
Wie positioniert sich Deutschlands größte Oppositionspartei, die AfD, im schwelenden Konflikt zwischen Israel und Iran? Wie bewertet sie den Beschuss von Nuklearanlagen durch US-Präsident Donald Trump? Und: Welches Israelbild bestimmt die deutsche Rechtspartei? All jene Fragen führten vergangene Woche zu teils emotionalen Debatten in der AfD. Nun liegt NIUS exklusiv ein Positionspapier vor, das 20 Außenpolitiker erarbeitet haben. Es ist in sieben Unterpunkte gegliedert – und soll am Dienstag in der Bundestagsfraktion verabschiedet werden.
Schon der erste Punkt ist bemerkenswert. So beginnt das Papier mit einem Bekenntnis: „Die AfD-Fraktion steht entschieden hinter dem Existenzrecht Israels. Israel hat ein legitimes Recht auf Sicherheit“, heißt es gleich zu Beginn. Im iranischen Atomprogramm sehe man eine Bedrohung nicht nur für den jüdischen Staat, sondern auch für die „regionale und europäische Sicherheit“.
Gleichzeitig wollen die AfD-Außenpolitiker das Recht des Irans auf die zivile Nutzung der Kernenergie anerkennen, koppeln dies jedoch an strenge Bedingungen. Um zu beweisen, dass keine militärischen Absichten verfolgt werden, müsse Teheran internationale Kontrollen zulassen. „Der Iran muss aber seine Nuklearanlagen und Nuklearforschungseinrichtungen für unabhängige internationale Organisationen sowie für diplomatische Missionen westlicher Staaten öffnen, um seine Behauptung zu untermauern, nicht an der Herstellung von Kernwaffen zu arbeiten.“
Die Fachpolitiker sprechen Israel das Recht zu, gegen eine drohende nukleare Bedrohung vorzugehen, betonen aber die Notwendigkeit von Transparenz. Sollte ein Angriff auf iranische Nuklearanlagen notwendig werden, müsse Israel die Beweise für die Bedrohung offenlegen. „Israel wäre in seinem Vorgehen gegen den Iran dann gerechtfertigt, wenn die Herstellung iranischer Nuklearwaffen absehbar bevorstünde. Die israelische Regierung ist im Sinne der Transparenz gefordert, alle Fakten, die belegen, dass eine Bedrohung Israels durch das iranische Atomprogramm vorliegt, der internationalen Öffentlichkeit [...] zu präsentieren“, so das Papier.
Ein zentrales Anliegen sei zudem die Verhinderung von Instabilität im Nahen Osten, da diese oft zu Massenmigration nach Europa führe. „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eine Destabilisierung des Nahen Ostens nicht im deutschen Interesse liegt, da hierdurch große Migrationsbewegungen nach Europa ausgelöst werden können. Deutschland ist erfahrungsgemäß am stärksten von solchen Migrationsströmen betroffen.“ Neben einem „robusten nationalen und europäischen Grenzschutz“ müsse es daher „oberstes Ziel der deutschen Außenpolitik“ sein, die Region zu „befrieden“.
AfD-Außenpolitiker Markus Frohnmaier erarbeite das Papier.
Punkt 5 hingegen betrifft sie Sicherung internationaler Handelswege, insbesondere der Straße von Hormus, die für die deutsche Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sei. „Die Freiheit der Handelswege ist ein überragendes Interesse Deutschlands und seiner Wirtschaft. Die Straße von Hormus muss daher uneingeschränkt für Handel und Rohstoffe offen bleiben.“ Am Sonntag, nach dem Angriff der USA, hatte sich das Parlament in Teheran für die Sperrung der Schifffahrtsstraße von Hormus ausgesprochen. Auf der Seestraße, die den Persischen Golf mit dem Golf von Oman verbindet, werden 30 Prozent des weltweit gehandelten Öls und ein Drittel des Flüssiggases (LNG) transportiert. Ein solches Embargo könnte veheerende Folgen für den Westen haben.
Angesichts der jüngsten Angriffe, die Teile der iranischen Nuklearkapazitäten geschwächt haben, wünsche man sich nun ein Primat der Diplomatie. „Aufgrund der teilweise bereits erfolgreichen Ausschaltung der iranischen Nuklearkapazitäten durch die Angriffe besteht derzeit keine zwingende Notwendigkeit mehr, den Konflikt militärisch fortzusetzen. Wir fordern daher einen Waffenstillstand verbunden mit direkten Verhandlungen, die zum Ziel haben müssen, die Herstellung von hoch angereichertem Uran durch den Iran auszuschließen.“
Ein Öltanker auf der „Straße von Hormus“
Das Positionspapier war dabei vor dem vergangenen Wochenende erarbeitet worden. In der Nacht von Samstag auf Sonntag bombardierte US-Präsident Donald Trump drei Standorte in Iran, um die Uran-Anreicherungskapazitäten des Staates nachhaltig zu schwächen. Zahlreiche AfD-Mitglieder zeigten sich angesichts des Schlags regelrecht empört und kritisierten Trump dafür, das zentrale Wahlversprechen der Friedenspräsidentschaft zu brechen. Der Angriff sei laut des außenpolitischen Sprechers, Markus Frohnmaier, aber nicht überraschend gewesen. „In den vergangenen Tagen hat Teheran keinerlei glaubwürdige Signale eines Verzichts auf die Entwicklung nuklearer Waffen gesendet“, so Frohnmaier gegenüber NIUS.
„Angesichts der nun offenbar erheblich geschwächten nuklearen Infrastruktur des Iran und der Einschätzung des israelischen Außenministers, wonach das Atomprogramm des Landes um Jahre zurückgeworfen wurde, ist es dringend erforderlich, alle diplomatischen Bemühungen auf die Erreichung eines Waffenstillstands zu konzentrieren“, teilte der außenpolitische Sprecher weiter mit. Für einen nachhaltigen Frieden müsse der Iran seine Unterstützung für islamistischen Terrorismus beenden und von seinem Ziel, Israel zu vernichten, ausdrücklich abrücken, so Frohnmaier. Der 34-jährige Baden-Württemberger, der als Vertrauer Alice Weidels gilt, war federführend an der Ausarbeitung des Sieben-Punkte-Papiers beteiligt.
Die AfD-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel hatten am Sonntag ebenfalls die Wichtigkeit von „Diplomatie“ betont: „Die Angriffe auf den Iran dürfen nicht bis zu einem bitteren Ende weitergeführt werden. Friede durch ehrliche Diplomatie auf allen Seiten ist das, was auch US-Vizepräsident Vance unterstützt. Europa muss dabei den Weg der Vermittlung weitergehen, um im Interesse seiner Bürger eine Eskalation in der Golfregion zu stoppen“, hieß es in einem Statement.
Bereits vergangene Woche hatte sich die Doppelspitze dahingehend geäußert, „die Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz, der den ,Krieg als Drecksarbeit für uns alle‘ bezeichnet hat, [...] in aller Schärfe als pietätlos und schädlich für Deutschlands Ansehen“ zurückzuweisen. Aktiv zum Krieg beizutragen, so die Parteivorsitzenden, sei nicht im Interesse Deutschlands und Europas. Nach Informationen von NIUS wurde die Stellungnahme gänzlich vom Mitarbeiterstab Chrupallas erarbeitet und formuliert; Weidel war daran nicht beteiligt, setzte aber am Ende ihren Namen darüber.
Im Nachgang der Äußerungen kritisierten zahlreiche Kommentatoren – angesichts von Wortwahl, der fehlenden Verurteilung der Politik Teherans und des Ausbleibens der Kritik an Mullah-Regime und Islamismus – das Statement der Parteichefs.
Auf sozialen Medien entbrannte zwischenzeitlich ein regelrechter Dissens zwischen Parteipolitikern und -unterstützern verschiedener Flügel: So warfen israelkritische Parteimitglieder und Anhänger einer souveränistisch-multipolaren Außenpolitik, darunter mehrere Ostverbände und das sogenannte „Vorfeld“, dem eher pro-israelischen liberalkonservativen Block (darunter etwa Beatrix von Storch) immer wieder vor, sich Israel und den USA zu sehr anzubiedern. Das pro-westliche Lager wiederum beharrte darauf, den schiitischen Islamismus und die Mullahs als Ursache des Problems zu benennen und sich solidarisch mit Israel zu zeigen. Die „Juden in der AfD“, eine kleine Gruppierung, die sich pro-israelisch positioniert, kritisierte in diesem Zusammenhang die Wortwahl und Tonalität von Weidel und Chrupalla.
Auch NIUS hatte die innerparteiliche Debatte innerhalb der AfD aufgegriffen: Am Freitag führte NIUS-Redakteur Alexander Kissler bei NIUS LIVE ein 20-minütiges Streitgespräch mit Beatrix von Storch, die die Linie ihrer Partei weitgehend verteidigte. Daraufhin hatte AfD-Politiker Torben Braga, der als Anhänger des multipolaren Lagers gilt, das NIUS-Interview als „Zumutung“ bezeichnet, mitsamt „absurder Vorwürfen“ gegenüber seiner Partei.
Die Flügelkämpfe, so heißt es nun aus dem Arbeitskreis Außenpolitik, sollen ein Ende haben. Man wolle künftig mit einer Stimme sprechen, professioneller auftreten und eine Außenpolitik „aus einem Guss“ formulieren. Nach Informationen von NIUS soll der Entwurf des Frohnmaier-Positionspapiers von den 20 Außenpolitikern, darunter Dr. Alexander Gauland, Jan Wenzel Schmidt, Gottfried Curio und Torben Braga, abgenickt worden sein – und am Dienstagvormittag im Arbeitskreis final diskutiert werden, bevor es abends in der Bundestagsfraktion verabschiedet werden könnte. Rechtlich bindend ist das Papier indes nicht, vielmehr stellt es eine außenpolitische Selbstverortung dar.
Dass es den Wunsch nach Ordnung in der emotionalisierten Debatte gibt, liegt womöglich auch daran, dass mehrere AfD-Politiker gegenüber NIUS berichten, dass es sich bei den Flügeln um zwei lautstarke Minderheiten handele – und es eine stille Mehrheit gebe. Der Großteil der Fraktion würde eher darauf pochen, das Thema des Nahostkonflikts möglichst zu meiden und nicht künstlich größer zu machen. Aus Fraktionskreisen heißt es, der AfD gehe es stets um Deutschland – und dementsprechend sollte Deutschland auch im Mittelpunkt der Debatten stehen. „Den AfD-Wähler interessiert das Thema nicht so sehr, wie es die Medien interessiert.“
Das Papier endet immerhin mit einem Punkt, bei dem sich die allermeisten Anhänger einig sein dürften: So warnt die Partei, den Konflikt zwischen Israel und Iran in Deutschland auszutragen – und fordert harte Maßnahmen gegen die Eskalation auf deutschen Straßen. „Der Konflikt zwischen Israel und Iran darf nicht nach Deutschland importiert werden. Ausländer, welche diesen Konflikt nutzen, um religiöse oder ethnische Konflikte zu schüren, sind aus Deutschland konsequent auszuweisen. Jeglichen antisemitischen Ausschreitungen muss mit aller Härte des Gesetzes begegnet werden.“
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