter vom Büro der Kommissionspräsidentin entfernt. Ein Bau der 70er Jahre. Hier stand das Haus, in dem sich der aus einer angesehenen Osnabrücker Kaufmannsfamilie stammende Maler Felix Nussbaum mit seiner Frau Felka versteckte, bis beide denunziert, nach Auschwitz deportiert und dort zusammen ermordet wurden.
Das gleiche Schicksal ereilte Eltern und Bruder, die in Osnabrück geblieben waren. Was Worte, die jährlichen Gedenkreden, kaum fassen können, zeigen seine Bilder, gerettet von einem belgischen Arzt. Versteckt malt er weiter, den sicheren Tod vor Augen. Es ist seine Art Widerstand. „Selbstbildnis mit Judenpaß“, „Jude am Fenster“, „Triumph des Todes (Die Gerippe spielen zum Tanz)“ mit einem verwesenden Orgelmann mit seinen Gesichtszügen … Ausdruck der Hoffnungs- und Ausweglosigkeit. Zerstörte Mauern, davor Trümmer, Symbole der Zerstörung der Justiz, der Kunst und der Zivilisation. „Wenn ich untergehe, laßt meine Bilder nicht untergehen, stellt sie aus,“ so Felix Nussbaum.
U-Bahn-Station Schuman, direkt im Europaviertel. Eine Station weiter, Maalbeek: Hier hat sich ein Islamist hochgebombt, wie auch am Flughafen. Zusammen drei Dutzend Tote, hunderte Verletzte aller Nationen und Religionen. Der U-Bahnhof der Anzugträger. Von Schuman sind es acht Stationen bis zur Endstation Herman Debroux im Stadtteil Auderghem. Links geht es zu dem alten Kloster „Rouge Cloitre“ aus dem 14. Jahrhundert, idyllisch gelegen am Wald, rechts den Hügel hinauf zum kommunalen Friedhof, keine 10 Minuten sind es bis dorthin.
Im jüdischen Bereich, eingeweiht 1938, fanden in den vierziger Jahren zunächst noch Beerdigungen statt, denn die Nazis wollten den Eindruck erwecken, ein jüdisches Leben sei noch möglich, um Panik zu vermeiden. Hier liegen neben eines natürlichen Todes Verstorbenen gefolterte und anschließend erschossene jüdische Widerständler, es gibt leere Gräber im Gedenken an in den Vernichtungslagern Ermordete beziehungsweise kleine Erinnerungsplaketten auf den Grabmälern. „Unserer geliebten Tochter: ermordet in Auschwitz“. „Unserem geliebten Sohn: ermordet von Nazischergen“.
Das Résidence Palace und das ehemalige Gestapo-Hauptquartier sind nicht zugänglich, der Friedhof in Auderghem, Avenue Jean van Horenbeeck 27, täglich von 8.00 bis 16.30 geöffnet. Sehenswert auch der jüdische Teil des geschlossenen Friedhofs, Dieweg 95.
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