
Wenn es offen nicht geht, dann machen sie es eben heimlich. Das zeigt sich nun am Beispiel eines noch im April geplanten Fluges aus dem Sudan. Es dürfte nicht der erste sein. Stattfinden soll er laut Bild am 25. April, kurz nach Ostern und etwas vor der Kanzlerwahl. Ein leeres Zeitfenster, vom Innenministerium nach Belieben gefüllt – um nicht zu sagen: nach Gutsherrenart.
Der Flug ist Teil einer Politik, die die Bundesrepublik seit 2012 betreibt: Resettlement oder Neuansiedlung von angeblich verfolgten Menschen. Die Regierenden führen also gezielt Personen aus grundlegend verschiedenen, meist rückständigen Weltregionen und Konfliktgebieten ein, jetzt also der Sudan, in dem jahrelang ein Bürgerkrieg tobte. Niemand kann im Ernst glauben, dass sich diese hier im Schnitt besser benehmen, als es in ihren Heimatländern Usus ist, als sie es unmittelbar vor Abreise gewohnt waren.
Nachher wird es wieder heißen, die neuangesiedelten Menschen seien durch Kriegserfahrungen tief traumatisiert und bräuchten unser Verständnis. Damit werden Gewalttaten der Angesiedelten oder sonstiges Fehlverhalten global entschuldigt. Deutschland war sozusagen lange genug ein auf Sekundärtugenden errichtetes Land. Man darf doch etwas Lebensart von den neu Hereingeschneiten annehmen – oder sie ihnen unterstellen.
Auf Nachfrage heißt es nur: „Zu möglichen anstehenden Flügen äußert sich das Innenministerium grundsätzlich nicht vorher.“ Nicht einmal von der Existenz eines anstehenden Fluges darf die Öffentlichkeit erfahren. Es wird geheimgehalten, so lange es geht. Erst wenn etwas herauskommt, beginnen die Regierenden es zu rechtfertigen und Gründe oder angeblich rechtmäßige Verfahren ins Feld zu führen. Man nennt das auch Salamitaktik, und es ist eine beliebte Vorgehensweise auch von Angeklagten vor Gericht.
In diesem Fall dient der Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes als Behelfsgrund, beschlossen von den Vertretern des deutschen Volkes, das aber selbst kaum einbezogen wurde. Im neuen vierten Absatz, der im Sommer 2015 hinzugefügt wurde, steht, dass das Innenministerium das Bamf anweisen kann, „für eine Neuansiedlung ausgewählten Schutzsuchenden (Resettlement-Flüchtlinge) eine Aufnahmezusage“ zu erteilen.
Die Asyllobby-NGO „Pro Asyl“ mischte 2015 Lob und Tadel: Zwar werde die Aufenthaltserlaubnis für die ‚Neusiedler‘ „immer noch zunächst befristet sein“ – das war der Wermutstropfen der Lobbyisten. Allerdings wurde nun „eine Niederlassungserlaubnis nicht mehr erst nach frühestens sieben Jahren, sondern bereits nach drei Jahren erteilt – sofern nicht das Bundesamt BAMF im Einzelfall mitteilt, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme vorliegen. Letzteres ist allerdings regelmäßig nicht zu erwarten.“ Es ist immer dasselbe: Sobald die Politik die Migrationsgesetzgebung anrührt, geht es um Erleichterungen für Zuwanderer.
Im Zuge der neuen Flüge aus Afghanistan kurz nach der Bundestagswahl hat die Mittelbayerische Zeitung ein interessantes Interview mit einem Mann geführt, der durch seinen Werdegang ideal ist, um die deutsche Afghanistan-Politik zu beurteilen. Reinhard Erös war Bundeswehroberst und betreibt seit 1998 die Kinderhilfe Afghanistan. Schon durch seine Kleidung in einer Art Dschallaba und landestypischer Mütze zeigt er, dass er das Land mehr als oberflächlich kennt. Er überblickt zudem nicht nur den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, sondern sogar die Zeit vor dem Angriff auf das World Trade Center.
Die deutsche Bundesregierung, so sagt er, ignoriert das Land trotz der anscheinend großen Wichtigkeit der Flüge für Afghanen im Grunde vollkommen: „Afghanistan spielt in der deutschen Politik praktisch keine Rolle mehr.“ In der deutschen Botschaft residiert bis heute nur ein Hausmeister. Dabei findet der ausgebildete Arzt, dass es in Afghanistan viel zur helfen gäbe. Nur gehe das nicht, wenn man nicht mit den Taliban reden will. Dabei leitet auch die Bundesregierung noch immer Gelder nach Afghanistan. Aber egal, ob diese nun gewissen „NGOs“ oder den Taliban zugutekommen, ist das offenbar eine kopflose Politik ohne Strategie und Nutzen für Deutschland.
Erös erzählt dann viel über den Wohlstandskontrast zwischen Afghanistan und Deutschland. Und das bedeutet nicht, dass man in Afghanistan nicht überleben kann. Aber man lebt anders, auf deutlich niedrigerem Standard. Und so findet man in Afghanistan vieles absurd, was das Wohlstandsland Deutschland unternimmt, etwa die Abschiebung von Straftätern mit einem „Handgeld“ von 1000 oder 2000 Euro: „Die Afghanen lachen darüber. Auch, dass solche Leute in Deutschland im Gefängnis 100 bis 160 Euro pro Tag kosten, während man sie in Afghanistan für einen Bruchteil einsperren könnte, versteht dort niemand.“
Deutsche Gefängnisse werden in Afghanistan wie eine Art Hotel betrachtet. Die Terrortäter von Solingen oder Mannheim würde ein ranghoher Taliban durchaus zurücknehmen. Er hatErös sinngemäß gesagt: „Verurteilt ihn, aber schickt ihn zu uns, damit er die Haftstrafe in einem afghanischen Gefängnis verbüßt.“
Die in Deutschland auffällig gewordenen Täter mit afghanischer Herkunft seien meist „wegen Verbrechen vor den Taliban geflohen“ und „vermutlich psychisch krank“. Und nur sie interessieren die deutsche Diskussion, so Erös, „das Land selbst, die Taliban oder die politische Verantwortung“, die man vielleicht auch dort hat, nicht. „Weder Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen, die sich als feministische Außenpolitikerin verstand, noch die Entwicklungsministerin Svenja Schulze von der SPD waren überhaupt jemals selbst in Afghanistan.“
Außerdem interessant: „Wer es nach Europa schafft, gilt in Afghanistan nicht als Held, sondern als jemand, der sein Land im Stich lässt.“ Die jüngst abgeschobenen einzelnen Straftäter hat man daher wie reuige Sünder oder verlorene Landeskinder wiederaufgenommen. Die Abschiebung war dabei nicht einmal immer zum Schaden des Abgeschobenen. In einer Hinsicht allerdings schon, was das Finanzielle angeht: „Ein afghanischer Flüchtling bekommt [in Deutschland] etwa das Zehnfache von dem, was ein durchschnittlicher Afghane in seiner Heimat zum Leben hat.“ Der Monatslohn eines Bau- oder Straßenarbeiters liegt bei 150 Euro, etwa fünf Euro am Tag.
Auch was Erös über die angeblich dringend gebotene „Flucht“ aus Afghanistan sagt, ist erhellend: Kämpfe gebe es nun seit drei Jahren keine mehr. Die Sicherheitslage sei heute verglichen mit den letzten 20 Jahren gut, der Drogenhandel sei fast vollständig unterbunden. „… die Realität ist: Viele Afghanen kommen nicht mehr aus Angst vor Krieg, sondern weil sie sich in Deutschland wirtschaftlich ein besseres Leben erhoffen.“ Und noch ein Aperçu: Die Frauen und Kinder, die neben den jungen Männern, aus Afghanistan eingeflogen werden, haben im Grunde nicht viel zu befürchten, sagt Erös: „Probleme mit den Taliban hatten die in den vergangenen drei Jahren sicher nicht.“
Auch den Hype um die letztlich mehreren tausend sogenannten „Ortskräfte“ (eigentlich nur gut 300) der Bundeswehr und der Bundesregierung kann Erös nicht nachvollziehen. Er spricht von einer „großen Ungerechtigkeit“. Wieder vergleicht er das Leben der normalen Afghanen mit dem, was der Westen ihrem Land nahegebracht hat: „Die Ortskräfte der Bundeswehr haben in Afghanistan zwischen 1000 und 2000 Euro im Monat verdient – das Zehn- bis Zwanzigfache eines afghanischen Soldaten, der für sein Land gekämpft hat und von denen eine große Zahl gefallen ist.“ Zudem genossen die Ortskräfte kostenlose ärztliche Versorgung durch die Bundeswehr, machten teils Urlaub in Deutschland oder ließen sich von deutschen Kameraden Geschenke mitbringen. Es war ein privilegiertes Leben – und selbstverständlich nur auf Zeit, wie jeder schon vorab wissen konnte. Die Bundesregierung hat die Verantwortung für diese Fakten verwischt und viel mehr „Ortskräfte“ aufgenommen, als nötig gewesen wäre – sicher verhältnismäßig mehr als viele andere Länder.
Was Erös fordert, fügt sich in den pragmatischen Grundton seines Interviews: Die deutsche Botschaft oder zumindest ein Konsulat müsse in Kabul eröffnet werden. Das wünschten sich auch die Taliban. Erst dann könne Deutschland wirksam helfen, wenn es das will, und Einfluss nehmen, auch in Menschenrechtsfragen. Dabei wissen aber die Taliban selbst, so Erös, dass sie ein Eigeninteresse an Studienplätzen für Frauen haben. Denn ohne sie wird es irgendwann keine Ärztinnen mehr im Land geben. Der Fortschritt ist vielleicht nichts Gegebenes in diesem frühmittelalterlichen Islam, aber er ist auch nicht ganz ausgeschlossen.
Das Interview mit dem Afghanistan-Experten zeigt einmal mehr, was der Unterschied zwischen einer Politik ist, die dem eigenen Land nützt und anderen nicht schadet, und einer, die einseitig nur Lasten auf die deutschen Bürger häuft. Die Einfuhr- und Resettlementpolitik der Bundesregierung gehört offenbar in die letztgenannte Kategorie. Die Bundesbürger, die nie zu den diversen Ansiedlungsvorhaben befragt wurden, werden einseitig belastet. Aber auch den anderen Ländern wird nicht wirklich geholfen, sie werden innerlich zerrissen in vereinzelte Wohlstandsprofiteure und die überwältigende Mehrheit der Zurückgebliebenen. Ganze Weltregionen werden so eröffnet und für den Menschenexport erschlossen. Zu welchem Zweck, das wissen offenbar die Regierenden, sagen es aber nicht, immer im Sinne der Salamitaktik ohne überzeugende Strategie.