„80 Prozent gehen nicht ans Telefon“: Warum der „Job-Turbo“ für Ukrainer ein teurer Flop ist

vor 7 Monaten

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Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist sich sicher: Der im Oktober 2023 gestartete „Job-Turbo“, der insbesondere ukrainische Flüchtlinge in Arbeit bringen sollte, ist ein voller Erfolg. Doch nicht nur die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sprechen eine andere Sprache. Auch eine Mitarbeiterin im Jobcenter widerspricht gegenüber NIUS der geschönten Darstellung der Bundesregierung: Mit viel Aufwand und Geld werde eine minimale Wirkung erzielt, meint die Insiderin.

Fast monatlich liefert Arbeitsminister Hubertus Heil Erfolgsmeldungen in Sachen „Job-Turbo“: Das im Oktober 2023 angelaufene Projekt „zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“ funktioniere prächtig. „Dass wir gegen eine maue Konjunktur jetzt 266.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Arbeit gebracht haben, das ist ein Erfolg“, lautete auch am „Tag des Jobcenters“ am 1. Oktober seine Botschaft.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) berichtet auf dem Tag des Jobcenters von seinen vermeintlichen Erfolgen.

Kritiklos übernehmen zahlreiche Medien die bloße Zahl von 266.000 Beschäftigen, auf die nicht nur Heil seit Wochen verweist, sondern die auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) neuerdings als frohe Botschaft nutzt. Unerwähnt bleibt in den Ausführungen der Bundesregierung jedoch meist, dass die Zahl der Beschäftigten schon im Oktober 2023, also zu Beginn des „Job-Turbos“, bei weit über 200.000 Personen lag. Die Beschäftigtenzahl hat sich in den vergangenen Monaten also nur schleppend nach oben korrigiert.

Ebenfalls kaum thematisiert: Von den im Juli 2024 registrierten rund 266.000 ukrainischen Beschäftigten ist wiederum jede fünfte Person nur geringfügig beschäftigt. Es handelt sich also um Mini-Jobber, die weniger als 538 Euro im Monat verdienen.

Auch ein Blick auf die Zahl der ukrainischen Bürgergeld-Empfänger ist ernüchternd. Seit Oktober 2023 hat sich hier laut den Daten der Bundesagentur für Arbeit kaum etwas verändert. Erhielten zu Beginn des „Job-Turbos“ 702.940 Ukrainer Bürgergeld, erhöhte sich der Empfängerkreis bis Juni 2024, dem Zeitpunkt der letzten Datenveröffentlichung, sogar leicht auf 716.980 Personen. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB), also der Personen zwischen 15 Jahren und dem Renteneintrittsalter, die nicht hilfsbedürftig sind, stieg ebenfalls. Zum Start des Job-Turbos bezogen rund 486.250 arbeitsfähige Ukrainer Bürgergeld, im Juni 2024 waren es 505.100 Ukrainer.

NIUS sprach mit einer Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit, die angesichts der Äußerungen der Bundesregierung nur mit dem Kopf schütteln kann.

Birgit G. arbeitet seit mehreren Jahren im Telefondienst der Arbeitsagentur für Arbeit. Im Zuge des Job-Turbos wurden die Callcenter-Mitarbeiter dazu angehalten, aktiv auf die Flüchtlinge aus der Ukraine zuzugehen. In Erfahrung gebracht werden soll unter anderem, ob die Personen einen Berufsabschluss haben oder nähere Beratungen zur Arbeitsvermittlung wünschen. Das Problem: Noch immer haben viele Ukrainer keinen Sprachkurs absolviert oder sie sprechen nicht ausreichend Deutsch. Deshalb greifen die Jobcenter auf Dolmetscher zurück, die in den Gesprächen zwischengeschaltet werden. Auch die Dolmetscher verursachen Extra-Kosten, die der Steuerzahler übernehmen muss.

Dabei explodieren die Kosten bereits jetzt. Nicht nur überwies die Bundesagentur für Arbeit allein 2023 rund 5,8 Milliarden Euro an ukrainische Bürgergeld-Empfänger, sie übernimmt auch die Kosten für Integrationskurse. Im Jahr 2023 nahmen rund 168.000 neue Teilnehmer mit ukrainischer Staatsangehörigkeit an einem solchen teil. Doch nur rund jeder Zweite der ukrainischen Prüflinge erreichte dabei das Kursziel des Niveaus B1 „Zertifikat Deutsch“.

„Mit dem ‚Job-Turbo‘ wurden in den Jobcentern völlig neue Arbeitsbereiche installiert“, erzählt Birgit G. „Mit viel Aufwand und Geld wird eine minimale Wirkung erzielt.“ Ein Großteil der Ukrainer sei für die Mitarbeiter der Arbeitsagentur nicht einmal zu erreichen: „Es wird ein absolut irrer Kostenaufwand betrieben, um nicht integrations- und arbeitsbereite Flüchtlinge dazu zu bewegen, eine Arbeit aufzunehmen“, meint G. „80 Prozent gehen nicht ans Telefon, 10 Prozent brauchen einen Dolmetscher, weitere 10 Prozent können sich ausdrücken, bemühen sich um eine Arbeit oder sind in Arbeit.“

Diejenigen Ukrainer, die arbeiten wollten, hätten entweder vorher Sprachkenntnisse besessen oder hätten sie schnell und motiviert erworben, um so in eine Beschäftigung einzumünden, berichtet die Arbeitsagentur-Insiderin. Der Job-Turbo hat also in erster Linie dafür gesorgt, dass die Bürokratie angewachsen ist. Allein an ihrem Standort mit rund 100 Mitarbeitern seien mit Beginn des Projekts zwei zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen worden.

Im Gespräch mit NIUS macht die Arbeitsamt-Mitarbeiterin zusätzlich auf ein gemeinsames Schreiben des Jobcenters in Hamburg und des ukrainischen Generalkonsulats in Deutschland aufmerksam, das Anfang August an alle ukrainischen Bürgergeld-Empfänger der Hansestadt versandt wurde. Aus dem Schreiben wird die Hilflosigkeit deutlich, die sich angesichts der hohen Zahl an ukrainischen Bürgergeld-Empfängern in den Behörden breit macht.

Anfang August wurde dieses Schreiben an alle ukrainischen Bürgergeld-Empfänger in Hamburg geschickt.

Der Brief versichert den Transferempfängern: „Eine Berufstätigkeit stärkt Ihre soziale Stellung in dem Staat, der Ihnen Schutz gewährt hat, sichert Ihnen die Selbstachtung und den Respekt Ihrer Umgebung und ermöglicht es Ihnen, auf dem Arbeitsmarkt interessant und wettbewerbsfähig zu bleiben.“ An anderer Stelle warnen die Autoren: „Achtung: Das Bürgergeld ist nur als vorübergehende Überbrückungshilfe gedacht und kann unter bestimmten Voraussetzungen gekürzt werden, wenn die Person, die Bürgergeld bezieht, Jobangebote oder die Teilnahme an Sprachkursen und Qualifizierungsangeboten ablehnt.“

Abschließend appellieren das ukrainische Generalkonsulat und das Jobcenter Hamburg an die Bürgergeld-Empfänger: „Bitte nutzen Sie deshalb alle in Deutschland verfügbaren Erwerbsmöglichkeiten, um so Ihren Lebensunterhalt eigenständig zu sichern.“

Ob diese Bitte wirkt? Birgit G. glaubt jedenfalls nicht, dass der Brief für große Veränderungen sorgt: „Für mich schreit dieses Schreiben nach purer Verzweiflung“, lautet ihr trockenes Fazit. „Aus der Telefonie, also meinem Arbeitsfeld, ist der ‚Job-Turbo‘ ein Flop mit hohen Kosten für den Steuerzahler.“

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