Adieu Karl! Wie Lauterbach die mediale Öffentlichkeit bloßgestellt hat

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Bildquelle: Apollo News

Über den scheidenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach war im Spiegel vor einigen Tagen das Folgende zu lesen: „Lauterbach war angetreten, um evidenzbasierte Politik zu machen. Fakten, Empirie – das war sein Credo, mit dem er in der Pandemie viele Talkshowauftritte bestritt. Jetzt wirkt es so, als hätte sich der Zeitgeist gegen ihn gewendet. Vor einigen Wochen saß Lauterbach wieder in einer Talkshow, es ging um das Coronavirus. In der Runde waren alte Bekannte: Alena Buyx, die ehemalige Chefin des Deutschen Ethikrats, daneben drei Männer, die wissenschaftlich teils stark umstrittene Aussagen vertreten: Jonas Schmidt-Chanasit, Alexander Kekulé und Hendrik Streeck. Sie verbündeten sich gegen Lauterbach, erhoben mitunter krude Vorwürfe gegen ihn. Im Fernsehen sah es so aus, als wäre es nun Lauterbach, der eine obskure Minderheitenmeinung vertritt. Ausgerechnet er, der Wissenschaftlichkeit zu seinem Markenzeichen gemacht hat, erschien als Außenseiter.“

Ich habe die Passage in einem Tweet gelesen und musste mich danach erst einmal vergewissern, dass es sich dabei nicht um einen Fake handelt. Aber nein, genau so wurde der Text am 25. April in der Print-Ausgabe des Spiegels tatsächlich abgedruckt. Und um es gleich vorweg zu sagen: Alles, wirklich alles, daran ist so schief, dass sich die Balken biegen – und natürlich Quatsch, totaler Quatsch um genau zu sein. Einer der angesprochenen Wissenschaftler, der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit kommentierte den zitierten Auszug des Spiegel-Artikels auf X denn auch mit den Worten: „Ich musste heute sehr lachen, als ich den Artikel von Milena Hassenkamp gelesen habe. So viel unfreiwillige Komik – der Spiegel entwickelt sich langsam zu einem guten Satiremagazin. Viele Grüße an die Redaktion von Spiegel-Politik – macht weiter so!“

Geschrieben hat den Artikel über Lauterbach die Journalistin Milena Hassenkamp, die nach einem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, einer Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule und Stationen bei der Süddeutschen und der Zeit seit Dezember 2018 als Redakteurin im Hauptstadtbüro des Spiegels tätig ist. Und nicht trotz, sondern gerade wegen der unfreiwilligen Komik ihrer Ausführungen, verrät Hassenkamp eine Menge von dem, das das Phänomen Karl Lauterbach und seinen Aufstieg bis in führende Regierungsämter erklärt. Denn erklärungsbedürftig ist dieser Aufstieg ja allemal.

Karl Lauterbach war bis 2020 ein unbedeutender parlamentarischer Hinterbänkler, dem lediglich durch seine beiden Markenzeichen – die charakteristische Fliege und seine ebenso sonderbare Sprechweise – etwas mediale Beachtung zuteil wurde. Und schon damals zeigte sich: Karl Lauterbach ist ein reines Medienphänomen. Offen zutage trat das spätestens während der Pandemie – und Hassenkamp legt mit ihrem Text ein beredtes Zeugnis davon ab.

Lauterbachs Erfolgsrezept in der Pandemie bestand weitgehend darin, einer medialen Öffentlichkeit, die naturwissenschaftlich noch weniger Ahnung als er selber hat und geradezu idealtypisch durch Journalisten wie Hassenkamp repräsentiert wird, vorzugaukeln, er selbst sei der Inbegriff von Wissenschaftlichkeit. Wie durchschlagend erfolgreich Lauterbachs Selbstdarstellung zumindest in weiten Teilen der etablierten deutschen Medienlandschaft war, zeigt sich, wenn Lauterbach im Spiegel selbst heute noch als Hohepriester der Wissenschaft verklärt, tatsächlichen Fachwissenschaftlern hingegen die Seriosität abgesprochen wird.

Lauterbachs Erfolg war zu gleichen Teilen das Ergebnis einer kalkulierten Selbstinszenierung und einer Medienöffentlichkeit, die sich in der unsicheren und ungewissen Zeit der Pandemie nach einem Heiland sehnte und sich von Lauterbach, in dem sie den Retter erblickte, willenlos verzaubern ließ.

Sein medialer Siegeszug, der ihn schließlich bis ins Gesundheitsministerium führen sollte, begann Anfang März 2020. Am 6. März saß Lauterbach – zu diesem Zeitpunkt lediglich einfacher SPD- Bundestagsabgeordneter – zum ersten Mal als Gast in der Talkshow von Markus Lanz. Doch das sollte bei weitem kein einmaliges Ereignis bleiben. Ganz im Gegenteil: Lauterbach bei Illner, Maischberger oder Lanz als Diskutanten sitzen oder zugeschaltet zu sehen, wurde bald fester Bestandteil des pandemischen Alltags. Mit dem Auftauchen des Coronavirus und dessen medialer Dauerpräsenz endete Lauterbachs bisher eher amüsant beäugtes Hinterbänkler-Dasein. Über Nacht, von einem auf den anderen Tag, wurde er plötzlich zu einem der nachgefragtesten und bekanntesten öffentlichen Personen der Bundesrepublik.

Teilte er sich 2020 mit 14 Auftritten noch gemeinsam mit dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier den ersten Platz auf der Liste der Talkshow-Gäste mit den meisten Fernsehauftritten, so avancierte er 2021 mit unglaublichen und bislang unerreichten 29 Talkshowauftritten zum unangefochtenen Spitzenreiter in dieser Kategorie. Von diesen insgesamt 43 Auftritten gehen 28 alleine auf das Konto von Markus Lanz.

Sowohl für 2020 als auch 2021 belegte Lauterbach damit bei Lanz den zweiten Rang. Häufiger eingeladen wurden nur Elmar Theveßen (2020) und Robin Alexander (2021). Zum Vergleich: Der tatsächlich qua seines Amtes für Pandemiemanagement und die Gesundheitspolitik in Deutschland verantwortliche Jens Spahn war in den ersten beiden Pandemiejahren insgesamt nur elf Mal Talkshow-Gast. Und das, obwohl dort das Pandemiegeschehen das mit weitem Abstand am häufigsten besprochene Themenkomplex war.

Zeitweise war Lauterbach in der deutschen öffentlich-rechtlichen Talkshow-Landschaft so dermaßen omnipräsent, dass es, wenn vom ZDF wieder einmal ein weiterer Lauterbach-Auftritt angekündigt wurde, auf Twitter bald regelmäßig scherzeshalber hieß: „Morgen ist Markus Lanz zu Gast bei Karl Lauterbach!“. Aber nicht nur in Talkshows, auch allgemein wurde er im Vergleich zu anderen Experten in der medialen Berichterstattung zunehmend dominanter. Im Januar 2021 löste er Christian Drosten als öffentlich präsentesten „Pandemie-Experten“ ab, gab diesen Status bis zum Ende aller staatlichen Corona-Maßnahmen nicht mehr ab.

Durch seine zahlreichen Auftritte erarbeitete er sich dabei rasch das Image eines „Mahners vom Fach“ und wurde zur Symbolfigur, zur Personifikation einer möglichst restriktiven Corona-Politik. Immer mehr verschwamm und verwischte bei all dem Mahnen, Warnen und Spekulieren dann aber auch die Trennlinie zwischen Lauterbach dem SPD-Politiker und Lauterbach dem „Wissenschaftler“. Irgendwann war für den durchschnittlichen Bürger nicht mehr zu unterscheiden, ob er gerade eigentlich im Namen seiner Partei oder im Namen „der Wissenschaft“ spricht.

Einem Großteil der tendenziell obrigkeitsnahen deutschen Medienlandschaft, die sich zwar anderthalb Jahre maßlos über den föderalstaatlichen „Flickenteppich“ und die daraus resultierende Uneinheitlichkeit der Corona-Regeln, nicht aber über dessen Unverhältnismäßigkeit beschwerte, erschien Lauterbach durch seine Doppelrolle gleichwohl als die Idealbesetzung für den Posten des Gesundheitsministers. In ihm erblickten eine Mehrheit verängstigter Journalisten und Publizisten, Twitter-Zwangsneurotiker und senile Lanz-Zuschauer den starken Mann, der mit konsequent harter Hand ein für alle Mal dieses tückische Virus des Landes verweisen und Deutschland ins Paradies der Virenfreiheit führen würde.

Als dann Anfang Dezember 2021 angesichts des vorläufigen Höhepunkts der Pandemie die Benennung eines Nachfolgers für Jens Spahn als eine der spannendsten Fragen der Koalitionsverhandlungen galt, war Karl Lauterbach wenig überraschend einer der aussichtsreichsten Kandidaten. Am 6. Dezember 2021 war es dann tatsächlich so weit: Lauterbach wurde Gesundheitsminister – der größte politische Erfolg seiner Karriere. Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, twitterte aus diesem Anlass euphorisch: „Nikolaus ist, wenn Wünsche erfüllt werden. Ihr wolltet ihn – ihr kriegt ihn. Gesundheitsminister Karl Lauterbach!“

Dieser Tag war für Journalisten des Typus Hassenkamp und bei den auf Twitter unter dem Namen „Rotpunkt-Fraktion“ bekannten Corona-Panikern neben dem Tag ihrer Impftermine vermutlich der glücklichste Tag der Pandemie. Lauterbach ist es als wahrscheinlich erstem deutschen Politiker gelungen, sich alleine durch sein Twitter-Auftreten und seine symbiotische Beziehung zur deutschen Talkshow- und Medienlandschaft zum Minister aufzuschwingen. Für eine orthodox szientistische Öffentlichkeit, die „die Wissenschaft“ während der Pandemie zur einzigen Legitimationsgrundlage von Politik erklärte, mimte Lauterbach fortan den Ober-Wissenschaftler.

Spätestens als Gesundheitsminister zeigte sich aber, dass Lauterbach kein ernstzunehmender Experte, sondern vielmehr ein professioneller Wissenschafts-Simulant ist, dessen Kernkompetenz in erster Linie darin besteht, wissenschaftliche Expertise vorzutäuschen und seine Politik damit gegen „Kritik“ naturwissenschaftlich maximal halbgebildeter Journalisten und Faktenchecker zu immunisieren. Munter tingelte er von Pressekonferenz zu Pressekonferenz, von Talkshow zu Talkshow und wurde dort regelmäßig in völliger Verkennung zu seiner eigentlichen Qualifikation fälschlich als Epidemiologe und bisweilen sogar als Virologe vorgestellt.

Tatsächlich aber versteht Lauterbach von empirischer Wissenschaft in etwa so viel, wie sein ehemaliger Ministerkollege Robert Habeck von Ökonomie. Aufgefallen ist das alleine deshalb nicht, weil die überwältigende Mehrheit derer, die hierzulande politische Debatten und die öffentliche Meinung prägen, sogar noch weniger mit (Natur-)Wissenschaft am Hut hat als Lauterbach. Und weil Lauterbachs rigider Kurs auf einer Linie mit den moralischen Vorstellungen vieler Journalisten lag, ist diesen in ihrer Voreingenommenheit jegliches Interesse daran abhandengekommen, seinen Kurs kritisch zu hinterfragen.

Auch die lange Reihe Lauterbachscher Täuschungen, Fehltritte und Irrtümer war nicht imstande, daran etwas zu ändern. Bald täglich lieferte Lauterbach mit skurrilen Tweets, absurden Fehlinterpretationen von Studien, sich widersprechenden öffentlichen Statements, peinlichen Pressekonferenzen, grotesken Talkshowauftritten und seiner monothematischen Verengung der Gesundheitspolitik auf das Management der Pandemie Anlässe für eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Politik. Der Kaiser war nackt – die Entlarvung Lauterbachs wäre ein Leichtes gewesen, doch bis zuletzt geschah dies nicht; Lauterbach genoss in der Öffentlichkeit weitgehende Narrenfreiheit.

Ob „Pandemie der Ungeimpften“, „nebenwirkungsfreie Impfung“, oder die Aussage, eine staatliche Impfpflicht führe letztlich dazu, dass man sich freiwillig impfen lasse: Nichts davon ist Lauterbach je ernsthaft auf die Füße gefallen. Selbst als die kritischen Stimmen aus der Fachwelt immer lauter wurden, sah man darin keinen Anlass, die eigene Position und Lauterbachs Politik anzuzweifeln. Stattdessen ignorierte man renommierteste Kritiker oder verwies sie plump in das Reich der Pseudowissenschaften.

Aber daran, dass Lauterbach alles, nur nicht Wissenschaftlichkeit verkörperte, konnte schon damals kein Zweifel bestehen: Im Sommer 2022 teilte Lauterbach auf Twitter eine von ihm als „Mega-Studie“ angepriesene Metaanalyse zu Gesichtsmasken, die von der Fachwelt gerdazu in der Luft zerrissen wurde. Francois Balloux, Direktor des Instituts für Genetik am University College London, schrieb etwa, er finde es schwierig herauszufinden, „ob diese Studie ein epischer Troll ist, eine Art von absurder Performance-Kunst oder einfach nur auf intergalaktische Inkompetenz zurückzuführen ist.“ Kurz darauf wurde diese „Studie“ vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung daher zur „Unstatistik“ des Monats August gekürt.

In ihrem Beitrag schrieben die Autoren: „Es ist verständlich, dass ein Gesundheitsminister nicht die Zeit hat, die Vielzahl der Studien gründlich zu lesen. Aber er sollte eigentlich Hilfe erhalten. Sich auf einen schlecht gemachten Preprint zu berufen, kann seinem Anliegen mehr schaden als es nutzt.“ Die vornehme akademische Zurückhaltung, die sie seinerzeit zum Ausdruck brachten, war zwar rührend, konnte aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Lauterbach innerhalb der Fachwelt kaum noch ernst genommen wurde.

Angesichts der schieren Fülle und Frequenz, mit der Lauterbach seine Widersprüchlichkeiten und Unsinnigkeiten verbreitete, gaben viele renommierte Forscher aber bald schon jegliche Zurückhaltung auf: Gerd Antes, Medizinstatistiker und Mitbegründer des „Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin“ bezeichnete die unter Lauterbachs Regie durchgeführte Novellierung des Infektionsschutzgesetz für „evidenzfreien Quatsch“, Lauterbachs wirre Ausführungen zu Booster-Impfungen für „Märchenstunden“ und „Wissenschaftsbeschädigung“.

Klaus Stöhr, Epidemiologe und ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms bei der WHO und Andreas Radbruch, Immunologe und Leiter des Deutschen-Rheuma-Forschungszentrums, verschlug es bei den Einlassungen Lauterbachs sogar zunehmend die Sprache: Als Lauterbach in seiner unnachahmlichen Weise auf einer Bundespressekonferenz in der Spätphase der Pandemie wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der Covid-Impfstoffe mal wieder recht eigenwillig interpretierte, reagierten beide völlig fassungslos.

Der sonst diskussionsfreudige Radbruch hatte schlicht keine Lust mehr, auf diesen Unsinn argumentativ einzugehen und schrieb, dass das Ganze ihm „irgendwie zu blöd“ sei. Stöhr tat es ihm gleich und teilte den Video-Ausschnitt mit dem Kommentar „Ohne Worte“. Antes zog nach und schrieb: „wie immer evidenzfrei“ und „Was ist die Steigerung von fassungslos?“.

Die Reihe solcher und ähnlicher Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Nur einer weitgehend ideologisch voreingenommenen und unkritischen vierten Gewalt, die Lauterbachs regelmäßige Fehlschläge kaum einmal problematisierte, war es zu verdanken, dass er sich bis zum Ende der Ampel-Koalition auf seinem Posten halten konnte. In Erinnerung bleiben wird er letztlich nur für seine Rolle während der Corona-Politik, die ihn großgemacht und danach wieder in die Bedeutungslosigkeit entlassen hat. Die strukturellen Probleme im Gesundheitswesen, insbesondere im Bereich der Pflege, hat Lauterbach auch trotz einer Krankenhausreform nicht behoben.

Anerkennen muss man allerdings seine Leistung, das mediale Establishment über seine gesamte Amtszeit hinweg erfolgreich verzaubert und davon überzeugt zu haben, er spreche stets im Namen „der Wissenschaft“. In früheren Zeiten hat der Volksmund Herrschern noch zu Lebzeiten oder posthum häufig Beinamen wie „der Große“ oder „der Weise“ verpasst. Wollte man Lauterbach einen solchen geben, wäre „Karl der Täuscher“ wohl der aussichtsreichste Kandidat.

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