AfD probiert es mit Kreide – „Remigration“ fehlt in Grundsatzpapier

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Linke mögen ihre Gegner gerne platt. Das ist die Ebene, auf der sie sich wohl fühlen. Die AfD-Fraktion im Bundestag hat sich an diesem Wochenende zu einer Klausur zurückgezogen, um ein politisches Grundsatzpapier zu erarbeiten. In der Berichterstattung linker Medien spielte vor allem das Vorhaben der Abgeordneten eine Rolle, Zwischenrufe im Parlament künftiger gezielter einsetzen zu wollen: spitz und treffend statt platt und häufig. Das ist die Ebene, auf der linke Medien die AfD haben wollen. Das erleichtert den Medienschaffenden die Eigenwahrnehmung und Fremddarstellung, sie seien die Guten und die AfD-Abgeordneten die Bösen. Details würden da stören.

Für die AfD ist das Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil es ihr schwerfällt, mit Themen durchzudringen. Seit gut zehn Jahren sitzt die Partei in Parlamenten. Allmählich erwarten die Anhänger, dass etwas passiert. Einem Teil genügt es, wenn die AfD ihre Forderungen definiert und von denen der Konkurrenz abgrenzt. Doch es gibt auch Anhänger, denen das zu komplex ist. Die sich und anderen sagen: Ich habe die gewählt, die sollen was machen.

Mit dem Grundsatzpapier hat die Fraktion nun eine geschlossene Sicht auf die Dinge. Punkt eins von sieben ist ihr Thema Nummer eins. Der Kampf gegen die illegale Einwanderung. Der hat der einstigen Professoren-Partei, die im Kampf gegen die Euro-Rettung der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gegründet worden war, seit 2015 zum Durchbruch und weiteren Wachstum verholfen. Die einzige Partei zu sein, die in diesem Feld bisher die Probleme beim Namen nennt, ist das Alleinstellungsmerkmal und wichtigste Verkaufsargument der AfD.

Manchen mag es nur wie ein Detail vorkommen, dass der Punkt Kampf gegen die illegale Einwanderung nun unter der Überschrift „Innere Sicherheit für Deutschland“ läuft. Aber es ist ein durchaus wichtiges Detail. Die AfD ändert sich zwar inhaltlich mit dem Papier nicht. Sie will weiterhin unberechtigte Einreisen verhindern, Pull-Faktoren abschaffen, nach Syrien oder Afghanistan abschieben, den Anspruch auf Einbürgerung abschaffen, „Nulltoleranz“ gegen Gewaltkriminalität zeigen und den „Islamismus als größte Sicherheitsgefahr für Deutschland benennen und bekämpfen“. Aber auf den Begriff „Remigration“ verzichtet die Fraktion. Im Abschnitt zum Wohnungsbau heißt es nur: „Illegale Zuwanderung stoppen“.

Das Vorhaben, verbale Stiche im Bundestag gezielter setzen zu wollen. Die Überschrift mit der inneren Sicherheit statt dem Kampf gegen illegale Einwanderung. Der Verzicht auf das Wort „Remigration“. Zusammen ergibt das ein Bild. Das aus dem Märchen, in dem der Wolf sich mit Kreide eine angenehmere Stimme verschafft, um ein Wolf bleiben zu können für die, die das mögen, ohne auf die wie ein Raubtier zu wirken, die Angst haben müssten, zu seinem Opfer zu werden.

Dass linke Medien, die in der deutschen Medienlandschaft mehr als eine Drei-Viertel-Mehrheit stellen, sich so konsequent weigern, die inhaltliche Arbeit der AfD aufzugreifen, ist für die Partei auch und meistens ein Segen. So enthält das Grundsatzpapier der Fraktion viele Forderungen, die in der Zielgruppe nicht im Geringsten kontrovers sind: Einkommens- und Körperschaftssteuer senken, Lieferkettengesetz abschaffen, Verbrennermotoren weiterhin erlauben, Stromsteuer für alle senken oder staatliche Zuteilung von Wohnungen verhindern. Das ist das Programm einer Oppositionspartei. Als solches durchaus gelungen.

Doch Regierungsparteien müssen künftig auch unangenehme Dinge angehen. Zwar haben Angela Merkel, Ampel und auch schon Schwarz-Rot fraglos fatale Fehler gemacht. Aber selbst eine Regierung, die alles richtig machen würde, hätte Entscheidungen zu treffen, die nicht allen gefallen – können. Diese Punkte sind den AfD-Abgeordneten durchaus bewusst. In ihrem Papier umschiffen sie diese offensichtlich oder bleiben an den entsprechenden Stellen reichlich unpräzise.

Etwa die Rente. Die AfD-Fraktion will das Rentenniveau anheben. Gut. Mehr Geld für verdiente Senioren. Wer könnte da etwas dagegen haben? Grundsätzlich. Die Fraktion will ein „Junior-Spardepot für jedes Kind“ einführen. Vorsorge für Kinder. Auch super. Wobei sich erste Fragen zu Details stellen. Und die Fraktion verspricht finanzielle Entlastungen für Familien, damit die wieder mehr Kinder bekommen. Nur: Wenn das funktioniert, greift es frühestens in 15 bis 20 Jahren. Und ob sich Soziologiestudentinnen aus reicher Familie für eine frühe Schwangerschaft entscheiden, weil der Stadt 80 Euro für die Krippe dazugibt?

Wie sie mit der Kostensituation in der Rente umgehen will, verrät die Fraktion in ihrem Papier nicht. Das ist aber für redlich arbeitende Parteien eine entscheidende – und relevante – Frage. Die deutsche Bevölkerung wird älter, die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente. Das treibt die Kosten für die Rente in die Höhe und schwächt die Wirtschaft, die diese Kosten wieder einspielen muss. Wer in der Situation das Rentenniveau anheben will, wird die Frage beantworten müssen, wie er das bezahlt. Spätestens, wenn er in die Verantwortung einer Regierung wechselt.

In der Finanzierung der Rente fordert die AfD das gleiche wie die Sozialministerin der SPD, Bärbel Bas: „Politiker und zukünftige Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen.“ Der jährliche, staatliche Zuschuss für die Rente überschreitet dieses Jahr voraussichtlich zum ersten Mal 120 Milliarden Euro. Dazu kommen die Beiträge aus der Rentenversicherung. 18 Cent von jedem in Deutschland erarbeitenden Euro. Das an erster Stelle mit den Beiträgen von rund 5000 Politikern in Deutschland sanieren zu wollen, ist platter Populismus.

Mit der Rentenpflicht für Beamte stellt sich die AfD in die Ecke der SPD und anderer linker Parteien. Damit verlässt sie die eigenen wirtschaftsliberalen Wurzeln der Partei. Und sie übersieht eine Kleinigkeit: Wenn Beamte in die Rentenversicherung einbezahlen, dann wollen sie aus dieser auch etwas herausbekommen. Dieser Lösungsansatz bedeutet nicht mehr als einen Verschiebebahnhof für Probleme. Was sich in der Opposition gut anhört, hilft einem in der Regierung bestenfalls eine kurze Zeit.

Ähnlich unkonkret bleibt die AfD-Fraktion in der Russlandfrage: Sie will ein „Friedensabkommen verhandeln“. Schön. Warum nicht. Über den Frieden reden, war noch nie verkehrt. Nur: Was ist, wenn diese Verhandlungen scheitern? Wenn der mächtigste Mann der Welt an dieser Stelle sein Wahlversprechen bricht, brechen muss, dann lässt sich die Möglichkeit nicht komplett ausschließen, dass Alice Weidel oder Tino Chrupalla als Verhandlungsführer ebenfalls ohne Ergebnis aus Moskau nach Hause kommen könnten. Im auf die Verhandlungen folgenden Punkt fordert die Fraktion: „Keine Beteiligung an Konflikten ohne sicherheitspolitische Relevanz für Deutschland.“ Nur: Ist denn ein Angriffskrieg 800 Kilometer vor der eigenen Grenze „ohne sicherheitspolitische Relevanz für Deutschland“? Zumindest im AfD-Grundsatzpapier bleibt diese Frage unbeantwortet.

Immerhin spricht die AfD sich an dieser Stelle in einer strittigen Frage klar aus. Sie befürwortet die Rückkehr der Wehrpflicht. Wie sie auch für ein Comeback der Atomkraft ist. Und dafür, eine „Grundsicherung“ mit „Bürgerarbeit“ zu verbinden. Also das Bürgergeld in „Grundsicherung“ umbenennen – was auch die CDU fordert – und es mit einer Arbeitspflicht zu verbinden. Damit könnte die AfD auch manch eigenem Wähler wie ein böser Wolf erscheinen.

An der Stelle zeigt sich, welcher Segen es für die AfD ist, dass linke Parteien nicht auf ihre Inhalte eingehen. Das Bürgergeld ist – aus guten Gründen – unbeliebt. In seiner jetzigen Form fördert es das Nichtstun auf absurde Weise. Der Kampf gegen das Bürgergeld hat, intern erhobene Umfragen bestätigen das, der AfD politisch mindestens genauso geholfen wie der gegen die illegale Einwanderung.

Linke Medien wollen die AfD vernichten, indem sie deren Inhalte totschweigen. Was wieder einmal zeigt, dass sich für schlau zu halten das Gegenteil von schlau sein ist. Denn es hilft der Partei, wenn sie maximal gegen das Bürgergeld wettert, ohne zugeben zu müssen, dass auch sie nicht an dem Fakt vorbei käme, dass der Staat sich um Menschen kümmern muss, die nicht arbeiten. Immerhin ist ihre Fraktion ehrlich genug, die Forderung nach einer „Grundsicherung“ in ihrem Positionspapier festzuhalten. Gut für sie, dass darauf kein linkes Medium eingehen wird.

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