
Die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nimmt zu. Vor allem politische Einseitigkeit (Linksdrall), hohe Kosten (enorme Gehälter für Moderatoren und vor allem Intendanten) und die Zwangsgebühr für alle Haushalte werden beklagt. Die AfD will den Öffis in ihrer bisherigen Form den Stecker ziehen und sie durch einen „Grundfunk“ ersetzen. Wie stehen die Chancen dafür? NIUS beantwortet die wichtigsten Fragen.
Die Partei hält den ÖRR „in seiner heutigen Ausgestaltung“ für ein „Relikt aus den 50er Jahren“. Sie sieht ihn in einer Legitimations- und Glaubwürdigkeitskrise, immer weniger Menschen vertrauen dem ÖRR, aber Rundfunkgebühren sollen immer weiter steigen und Intendanten werden besser bezahlt als der Bundeskanzler. Die AfD wirft dem ÖRR vor, einseitig zugunsten linker, liberaler oder „Mainstream“-politischer Positionen zu berichten. Sie bezeichnet ihn als „Systemmedien“ oder „Staatsfunk“, der die Interessen der etablierten Parteien, insbesondere der Grünen, SPD und CDU, vertrete. Auch dass AfD-Politiker deutlich seltener in politische Talkshows eingeladen werden, wird oft bemängelt. Der Vorwurf der „Regierungspropaganda“ steht im Raum.
Besonders kritisiert wird die Berichterstattung über Themen wie Migration, Klimawandel, Genderpolitik oder die EU, die aus Sicht der AfD parteiisch und „indoktrinierend“ ist. Beispiele sind etwa die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise 2015 oder die Corona-„Pandemie“. In besonders haarsträubenden Fällen heißt es, der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk sei nicht mehr reformierbar, zu sehr seien die Strukturen verfestigt, die Journalisten mit links-grünen politischen Einstellungen zu sehr in der Überzahl und die Rundfunkräte zu parteiisch.
Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hat Ende 2023 angekündigt, als Ministerpräsident von Thüringen alle Rundfunkstaatsverträge kündigen zu wollen. Diese enthalten die zentralen Regelungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, geben den Sendeanstalten also den Auftrag, Programm zu gestalten.
Die AfD in Thüringen plant, das Budget des MDR um 90 Prozent zu kürzen und durch eine Steuer zu finanzieren, die etwa von Amazon und Netflix gezahlt werden soll. Außerdem will die Partei den ÖRR durch einen „Grundfunk“ ersetzen. Der soll für die Bürger komplett kostenfrei sein, was für jeden Haushalt eine jährliche Ersparnis von über 200 Euro bedeuten würde.
Die AfD verspricht einen gebührenfreien, abgespeckten „Grundfunk“.
Dieser Grundfunk sollte sich in Zukunft auf folgende Programmbereiche konzentrieren:Bildung, Nachrichten & Information, Kultur und Traditionen, Dokumentationen, Regionales, Notfall- und Katastropheninformationen, Amateur- und Breitensport, Hobby, Lebenshilfe & Verbraucherschutz. Für alles andere (Filme, Serien, große Sportereignisse) gebe es andere Sender. Regionale Rundfunkanstalten sollen jeweils nur noch ein Radio- und ein Fernsehprogramm betreiben, die Deutsche Welle erhalten bleiben, die übrigen Fernseh- und Radiosender privatisiert bzw. abgewickelt werden, „falls sich ein Käufer findet“.
Da die Politikferne bei Rundfunkräten nicht gegeben sei (tatsächlich sind nahezu alle Mitglieder Angehörige etablierter Parteien, von Staatskirchen-Zuwendungen abhängig oder staatlich Bedienstete), sollten diese künftig mit unabhängigen Experten, Zuschauern und Zuhörern sowie Vertretern der Kommunen besetzt werden. Partei- und Verbandsmitgliedschaften etc. müssen aus Transparenzgründen offengelegt werden.
Sollte die Allparteienkoalition gegen die AfD in Thüringen scheitern und Höcke tatsächlich Ministerpräsident werden, könnte er aufgrund eines Passus in der Landesverfassung die Staatsverträge (Art. 77 Abs. 2) mit ARD, ZDF und MDR kündigen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umbauen – und zwar im Alleingang, ohne den Landtag einbinden zu müssen.
Aber auch das würde nicht dazu führen, dass der Mitteldeutsche Rundfunk aufgelöst wird, denn der Sender strahlt seine Programme auch noch in Sachsen und Sachsen-Anhalt aus. Es handelt sich also um einen Dreiländerstaatsvertrag. Dennoch würde sich die Medienordnung dadurch fundamental verändern, die bundesweite Finanzierung des Rundfunks würde stark beeinträchtigt und Gremien müssten neu besetzt werden. Die Rundfunkanstalten wären auch nicht mehr berechtigt, ihren Sendebetrieb in Thüringen fortzusetzen. Mindestens zwei Jahre, denn so lang ist die Kündigungsfrist.
„Ja, dann macht der Höcke das“: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke würde die Staatsverträge kündigen.
Brisant: Der aktuell gültige Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro pro Monat und Haushalt geht auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurück – und nicht auf einen gültigen Staatsvertrag. Heißt: Der Rundfunkbeitrag müsste von den Menschen in Thüringen weiterbezahlt werden, bis etwas anderes an seine Stelle tritt.
Neben Thüringen gibt es weitere Bundesländer, deren Landesverfassungen ähnliche Regelungen enthalten, die es dem Ministerpräsidenten ermöglichen, Rundfunkstaatsverträge ohne Landtagszustimmung zu kündigen. Insbesondere gilt dies für Sachsen und Brandenburg, wo die Verfassungen ebenfalls keine explizite parlamentarische Zustimmung vorschreiben. Ein Austritt Sachsens würde den MDR gefährden, da zwei von drei Ländern aussteigen müssten, um den Sender aufzulösen.
Ähnliches gilt wahrscheinlich für weitere Länder wie Baden-Württemberg, Bayern, Hessen oder Nordrhein-Westfalen, da die Vertretung nach außen typischerweise dem Ministerpräsidenten obliegt.
Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Höhe des Rundfunkbeitrags kritisch sieht (2023 hielten nur 7 Prozent die derzeitige Höhe für angemessen). Die Kritik der AfD am ÖRR fällt auf fruchtbaren Boden, in sozialen Netzwerken wird des Öfteren die Forderung erhoben, den ÖRR „in Grund und Boden zu privatisieren“.
Politisch ist es komplizierter. CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke unterstützen den ÖRR in seiner grundsätzlichen Form und fordern nur partiell Reformen (z. B. weniger Spartenkanäle, mehr Effizienz). Diese Parteien würden sich einer Abschaffung widersetzen, was die politische Umsetzung erschwert.
Eine grundlegende Änderung der Medienordnung, die den ÖRR abschafft oder seine verfassungsrechtlichen Grundlagen (Rundfunkfreiheit, Staatsferne, funktionsgerechte Finanzierung) aufhebt, würde eine Verfassungsänderung erfordern. Dafür sind Zweidrittelmehrheiten im Bundestag und Bundesrat notwendig (Art. 79 GG) – derzeit noch sehr unrealistisch. Ohne Verfassungsänderung sind die grundlegenden Strukturen des ÖRR durch das Grundgesetz und die BVerfG-Rechtsprechung geschützt.
Die Pläne der AfD werden von manchen Juristen als verfassungswidrig und praktisch schwer umsetzbar eingestuft, da sie angeblich die Grundprinzipien der Rundfunkfreiheit, Staatsferne und funktionsgerechten Finanzierung verletzen würden.Stichwort Schutz der Meinungsfreiheit: Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert die Rundfunkfreiheit als Teil der Meinungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat wiederholt geurteilt, dass der ÖRR ein zentraler Bestandteil der freien Meinungsbildung in einer Demokratie ist. Er soll eine „Grundversorgung“ mit unabhängigen und pluralistischen Informationen sicherstellen. Jede Maßnahme, die den ÖRR in seiner Grundfunktion (unabhängige Grundversorgung) einschränkt oder abschafft, wäre verfassungswidrig und könnte vor dem BVerfG angefochten werden.
Das Bundesverfassungsgericht hielt bisher seine schützende Hand über den ÖRR.
Das BVerfG hat in mehreren Urteilen (z. B. „1. Rundfunkurteil“ von 1961 und „15. Rundfunkurteil“ von 2018) betont, dass der ÖRR „staatsfern“ organisiert und finanziert sein muss, um „unabhängig“ von politischen Einflüssen zu bleiben. Eine Finanzierung durch Steuern, wie von der AfD vorgeschlagen (z. B. durch Abgaben von Tech-Firmen), würde die Kontrolle der Finanzierung in die Hände der Politik legen und gegen das Gebot der Staatsferne verstoßen. Die Organisation des ÖRR (z. B. Rundfunkräte und Verwaltungsräte) ist so gestaltet, dass sie eine „breite gesellschaftliche Repräsentation“ sicherstellt, etwa durch Vertreter von Kirchen, Gewerkschaften, Kulturverbänden. Gerade die aber üben einen recht einseitigen Einfluss auf das ÖRR-Programm aus.
Insgesamt sind die rechtlichen Hürden so hoch, dass eine Abschaffung des ÖRR durch die AfD praktisch unmöglich ist, solange die Verfassung und die BVerfG-Rechtsprechung Bestand haben. Selbst teilweise Schritte (z. B. Kündigung eines Staatsvertrags) wären mit Klagen und rechtlichen Unsicherheiten verbunden.
Die meisten europäischen Länder haben öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, etwa BBC (Großbritannien), France Télévisions/Radio France (Frankreich), RAI (Italien), ORF (Österreich), SRG SSR (Schweiz), NRK (Norwegen), SVT (Schweden). In Ländern wie Deutschland, Großbritannien, Österreich, Italien und der Schweiz wird der ÖRR überwiegend durch Haushaltsabgaben finanziert, manchmal geräteunabhängig, manchmal an den Besitz von Empfangsgeräten gebunden.
Länder wie Norwegen (seit 2020), Dänemark (seit 2018), Finnland, Schweden und Frankreich (seit 2022) finanzieren den ÖRR ganz oder teilweise aus Steuermitteln, oft über den Staatshaushalt oder einkommensabhängige Steuern. In Ländern wie Spanien (RTVE) oder den Niederlanden wird der ÖRR direkt aus dem Staatshaushalt finanziert, ohne spezielle Rundfunkgebühren.
Auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind in die Kritik geraten, meist wegen politischer Schlagseite nach links, aber auch wegen der Zwangsfinanzierung. Auch wird in Zeiten von Streaming und Digitalisierung die Relevanz des ÖRR infrage gestellt. Folge: Debatten über die Reform oder Abschaffung. In Österreich forderte die FPÖ eine Finanzierung aus dem Staatshaushalt statt durch Gebühren, in Dänemark wurde die Rundfunkgebühr 2018–2022 schrittweise abgeschafft, begleitet von Budgetkürzungen um 20 Prozent und Programmstreichungen.
In Frankreich wurde der französische ÖRR (France Télévisions, Radio France, Arte) bis 2022 durch eine Rundfunkgebühr von 138 €/Jahr pro Haushalt finanziert, dann beschloss das Parlament unter Präsident Macron die Abschaffung der Gebühr. Seitdem wird der ÖRR aus dem Staatshaushalt finanziert, u. a. durch einen Teil der Mehrwertsteuer. In Großbritannien wird die riesige BBC durch eine Haushaltsgebühr („TV Licence“) von ca. 178 €/Jahr (159 £) finanziert, die für den Empfang von Fernsehprogrammen fällig ist, unabhängig vom Gerät. Die Gebühren wurden bis 2024 eingefroren, was zu Programmkürzungen führte. 2027 soll die Gebühr abgeschafft werden. Von der Bevölkerung wird das begrüßt, denn oft wird dem Sender eine linke Schlagseite vorgeworfen, der Vertrauensverlust schreitet voran.
Um den Öffis den Stecker zu ziehen bzw. sie in ihrer jetzigen Form abzuschaffen, müssten sich die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern – mit absoluten Mehrheiten in mehreren Landtagen oder einem Ministerpräsidentenamt in einem Schlüsselbundesland. Außerdem bestehen rechtliche Hürden wegen verfassungsrechtlicher Schutzmechanismen. Es überrascht nicht, dass selbst offensichtliche Manipulationen, die öffentlich aufgedeckt wurden, keinerlei Konsequenzen haben. Noch fühlen sie sich sicher. Aber politische Mehrheiten können sich ändern.
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