
TE fragt nach dem Zustand der akademischen Freiheit in Deutschland, und zwar anhand von drei Fallstudien. Dreimal geht es um die staatliche Maßregelung von Professoren wegen ihrer Meinungsäußerung, wohlgemerkt noch nicht einmal im Hörsaal, sondern außerhalb. Keinem der Vorgänge widmeten Spiegel, Zeit, ARD und ähnliche Medien bisher eine kritische Betrachtung.
So viel vorab: Kein einziger der verdächtigten und gemaßregelten Hochschullehrer, um die es geht, zeigte irgendeine Nähe zu extremistischen Ideen, tolerierte oder verharmloste Gewalt oder vernachlässigt seine Lehrpflichten. Sie vertreten nur Ansichten, mit denen sie sich zwar völlig im Spektrum der Meinungsfreiheit bewegen, aber gegen ungeschriebene politische Festlegungen verstoßen. In zwei der drei Fälle spielte eine Behörde eine Schlüsselrolle, die im Wissenschaftsbetrieb höchstens als Forschungsgegenstand auftauchen sollte: der Inlandsgeheimdienst. Im Fall eins ging es um Professor Martin Wagener:
Fall zwei betrifft einen Professor der gleichen Hochschule, der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Stephan Maninger darf dort lehren, und zwar in dem für die Ausbildung von Bundespolizisten zuständigen Bereich, Standort Lübeck. Darin sehen viele einflussreiche Leute allerdings einen Dauerskandal, den sie lieber heute als morgen beenden wollen. Genauer gesagt: Maninger lehrt seit Januar 2025 wieder dort.
Im Jahr 2016 begann der gebürtige Südafrikaner seine Arbeit in Lübeck, 2020 übernahm er die Professur für Sicherheitspolitik. Maninger promovierte (noch in Johannesburg) im Fach Entwicklungswissenschaften, außerdem in Politikwissenschaften. Vielleicht deshalb, weil Maninger erst spät nach Deutschland kam, sagt er im Gespräch einen Satz, den sonst sehr viele vermeiden: Er sei konservativ. Aber eben klar innerhalb des Verfassungsbogens: „Wäre ich so rechts, wie meine Gegner links sind, hätte ich für meine Lage Verständnis.“ Mit diesem Bekenntnis schafft man sich Probleme in einem Berufsumfeld, in dem für viele der Rechtsradikalismus spätestens jenseits von Friedrich Merz beginnt.
Offenbar trugen aufmerksame Beobachter schon seit längerem Material gegen ihn zusammen. Schließlich ergab sich für einen von ihnen auch ein handfestes Motiv: Matthias Lemke, der heute als Dozent an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin lehrt und früher ebenfalls im Fachbereich Bundespolizei der Hochschule des Bundes lehrte, bewarb sich 2020 für die gleiche Professur wie Maninger, zog aber den Kürzeren. Außerdem flog Lemke ein Jahr später wegen Fehlverhaltens aus dem Dienst. Offenbar wollte er wenigstens publizistisch zurückschlagen. Zusammen mit einem Mitautor, der aus Maningers Fachbereich stammt, verfasste er für das „Jahrbuch Öffentliche Sicherheit“ 2023 einen Text, versehen mit dünner akademischer Tünche, der den Professor zum gefährlichen Neurechten stempelte. Und das mit Argumenten, die noch bizarrer anmuten als in der Kampagne gegen Wagener.
Bei der Veröffentlichung in dem Jahrbuch für ein kleines Fachpublikum blieb es nicht. Die interessierten Kreise alarmierten Journalisten; taz und BuzzFeed brachten aufgeregte Artikel über die rechte Gefahr an der Polizeiausbildungsstätte, im November 2023 richtete schließlich die Linkspartei-Abgeordnete Martina Renner eine Anfrage an die Bundesregierung, was sie zu dem rechten Treiben im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums meinte. Mancher erinnert sich vielleicht: Renner machte sich 2019 einen gewissen Namen, als sie mit Antifa-Sticker am Revers ans Rednerpult des Bundestages trat.
Zu dem Zeitpunkt, als Renner fragte, lief schon ein bundespolizeiinternes Verwaltungsverfahren gegen den Professor. Außerdem schaltete sich noch eine Organisation ein, von der man eigentlich den Schutz von Mitarbeitern gegen den Druck des Arbeitgebers erwarten müsste: die Gewerkschaft der Polizei, kurz GdP, konkret ihr für die Bundespolizei zuständiger Organisationsteil. Sie veröffentlichte etwa zeitgleich mit Renners Vorstoß eine Erklärung, in der sie „rechtspopulistische Äußerungen“ des Wissenschaftlers verurteilte, ohne genau zu erklären, welche Äußerungen sie damit meinte. Die Gewerkschaftsspitze machte keinen Hehl aus dem, was sie wünschte: die Entfernung Maningers aus dem Wissenschaftsbetrieb.
Eine besondere Rolle spielte hier offenbar ein Mann mit einer bemerkenswerten, in der späten Bundesrepublik aber nicht karriereschädlichen Vergangenheit: Sven Hüber, Vizevorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, Bezirk Bundespolizei und Vorsitzender des Hauptpersonalrats der Bundespolizei beim Bundesinnenministerium. Er gilt als einer der besonderen Vertrauten von Ministerin Nancy Faeser. Hüber, Jahrgang 1964, diente als Politoffizier der DDR-Grenztruppen, später auch als stellvertretender Kompaniechef und Stabsoffizier im Grenzregiment 33, zuständig für den Abschnitt Berlin-Treptow. Hier starb am 5. Februar 1989 der letzte Mauertote, der damals 20-jährige Chris Gueffroy. Hübers Aufgabe bestand nicht darin, selbst den Abzug durchzuziehen, sondern es den Grenztruppenangehörigen einzuschärfen. Seine Laufbahn setzte er 1990 nahtlos beim Bundesgrenzschutz fort; dem schloss sich ein steiler Aufstieg an, der ihn bis in Faesers Nähe führte. Und eben auch auf die Schlüsselposition der GdP, Bezirk Bundespolizei.
Den Kampf gegen „Rechte“ scheint Hüber als Lebensaufgabe zu begreifen. Er beteiligte sich auch an der Diffamierungskampagne gegen den Historiker und damaligen Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe. Den verortete der Politoffizier a.D. in der „deutschnationalen Ecke“. Unter dem Druck dieser Front von Gewerkschaftern der ganz besonderen Sorte, Linkspartei, taz und einem Kollegen mit dringendem Revanchebedürfnis begann eine bundespolizeiinterne Untersuchung gegen den Professor, die in insgesamt 71 Befragungen von Kollegen und Schülern Maningers bestand. Während dieser Zeit wurde er vom Unterricht entbunden.
Außerdem bat die Bundespolizei die beiden renommierten Politikwissenschaftler Thomas Jäger und Joachim Krause, den Text im „Jahrbuch Öffentliche Sicherheit“ zu bewerten, mit dem das Kesseltreiben begonnen hatte. Beide kamen zu einem ziemlich klaren Urteil: Der Text sei „kein wissenschaftlicher Aufsatz, sondern ein wissenschaftlich verbrämtes Pamphlet“, und drückten ihre Verwunderung darüber aus, „dass das Jahrbuch Öffentliche Sicherheit, welches immerhin einen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, so ein Papier ungeprüft veröffentlicht. Wäre dieser Aufsatz einer strengen Begutachtung unterworfen worden, hätte er nicht veröffentlicht werden dürfen.“ Und zwar schon deshalb, weil die persönlichen Motive von einem der Autoren auf der Hand lägen.
Am 19. November 2021 entlastete ein Abschlussbericht der Bundespolizei Maninger vollumfänglich von allen Anschuldigungen. Der gesamte Vorwurfsberg schrumpelte auf einen einzigen faktischen Punkt zusammen: In einer Diskussion mit Studenten sagte Maninger tatsächlich einmal auf die Frage, was er von der gleichgeschlechtlichen Ehe halte, Normen unterlägen nun einmal einem gesellschaftlichen Wandel und vielleicht könne er eines Tages sein Hausschwein heiraten. Darüber beschwerte sich damals ein Student. Im Gespräch sagt Maninger: „Das war keine kluge Bemerkung. Ich wollte auch niemanden beleidigen.“ Er habe angeboten, der Student könne zu ihm kommen und er werde sich bei ihm entschuldigen. „Der kam allerdings nie.“ Gegen Schwule, so Maninger, hege er keine Vorbehalte. Diese eine von Maninger selbst bedauerte Bemerkung, entschieden die Untersuchungsführer, rechtfertigten keine disziplinarischen Maßnahmen. Auch im Bundesinnenministerium herrschte in der Sache kein Elan mehr.
Auf die Frage von TE, wie Faeser Medienberichte bewerte, dass Lehrkräfte an der Hochschule des Bundes sich angeblich nicht verfassungskonform äußerten, ließ die Ministerin mitteilen: „Dem BMI liegen keine entsprechenden Anhaltspunkte vor.“ TE fragte auch zur Rolle des Ex-Politoffiziers Hüber in der Kampagne. Hier lautete die knappe Antwort: Bundesinnenministerin Faeser steht mit Herrn Hüber in seiner Funktion als Vorsitzender des „Bundespolizei-Hauptpersonalrats im regelmäßigen Austausch. Zu Inhalten dieser Gespräche äußern wir uns nicht.“
Inquisitionsverfahren zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass sie keinen Freispruch kennen. Im Mai 2023 schrieb die taz: „Maninger ist kein Einzelfall.“ Der Zirkelschluss nicht nur bei dem linken Organ lautete: Der Professor belege schon durch seine Anwesenheit an der Hochschule die Existenz eines rechten Netzwerks bei der Polizei. Folglich müssten ihm jetzt nur noch rechte Umtriebe nachgewiesen werden.
TE fragte bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bezirk Bundespolizei nach, welchen Schluss die Organisation aus dem Ausgang des Untersuchungsverfahrens gegen Maninger zieht. Die Antwort: „Der Bundeskongress der GdP hat alle Gliederungen der GdP beauftragt, sich mit dem politischen Populismus aus dem linken und rechten Spektrum intensiv auseinanderzusetzen. Die GdP lehnt bereits kraft Satzung undemokratische Bestrebungen jeder Art ab. Der Vorstand des Bezirks Bundespolizei lehnt deshalb ganz in diesem Auftrag die Propagierung des rechtspopulistischen Ethnopluralismus, zumal innerhalb der Laufbahnausbildung des gehobenen Polizeivollzugsdienstes, ab und hat dies in seinem Beschluss gegen die aus unserer Sicht diffamierenden Publikationen des Herrn Maninger klar zum Ausdruck gebracht. Gleiches gilt für die Verbreitung von queerfeindlichen, verächtlichmachenden Positionen im Unterricht. Insoweit hat unsere veröffentlichte Positionierung weiterhin Gültigkeit.“ Zusammengefasst: Selbst wenn die Untersuchung den Wissenschaftler vollständig entlastet – weg muss er irgendwie trotzdem.
Er empfiehlt darin der„sehr geehrte[n] Frau Bundesinnenministerin“ praktischerweise gleich einen Gutachter, nämlich den Rechtsextremismusforscher Fabian Virchow, Universität Düsseldorf, der offenbar jetzt endlich das richtige Papier liefern soll, um Maninger doch noch zu Fall zu bringen. Mit Virchow wählte die GdP einen zuverlässigen Experten aus: Der Professor gehört zu den Vertrauensdozenten der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Wirklich rechte Netzwerke in der deutschen Wissenschaftslandschaft lassen sich nur mit sehr weiter Begriffsdefinition aufspüren. Linke universitär-politische Vernetzungen dagegen geraten schon wegen ihrer schieren Größe leicht aus dem Blick. Außerdem, so Kopelke, habe es bei der Berufung von Maninger 2019 Formfehler gegeben. Er rege deshalb die Prüfung an, „ob die Berufung in das Professorenverhältnis auf Probe für Herrn Maninger und andere beteiligte Personen überhaupt Bestand haben kann und eine Berufung in ein Professorenverhältnis auf Lebenszeit rechtmäßig wäre“. Diese Berufung stünde nämlich im August dieses Jahres an.
Offenbar besteht das Ziel der Hochschulsäuberer, genau das zu verhindern – mit einer Mixtur aus erledigten, aber wieder aufgebrühten Vorwürfen und Verfahrensfragen. Dass sich eine Berufung nicht sechs Jahre später einfach für ungültig erklären lässt, selbst wenn es seinerzeit Formfehler gab, müsste eigentlich auch ein Polizeigewerkschaftler wissen. Andererseits zeigen gerade Fälle wie die von Martin Wagener und Stephan Maninger, wie wenig früher selbstverständliche Regeln heute im Dauerkampf gegen Rechts noch gelten. Ob Maninger am Ende bleiben kann, bleibt genauso wie bei seinem Kollegen Wagener vorerst offen.