
Es wird einsam um Kernkraftausstiegs-Deutschland. Ringsum verwerfen die Nachbarn frühere Ausstiegsabsichten, arbeiten intensiv am Wiedereinstieg in die Kernkraft, wenn nicht sogar an der erstmaligen Auflage eigener Kernkraftprogramme, modernisieren und erweitern ihre Reaktorparks.
Deutschland, das sich verbissen an die zertrümmerten Planken der „grünen“ Ausstiegsideologie klammert, wird zum mitleidig belächelten Sonderling und zum Störfaktor, der mit seinen Eskapaden die Sicherheit der europäischen Energieversorgung aufs Spiel setzt. Der Frust wächst: Auch die neugewählte schwarz-rote Regierung Merz ist zu feige, um mit dem rückwärtsgewandten „grünen“ Dogmatismus zu brechen.
In Großbritannien setzt sich der Siegeszug der Kernkraft in der entwickelten Welt fort. Das Vereinigte Königreich will nicht nur seine neun vorhandenen Reaktoren weiterbetreiben, die aktuell rund 15 Prozent des britischen Strombedarfs decken. Die Regierung will darüber hinaus 14,2 Milliarden Pfund (rund 16,8 Milliarden Euro) in den Bau eines neuen und modernen Kernkraftwerks „Sizewell C“ in der ostenglischen Grafschaft Suffolk investieren.
Damit nicht genug, wollen die Briten auch ein Programm für kleine, modulare und schnell zu errichtende Kernkraftreaktoren (Small Modular Reactors, SMR) auflegen. Vor allem in Verbindung mit der Verwendung von Flüssigsalz als Brennstoff und Kühlmittel zugleich, die niedrigen Betriebsdruck, höchste Sicherheit und den Einsatz von reichlich vorhandenem Thorium als Brennstoff ermöglicht, gelten SMR als Schlüsseltechnologie für die Zukunft der Kernkraft. Großbritanniens Energieminister Ed Miliband hat bereits ein „goldenes Zeitalter“ sauberer Energie ausgerufen.
Die Briten sind nicht die einzigen, die mit Siebenmeilenschritten in die kernkraftbasierte Energiewelt der Zukunft marschieren wollen. Belgien, die Niederlande, Spanien, Schweden und die Schweiz, sie alle haben in den letzten Wochen und Monaten ihre Ausstiegspläne kassiert, den Weiterbetrieb vorhandener und den Bau neuer Kernkraftwerke beschlossen.
Finnland hat 2023 ein modernes Großkraftwerk in Betrieb genommen und damit seine Stromkosten deutlich gesenkt. Die öffentliche Unterstützung für die Kernkraft ist einmütig, auch die finnischen „Grünen“ sind mit an Bord. Polen plant in den nächsten zehn Jahren den Neueinstieg in die Kernkraft mit dem Bau von sechs Reaktorblöcken, die das Land endlich aus der einseitigen Abhängigkeit von der Kohleverstromung lösen sollen.
Deutschland wird dann wohl als Schlusslicht übrigbleiben, das vom Kohlestrom nicht loskommt, weil sich mit Flatterstrom aus Windrädern und Solarspiegeln ein entwickeltes Land nun mal nicht versorgen lässt. Die CDU-Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat vor der Erpressungsmacht der „grünen“ Dogmatiker gleich nach Amtsantritt kapituliert; die Unions-Parteichefs Friedrich Merz und Markus Söder wollen von ihren ursprünglichen Wahlversprechen, den Kernkraftausstieg zu revidieren, ebenfalls nichts mehr wissen.
Internationale Fachleute schütteln angesichts dieser sturheil fortgesetzten Geisterfahrt nur noch die Köpfe. Ohne Kernkraft geht es nicht, meint Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), der sich nicht erst seit dem flächendeckenden Blackout in Spanien und Portugal schwere Sorgen um die Stromversorgung in Europa.
Steigt der Anteil der sogenannten „Erneuerbaren“ über 50 Prozent, wird die Stabilisierung der Netze zur Herausforderung, sagt Birol im Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“. Zudem werde der Strombedarf in Zukunft noch drastisch steigen – für Elektroautos, für den vermehrten Einsatz von Klimaanlagen und für den Energiehunger des digitalen Zeitalters – „ein mittelgroßes Rechenzentrum verbraucht so viel Strom wie hunderttausend Haushalte“.
Den deutschen Kernkraftausstieg bezeichnet der IEA-Chef rundheraus als „historischen Fehler“. Die deutschen Kernkraftwerke „liefen zuverlässig wie Schweizer Uhrwerke“, trotzdem sei heute keines mehr davon in Betrieb, während Deutschland gleichzeitig versuche, „Wasserstoff aus Namibia“ zu importieren. „Das ist eine politische Entscheidung, die ich respektiere“, sagt Birol. „Aber ich selber hätte sie nicht getroffen.“ Aus der Diplomatensprache in Klartext übersetzt heißt das so viel wie: Was für ein haarsträubender Irrsinn.
Direkter und ohne höfliche Verklausulierungen bringt es die schwedische Energieministerin Ebba Busch auf den Punkt: Sie sei „wütend auf die Deutschen“ und ihren Kernkraftausstieg, erklärt die christdemokratische Vize-Regierungschefin: „Man braucht Grundlaststrom. Man kann sich nicht nur auf das Wetter verlassen.“ Deutschland verlagere die Last auf die Nachbarländer. Dort steigen die Energiepreise wegen der egoistischen deutschen Haltung, und die Sicherheit der Netze leidet.
Deutlicher kann man den deutschen Energie-Geisterfahrern kaum noch den Marsch blasen. Lange wird sich die deutsche politische Klasse diese von „grüner“ Ideologie diktierte Traumtänzerei nicht mehr leisten können. Der wachsende Einsatz von KI-Technologien schafft zusätzliche enorme Energiebedarfe, die ohne Kernkraft schlechthin nicht zu befriedigen sein werden. Wenn Deutschland nicht zügig für die Sicherung der eigenen Energieerzeugung sorgt, wird es von den europäischen Lieferanten schneller aufs Trockene gesetzt und abgehängt werden, als ein „Grüner“ die Formel „CO2“ aussprechen kann.