
Ein Veteran erzählt bei Lanz von seinem Afghanistan-Einsatz, der ihn fürs Leben gezeichnet hat. Wer noch immer für den Krieg ist, für Aufrüstung und Wehrpflicht, wer den neuen, allseits gepflegten Russenhass zelebriert oder in den Ruf nach „Kriegstüchtigkeit“ mit einstimmt, der muss Hauptfeldwebel Maik Mutschke nur ansehen. Und ihm zuhören.
Dabei hat es zunächst den Anschein, als würde die Sendung mit allgemeinem Geplänkel dahinplätschern. Als sei das Thema Krieg allein nicht tragfähig genug für den Abend, geht es die ersten zwölf Minuten lang allen Ernstes nur um Carsten Linnemann. Warum der CDU-Generalsekretär plötzlich kein Minister werden will, ob es ein strategischer Zug ist, um sich sein eigenes Profil nicht zu ruinieren, oder ob ein Ministerposten vielleicht gar nicht so attraktiv ist. „Jubelnd springt man da nicht rein“, sagt Karl-Theodor zu Guttenberg, und der kennt sich aus. Er war selbst mal Verteidigungsminister und ist zumindest nicht jubelnd aus diesem Amt hinausgesprungen. Wegen einer Plagiats-Affaire musste er seinerzeit das Amt auf- und seinen Doktortitel zurückgeben.
Herrmann fährt Guttenberg in die Parade: „Ich möchte gerne widersprechen, wenn Sie sagen, dass das Sondervermögen kein Sondervermögen ist. Damit wird Vermögen geschaffen. Die Investitionen von heute sind die Einnahmen von morgen. Es ist Vermögen.“ Guttenberg wagt einen Konter: „Es wird Vermögen. Es sind erstmal Schulden.“ Doch Herrmann widerspricht erneut: „Nein, die Schulden gibt’s auch noch nicht. Das ist ja nur die Erlaubnis. In dem Moment, wo es Schulden sind, entsteht auch das Vermögen.“ Jemand sollte ihr gelegentlich erzählen, dass man ein Vermögen normalerweise nicht zurückzahlen muss.
Dafür, dass Guttenberg dereinst so unehrenhaft vom Hof gejagt wurde, wird er in dieser Sendung wie auch schon in anderen Talkshows der jüngsten Zeit ungewöhnlich positiv dargestellt. Man könnte den Eindruck bekommen, Lanz wolle ihn wieder für die aktuelle Politik herausputzen. So wie er einst einen verhaltensauffälligen SPD-Politiker zum Gesundheitsminister hochjazzte. Dabei will Guttenberg glaubhaft machen, dass er keinerlei Ambitionen mehr hege. Er habe bereits vor seinem Rauswurf 2011 entschieden, dass er nur noch zwei Jahre in der Politik bleiben wolle. Grund: „Weil ich es mit der Angst zu tun bekommen hatte. Weil ich gefühlt hatte, ich werde heillos überschätzt. Ich hab’ körperlich und seelisch Schaden genommen in der Politik.“
Womit wir beim härtesten Thema des Abends wären, dem Karfreitagsgefecht 2010. An jenem 2. April wurden in Afghanistan drei Bundeswehrsoldaten von Taliban getötet und mehrere verletzt – darunter Maik Mutschke, der heute Abend zu Gast ist.
Zunächst geht es um die Wehrpflicht, die Guttenberg einst abschaffte. Er musste, weil „wir sie uns nicht mehr leisten konnten angesichts dieser Sparbemühungen.“ Heute lägen die Dinge anders, weil man ja man „die Schuldenbremse eingeäschert“ habe. „Ich bin ein Anhänger der Wehrpflicht gewesen“, sagt Guttenberg, „und ich bin es auch heute, wenn sie anständig ausgestaltet ist“. Deutschland habe „einen unbedingten Bedarf, eine über Jahrzehnte herabgewirtschaftetete Bundeswehr auf einen Stand zu bringen, dass man in irgendeiner Form handlungsfähig ist“. Auch Journalist Haznain Kazim findet, „dass Demokratie so wertvoll ist und so wichtig ist, dass es sich lohnt, das zu verteidigen, notfalls mit der Waffe“. Amen.
Die allgemeine Kriegs-, pardon, -geilheit könnte also auch an diesem Abend Fahrt aufnehmen. Wenn da nicht Maik Mutschke wäre. In Uniform sitzt er da, gezeichnet von den Erlebnissen an jenem Karfreitag. Sein von einer 40-Kilo-Bombe zerfetztes Gesicht musste halbseitig in vielen Monaten mühsamst wiederhergestellt werden. Er lebt mit einem Glasauge, das – und dies soll in keiner Weise despektierlich klingen – ständig an die Studiodecke schaut. Ein Anblick, der direkt ins Herz trifft. Härter könnte der Kontrast nicht sein zu all jenen frisch geföhnten Sofa-Strategen, jenen Carlo Masalas, Roderich Kiesewetters oder Friedrich Merzens, die „Friedenstruppen“ in die Ukraine oder Taurus-Bomben nach Moskau schicken wollen.
Wer bei Mutschkes Anblick und seinem erschütternden Vortrag auch nur eine Sekunde länger glaubt, Krieg sei irgendeine Lösung für irgendetwas, der hat den Schuss ganz offensichtlich nicht gehört. Linksseitig war Mutschke komplett gelähmt, noch heute hängt der linke Arm. Doch nach einem Jahr war er wieder im Dienst, flog sogar noch einmal für vier Wochen zurück an den Ort des Geschehens, um „eigenbestimmt aufrecht Afghanistan verlassen“ zu können. Denn an den Vorfall selbst hat er keine Erinnerung. Er war erst vier Wochen später im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz aufgewacht.
Lanz kann mit dem Gehörten nicht recht umgehen, doch sein Ringen nach der nächsten Frage gibt dem Hauptfeldwebel zumindest Zeit, sich wieder zu sammeln. Wie es bei Guttenberg angekommen ist, bleibt rätselhaft. Er erzählt Döntjes aus New York, wo ihn eine Afghanin angesprochen und ihm gedankt habe für den Bundeswehreinsatz und „für ein paar Jahre, in denen wir eine Perspektive bekommen haben“. Damit hat er sein persönliches Talkshow-Soll erfüllt: Ich bin dauernd in New York – check. Ich spreche mit einfachen Leuten – check. Was ich tat, war richtig – check. Mutschkes Erzählung ermuntert ihn zu einer satten Portion Politgeschwafel. Sie helfe nämlich, „zu lernen, was es bedeutet, eine offene Debatte zuzulassen, die nur aus solchen Erfahrungswerten genährt werden kann“, sagt Guttenberg verquast.
Andere würden sagen, wir müssen kriegstüchtig werden. Müssen wir?