
TE fragt nach dem Zustand der akademischen Freiheit in Deutschland, und zwar anhand von drei Fallstudien. Dreimal geht es um die staatliche Maßregelung von Professoren wegen ihrer Meinungsäußerung, wohlgemerkt noch nicht einmal im Hörsaal, sondern außerhalb.
Kein einziger der verdächtigten und gemaßregelten Hochschullehrer, um die es geht, zeigte irgendeine Nähe zu extremistischen Ideen, tolerierte oder verharmloste Gewalt oder vernachlässigt seine Lehrpflichten. Sie vertreten nur Ansichten, mit denen sie sich völlig im Spektrum der Meinungsfreiheit bewegen, aber gegen ungeschriebene politische Festlegungen verstoßen. In zwei der drei Fälle spielte eine Behörde eine Schlüsselrolle, die im Wissenschaftsbetrieb höchstens als Forschungsgegenstand auftauchen sollte: der Inlandsgeheimdienst.
Der dritte Professor, von dem dieser Text handelt, darf bleiben – allerdings mit dem nun offiziellen Stempel ‚Verfassungsfeind‘. Und einer Gehaltskürzung von zehn Prozent über den Zeitraum von 15 Monaten plus Übernahme der Verfahrenskosten.
Die finanzielle Einbuße trifft Professor Michael Meyen, der an der Universität München lehrt, weniger als die Markierung durch die Landesdisziplinarkammer. Denn die schießt ihn faktisch von Förderungs- und Drittmitteln aus, ohne dass es explizit irgendwo stünde. Auf Einladungen zu Kongressen und Podiumsgesprächen braucht der Medienwissenschaftler nicht mehr zu warten. Auch bei ihm stand die mediale Kennzeichnung als öffentliche Gefahr am Anfang, auch bei ihm schaltete sich der Verfassungsschutz ein – und zwar auf Anforderung der Universitätsleitung. Eine Besonderheit gibt es in diesem Vorgang: Es handelt sich höchstwahrscheinlich um die erste konkrete Anwendung der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ gegen eine Person des öffentlichen Lebens.
Was machte den Wissenschaftler in den Augen seiner Gegner zu einem Hochrisiko für den Wissenschaftsbetrieb? Michael Meyen, geboren 1967 auf Rügen, aufgewachsen in der DDR, passt eigentlich in kein Raster, auch nicht die Rahmenkonstruktion ‚rechter Professor‘. Im Gegenteil, mit einigen Positionen stand er in der Vergangenheit sogar deutlich links, was damals seinen Arbeitgeber offenbar noch nicht störte. Seit zwei Jahrzehnten bildet der verbeamtete Professor Journalistennachwuchs aus, von ihm stammen auch einige Fachbücher, darunter die von Kollegen positiv aufgenommene Monografie „Klassiker der Kommunikationswissenschaft“.
Dass Journalisten, leitende Universitätsfunktionäre, Verfassungsschutzmitarbeiter und Bayerns Wissenschaftsministerium den bis dahin angesehenen Forscher zum Gesellschaftsfeind erklärten, geschah in und wegen der Corona-Zeit. Damals fühlte sich der Medienwissenschaftler durch die Art und Weise, wie sich vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk an die jeweilige Regierungslinie schmiegte, an vieles erinnert, was er aus der DDR kannte. Darüber schrieb er in dem privat betriebenen Blog „Medienrealität“, der schon seit 2017 existiert. Dort erschien 2020 auch ein Text – nicht von ihm, von einem Gastautor – in dem es um die Nähe der Bill Gates Stiftung zur WHO ging, ein früher sogar in deutschen Medien durchaus kritisch beleuchtetes Thema.
In diesem Beitrag erwähnte der Autor die in der Tat etwas bizarre Medienfigur Ken Jebsen. Das muss allerdings noch nicht heißen, dass dessen Aussagen über Gates und die WHO deshalb automatisch falsch sein müssten. Also: Nicht der Professor schrieb etwas Ungeheuerliches auf dem Blog, sondern jemand anderes. Und das Unerhörte bestand in einem Querverweis. Das genügte allerdings schon, dass Mitarbeiter des Uni-Mittelbaus eine Resolution aufsetzten, in der sie forderten, Meyen die Personalhoheit an seinem Lehrstuhl zu entziehen. Dafür gab es allerdings keine Rechtsgrundlage. Immerhin erreichten die Empörten, dass der Professor seine Funktion als Sprecher des Forschungsverbandes „Zukunft der Demokratie“ verlor.
Über den Artikel setzte Zeit Campus die Frage: „Warum darf er immer noch lehren?“ Weil, so würde die Antwort in normalen Zeiten lauten, ein ordentlicher Professor dafür keine Extraerlaubnis braucht, ebenso wenig wie die Zeit eine amtliche Bewilligung für den Druck ihrer Texte. Der Witz an der Sache besteht mittlerweile darin, dass selbst Journalisten etablierter Medien an der besonders engen politisch-journalistischen Allianz ein bisschen Kritik übten – allerdings ein bisschen später als Meyen. „Selbst die Kommentare im Öffentlich-Rechtlichen sind oft eher Besinnungsaufsätze“, meinte beispielsweise genau jener Claus Kleber 2021 in einem Zeit-Interview. Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo wiederum fand 2023: „In dem einen oder anderen Fall finde ich, dass Medien um Verzeihung bitten könnten für Fehler, die sie in der Berichterstattung über die Corona-Pandemie gemacht haben.“
Meyen kam also mit seinen Kommentaren, die 2020 begannen, einfach ein bisschen zu früh – und außerdem noch von außen. Dass ein Nicht-Journalist die Medien kritisiert, zumal noch ein Ostdeutscher – da hörte die Toleranz in vielen Redaktionen nun wirklich auf, und der Unmut beginnt. Auf den Druck der Medien und der besonders zu Konformität neigenden Mittelbau-Mitarbeiter reagierte die Universitätsleitung, indem sie nach einer Durchleuchtung des Professors durch den Verfassungsschutz rief. Der fand zwar nichts, was ursprünglich im Zentrum der inszenierten Aufregung stand. Dafür zwei andere Sachverhalte, die dann als Belastungsmaterial dienten:
Zum einen, dass Meyen 2019 zusammen mit anderen dem Verein „Rote Hilfe“ einen Spendenscheck überreicht hatte. Diese Organisation gehört zum linksextremen Spektrum, allerdings noch im legalen und sogar mit der Politik eng verflochtenen Bereich. Die Berliner SPD-Politikerin Franziska Drohsel beispielsweise gehörte ihr in früheren Jahren an (Meyen dagegen nie). Einen Antrag der AfD im Parlament von Nordrhein-Westfalen, das Land möge auf ein Verbot des Vereins hinwirken, lehnten 2019 alle anderen Fraktionen ab, auch die von CDU und FDP.
Der langen Aufzählung folgt eine kurze Bemerkung der Untersuchungsführer: Kein einziges der Zitate stammt von Meyen selbst. Der schrieb zwar auch einige Beiträge für das Nischenblatt – nur fand sich dort offenbar noch nicht einmal ein verfänglicher Halbsatz. Seine Vergehen bestehen also aus der Nähe zu einem extremistischen Verein, die so weit zurückliegt, dass in der Zeit sogar schwere Straftaten verjährt wären – und einer siebentägigen Herausgeberschaft einer winzigen Zeitung, die nach Ansicht von Verfassungsschützern den Staat in seinen Grundfesten bedroht. Als Kurzzeit-Herausgeber, sagt Meyen, habe er weder Einfluss auf die Themensetzung gehabt noch einzelne Beiträge vorab überhaupt gekannt. Dafür spricht einiges; die Blattmacher erklärten auch schon einmal den greisen italienischen Philosophen Giorgio Agamben zu ihrem Herausgeber; auf Nachfrage erklärte Agamben damals, er höre zum ersten Mal von der Existenz der Zeitschrift. Zeugen aus der Redaktion, die Meyen benannte, hörten die Untersuchungsführer gar nicht erst an. Ach ja: Die Landesanwaltschaft Bayern wirft dem Professor außerdem vor, er vertrete die These von der eingeschränkten Meinungsfreiheit in Deutschland.
Natürlich wissen die untersuchungsführenden bayerischen Beamten, dass es nach den gleichen Maßstäben bundesweit Verfahren gegen Professoren geben müsste. Das radikallinke Jacobin Magazin, das unter anderem die DDR und ehemalige SED-Funktionäre verklärt, gibt sich nicht weniger radikal als der „Demokratische Widerstand“; zu seinen Autoren gehören etliche Hochschullehrer, etwa der Philosoph Robin Celikates (FU) und der Soziologe Linus Westheuser (Humboldt-Universität), die deshalb natürlich nicht in Schwierigkeiten gerieten. Was auch an der überwiegend wohlwollenden medialen Wahrnehmung des Jacobin Magazins liegt.
Nichts von dem, was ihnen bisher widerfuhr, erlebten Wissenschaftler in den USA in der Regierungszeit Trumps auch nur andeutungsweise. Und wenn: Die Geschichte, dass ein Professor nicht mehr in seinen Hörsaal darf, weil sein Buch dem Inlandsgeheimdienst missfällt, wäre jedenfalls ein Dauerbrenner von CNN und New York Times bis Tagesthemen und Spiegel.
Bei den ARD-Tagesthemen muss sich die Redaktion jedenfalls mit anderen Geschichten und Kronzeuginnen begnügen.
Alle Medien, die sich um die Wissenschaftsfreiheit in Amerika so sehr sorgen, wie sie sich an der Jagd auf „rechte“ Professoren und „Verschwörungstheoretiker“ in Deutschland hervortun, bemühen sich um irgendeine Begründung, was sie eigentlich daran so schlimm finden, wenn es neben tausenden linken und konformen Hochschullehrern im Land auch noch ein paar andere gibt. Dass auch die wenigen Konsensabweichler keinen Lehrstuhl verdienen, versteht sich für sie von selbst. Wer nicht zu ihrem Milieu gehört, könnte zu dem Schluss kommen, dass ein Land, in dem eine Nancy Faeser und ein Sven Hüber über weitreichenden Einfluss verfügen, auch einen Wagener, einen Maninger und einen Meyen in Lehrämtern aushalten sollte.
Noch-Wissenschaftsminister Cem Özdemir hofft wie viele andere auf einen zurzeit noch nicht erkennbar, ihrer Meinung nach aber bald anschwellenden Strom von Wissenschaftlern aus den USA, die in der Bundesrepublik Zuflucht vor Trump suchen. „Wir haben“, so Özdemir, „in Deutschland einen Standortvorteil: Freiheit“.