
Bei einer Routinekontrolle der amerikanischen Zoll- und Grenzschutzbehörde am Flughafen von Detroit, findet einer der Beamten verdächtig aussehende Plastikbeutel im Gepäck eines chinesischen Forschers, in denen sich kleine, rötliche Flecken befinden. Zunyong Liu, der Besitzer des Gepäckstücks streitet zuerst ab, etwas über die Plastikbeutel und deren Inhalt zu wissen. Wenig später ändert er später seine Aussage und gibt an, Proben mit Pflanzenmaterial für die Forschung an einem Labor der University of Michigan zu transportieren. Dort arbeitet seine Freundin, die ebenfalls chinesische Staatsbürgerin ist. Auch Liu selbst hatte in der Vergangenheit an diesem Labor gearbeitet.
Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass es sich bei den rötlichen Flecken in den Plastikbeutel um Proben des Pilzes „Fusarium graminearum“ handelt, einer Pflanzenkrankheit, die insbesondere Getreidearten wie Weizen und Gerste aber auch Mais und Reis befällt und für große Ernteausfälle sorgen kann. Mit dem Pilz befallenes Getreide ist zudem giftig und kann die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden, wenn es als Lebensmittel oder Tierfutter verzehrt wird. Das Labor, in das Liu die Proben angeblich bringen wollte, besitzt zudem überhaupt keine Freigabe für Arbeit mit dem Pilz, der von der Wissenschaft als „für Agroterrorismus geeignet“ eingestuft wird.
Der beschriebene Vorfall ereignete sich bereits im Sommer 2024, doch bekannt wurde er erst letzte Woche. Zusammen mit einem weiteren Fall einer anderen chinesischen Forscherin, Chengxuan Han, die jetzt vergangenes Wochenende ebenfalls mit „illegalen biologischen Material“ aufgegriffen wurde. Ebenfalls in Detroit, ebenfalls sollte seine Probe an das Labor der University of Michigan gehen. Han ist dabei Doktorstudentin der Universität für Wissenschaft und Technik Zentralchina, Standort: Wuhan.
Besonders pikant an all den Vorfällen: Auf dem Mobiltelefon von Zunyong Liu fand man auch eine wissenschaftliche Veröffentlichung, die die ökonomischen Folgen von pflanzlichen Krankheitserregern und ihr Einfluss auf die Ernährungssicherheit in der Welt behandelt. Seine ursprüngliche Ausrede, dass er nicht weiß um was es sich bei den Proben handelt, war also offensichtlich gelogen. Dem Forscher wird letztlich die Einreise in die USA verweigert, die Pilzproben werden konfisziert und er muss wieder nach China zurückreisen.
Han hingegen wurde jetzt wegen ihrem Schmuggel von entsprechenden Proben von US-Behörden in Haft genommen. Auf ihrem Handy fand sich anders als bei Liu nichts – denn es wurde offenbar drei Tage vor Abreise komplett gelöscht. Sie gab an, dass sie den Inhalt gelöscht habe, um in den USA „neu anzufangen“.
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Ebenfalls in Haft ist jetzt Yunqing Jian, die Freundin Lius, die in dem Labor der University of Michigan beschäftigte war. Sie wurde mittlerweile wegen Verschwörung angeklagt und sitzt in Untersuchungshaft. Zwischenzeitlich wurde bekannt, dass sie nicht nur ein Mitglied der kommunistischen Partei Chinas sein soll, sondern in der Vergangenheit von der chinesischen Regierung für die Forschung an dem Erreger „Fusarium graminearum“ bezahlt wurde, was weitere Fragen zu ihrer Beschäftigung an dem Labor der University of Michigan aufwirft. Ihr Freund, der die Proben in die USA schmuggeln wollte, wurde inzwischen auch angeklagt aber befindet sich durch seine damalige Ausweisung in China, wo er für die amerikanische Justiz nicht greifbar ist.
Der im Raum stehende Vorwurf des versuchten Agroterrorismus ist indes nicht zu unterschätzen. Agroterrorismus, eine Unterform des Bioterrorismus bzw. der biologischen Kriegsführung, zielt darauf ab, mithilfe von Krankheitserregern landwirtschaftlich genutzte Pflanzen- und Tierarten zu infizieren und somit die Nahrungsmittelproduktion zu schwächen. In der Menschheitsgeschichte haben Pflanzenseuchen immer wieder zu großen Ernteausfällen und Hungersnöten geführt, so beispielsweise die Kartoffelfäule, die in den 1840er Jahren den Hungertod von über einer Million Iren verursachte. Die Fähigkeit, solche Ereignisse gezielt herbeizuführen ist also alles andere als harmlos, auch wenn sich die verwendeten Krankheitserreger nicht direkt gegen die menschliche Gesundheit richten.
Die ökonomischen Schäden könnten gigantisch sein: Der Agrarsektor erwirtschaftet allein in Deutschland jährlich über 36 Milliarden Euro, rechnet man die vor- und nachgelagerten Industrien hinzu, kommt man auf bis zu 300 Milliarden Euro. In den USA sind es über 200 Milliarden Dollar, beziehungsweise gut 900 Milliarden Dollar inklusive der vor- und nachgelagerten Industrie. Wichtiger noch als der ökonomische Schaden ist aber die Gefahr für die Ernährungssicherheit. Großflächige Ernteausfälle können die Nahrungsmittelversorgung nachhaltig bedrohen und in Extremfällen sogar zu Hungersnöten führen.
Im Zeitalter der Abnutzungskriege und asymmetrischer Kriegsführung, nimmt die Gefahr des Agroterrorismus, genauso wie anderer Formen der biologischen Kriegsführung, also zu. Feindlich gesinnte Staaten und auch terroristische Organisationen haben also einen großen Anreiz, agroterroristische Taktiken anzuwenden, um mit kleinem Aufwand gewaltige Schäden zu verursachen. Zwar ist die Nutzung biologischer Krankheitserreger zu feindlichen Zwecken durch die seit 1975 bestehende Biowaffenkonvention verboten, doch ob sich alle staatlichen Akteure auch in Kriegszeiten an solche Verträge halten würden, darf bezweifelt werden. Auch China hat die Biowaffenkonvention ratifiziert, so wie fast alle Staaten der Welt. Inwiefern der chinesische Staat in die oben dargestellten Ereignisse um das chinesische Forscher-Paar involviert ist, bleibt aufzuklären.
Auch Deutschland ist durch Agroterrorismus gefährdet. Unser dichtbevölkertes Land mit seiner hocheffizienten Landwirtschaft wäre ein ideales Ziel, um durch die gezielte Ausbringung von Pflanzenkrankheiten und Tierseuchen die landwirtschaftliche Produktion zu schwächen und somit die Ernährungssicherheit der deutschen Bevölkerung zu gefährden. Ob die Bundesregierung die Bedeutung dieser Gefahr erkannt hat ist unklar.
Deutlich mehr Aufmerksamkeit widmet man im politischen Berlin dem Kampf gegen den Klimawandel oder „rechte Ideologien“. Zumindest an staatlichen Forschungseinrichtung wird das Problem aber ernst genommen. Das Friedrich-Loeffler-Institut spricht beispielsweise auf seiner Website über die möglichen Gefahren des Agroterrorismus und listet die „Beteiligung an Aktionsplänen zur Steigerung der Abwehrbereitschaft gegen biologische Sicherheitsrisiken“ als eines seiner Aufgabengebiete.
Schon in der Vergangenheit wurde an der Verwendung von Pflanzenkrankheiten zu Zwecken der Kriegsführung gearbeitet. So betrieb die Sowjetunion (in Verletzung der von ihr ratifizierten Biowaffenkonvention) während der Zeit des Kalten Krieges ein Entwicklungsprogramm um verschiedene Tierseuchen als Waffe einzusetzen.
Der Plan war es, in Flüssigkeit gelöste Krankheitserreger aus speziell umgerüsteten Flugzeugen über große Teile Westeuropas zu versprühen, um die Tierbestände in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden mit Krankheiten wie Maul- und Klauenseuche, Rinderpest und afrikanischem Schweinefieber zu infizieren. Im Kriegsfall hätte dies die Versorgung der Zivilbevölkerung und des Militärs mit tierischen Lebensmitteln beeinträchtigt und so die Verteidigungsfähigkeit der westlichen Staaten geschwächt.