
Der Verfassungsschutz stützt sich in seiner Bewertung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ vorwiegend auf ein attestiertes „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ der Partei – im jüngst bekanntgewordenen Gutachten der Behörde werden aber noch viele weitere Vorwürfe gegen die AfD erhoben. Unter anderem setzt sich die Zitatesammlung lang und breit mit echten oder vermeintlich antisemitischen Aussagen von AfD-Funktionären auseinander. Mehrmals referiert der Verfassungsschutz dabei auch auf die sogenannte „Flugblatt-Affäre“ um Hubert Aiwanger.
Der bayerische Vize-Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler war nach einer inszenierten Kampagne der Süddeutschen Zeitung in den Fokus gerückt: In seinem Schulranzen hatte er als 16-Jähriger ein infames Flugblatt dabei, welches „Vaterlandsverrätern“ unter anderem einen „Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz“ oder „eine kostenlose Kopfamputation durch Fallbeil“ als „Preis“ für ein morbides „Gewinnspiel“ anbietet. Das Flugblatt hat infamen Inhalt und macht die Opfer der KZ verächtlich, drückt aber keine direkte Judenfeindlichkeit aus.
Mehrere AfD-Politiker hatten Aiwanger damals verteidigt und sinngemäß argumentiert, man dürfe den Erwachsenen nicht für „Jugendsünden“ viele Jahrzehnte später bestrafen. Björn Höcke wird für eine solche Äußerung im Kapitel „antisemitische Aussagen und Positionen“ geführt. Der Chef der AfD Thüringen schrieb auf Facebook:
„Rechtzeitig vor der Landtagswahl hat Bayern seinen ‚Skandal‘: Der stellvertrende Ministerpräsident und Freie-Wähler-Chef soll als Jugendlicher ein antisemitisches Flugblatt verfaßt haben. Das Machwerk wurde im Zusammenhang mit der Berichterstattung neu verbreitet, und wer das liest, erkennt sofort, daß es sich dabei um einen geschmacklosen und morbiden Schüler-Scherz handelt, der nur vor pubertären Allmachtsphantasien trieft. Es ist primitiv und dumm, nicht sonderlich lustig — aber eben auch kein politisches Manifest. Das ist eine klassische Jugendsünde, und es ist davon auszugehen, daß sich Hubert Aiwanger seitdem sittlich weiterentwickelt hat.“
Höcke wird vorgeworfen, „den grundsätzlich gegen die Menschenwürde gerichteten Antisemitismus“, der in dem Flugblatt zum Ausdruck käme, zu verharmlosen. Dass er selbst von einem „antisemitischen Flugblatt“ sprach, stellt der Verfassungsschutz zwar fest, lässt es aber offensichtlich in der Bewertung unberücksichtigt.
Auch den AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider zitiert der Bericht folgendermaßen:
„Wenn einem 52-jährigen Mann ein Flugblatt nachgetragen wird, in dem er als Schüler vor 35 Jahren darüber phantasiert haben soll, Vaterlandsverräter ins KZ zu schicken, dann ist das, was wir heute zu kritisieren haben, nicht die unbeholfene Provokation des pubertären Gernegroß von einst, sondern das schäbige Aufblasen einer solchen jugendlichen Verirrung, um draus Kapital zu schlagen. […] Und deshalb stürzen sie sich auf Flugblätter, die dumme Jungen vor 35 Jahren verbreitet haben. „
Dazu fällt der Verfassungsschutz ein hartes Urteil: Mit seiner Aussage würde Tillschneider, wie auch Höcke, „den im Flugblatt enthaltenen mörderischen Antisemitismus“ verharmlosen. Dass im berüchtigten Aiwanger-Flugblatt von Juden an keiner Stelle direkt die Rede ist und somit von „mörderischem Antisemitismus“ in diesem Sinne kaum eine Rede sein kann, tut dieser Beurteilung keinen Abbruch.
Zwar kommt der Verfassungsschutz schließlich zu der Einschätzung, dass Antisemitismus keine „relevante ideologische Grundhaltung“ in der AfD sei. Trotzdem werden diverse Aussagen gesammelt, die der Partei zum Vorwurf gemacht werden. Neben einigen wirklich antisemitischen Aussagen (der Kommunalkandidat Thomas Herrig etwa ließ sich in übler Weise antisemitisch aus, schrieb auf X unter anderem: „Türken haben Deutschland wieder aufgebaut, Afrikaner wiedervereinigt und eine andere Minderheit, die wir fast ausgerottet haben, regiert dieses Land“) finden dort vor allem missglückte, gedanken- und geschmacklose und teils infame Vergleiche zwischen der Situation von Juden im Nationalsozialismus und der von Ungeimpften während der Coronazeit Platz. Auch Aussagen, die vor Gericht letztinstanzlich nicht beanstandet wurden, hält der Bericht dabei fest.