
In der Uhlandstraße in Berlin-Wilmersdorf vermischen sich Gewalt und Gier zu einem toxischen Cocktail. Roma-Familien sorgen für Chaos und Unfrieden, während ein Vermieter sich an ihrer Unterbringung bereichert. Und dann wird auch noch ein abgelehnter Asylbewerber ermordet. Im Westen der Hauptstadt zeigt sich exemplarisch, wie schnell ein einstmals bürgerliches Stadtviertel kippen kann – zum Leidwesen der Anwohner.
Am 23. Juni 2024 flattern rot-weiße Absperrbänder vor der Uhlandstraße 137. Während das Land gebannt auf das EM-Spiel der DFB-Elf gegen die Schweiz wartet, huschen Spurensicherer in weißen Overalls über den Asphalt in Berlin-Wilmersdorf. Im Hausflur eines sechsstöckigen Altbaus liegt ein blutüberströmter Mann: Abdihannan M., 24 Jahre alt, Somalier. Rettungskräfte kämpfen verzweifelt, doch die drei Messerstiche, die seine Hauptschlagader, Herz und Lunge durchbohrt haben, lassen keine Chance.
Um 16:10 Uhr stellt ein Notarzt seinen Tod fest.
Der blutüberströmter Somalier liegt im Juni 2024 im Hauseingang der Uhlandstraße 137.
„Mann stirbt in Hausflur“, schreibt später die Bild-Zeitung. Bloß ein weiterer Todesfall in der Hauptstadt?
Wochenlange Recherchen von NIUS zeigen: Hinter diesem Mord steckt eine größere Geschichte. Der Tatort in Berlin-Wilmersdorf steht sinnbildlich für den migrationspolitischen Kontrollverlust, der inzwischen auch einstmals wohlhabende Stadtviertel in Deutschland drastisch verändert. Es geht um junge Somalier, die ohne Perspektive in den Tag hineinleben; einen Staat, der durch seine Sozialleistungen Glücksritter aus aller Welt anlockt; Roma-Familien, die ganze Straßenzüge terrorisieren; und einen ehemaligen SPD-Politiker, der finanziell als Besitzer der Immobilie von der Masseneinwanderung massiv profitiert. Hier, in der Uhlandstraße 137, zeigt sich, wie die momentane Migrationspolitik wenige Nutznießer und viele Verlierer hinterlässt.
Das Mordopfer Abdihannan M. lebt zum Zeitpunkt der Tat in einem Wohnheim, das sich in den oberen Stockwerken der Uhlandstraße 137 befindet, der „Astrel-Pension“. Sein Zimmer im vierten Stock ist karg eingerichtet, Gemeinschaftsdusche und -toilette liegen auf dem Flur.
Der Mörder und sein Opfer kennen sich, seit Jahren sind sie gut befreundet. Beide stammen aus der Region Ogaden in Äthiopien und gehören dem Volk der Somali an. Sie leben jedoch seit geraumer Zeit als Asylbewerber in Deutschland. Im Drogenrausch kommt es im Zimmer von Abdihannan M. zum Streit – mit fatalem Ausgang.
Polizeibeamte sichern den Tatort in Berlin-Wilmersdorf.
An diesem Sonntag, dem 23. Juni 2024, herrschen draußen sommerliche Temperaturen. Abdihannan M. und Abdi A. sitzen gemeinsam bei M. im Zimmer, drei Freunde sind noch dabei, es wird Cannabis konsumiert und viel Alkohol getrunken. Das spätere Opfer war mit einigen Anwesenden praktisch die ganze Nacht unterwegs und macht jetzt im Zimmer weiter – Afterhour unter Somaliern.
„Spätestens seit dem Jahr 2018 trafen sich der Angeklagte und der Geschädigte sowie die Zeugen Abdilahi M., Abshir M. und Abdiwali M. regelmäßig“, heißt es später in Akten des Gerichts, die NIUS exklusiv vorliegen. „Sie gingen feiern, hielten sich im Bereich des Görlitzer Parks in Berlin auf und verbrachten auch Wochenenden mit- und beieinander, wobei sie teils auch gemeinsam Alkohol, Cannabis und Betäubungsmittel konsumierten.“
Abdihannan M., das spätere Opfer, gilt als jähzorniger Mensch und gerät im Alkoholwahn schnell in Rage. Urplötzlich kommt es auch an diesem Sonntag zum Streit, wahrscheinlich weil Abdi A. die Lautstärke von M. auf die Nerven geht. Es folgen Flaschenwürfe und Bedrohungen. A. zieht aus dem Nichts ein Messer, woraufhin M. das Zimmer verlässt. Der Streit verlagert sich ins Treppenhaus, wo es erneut zu Rangeleien kommt. Schließlich fällt das Messer zu Boden. Abdi A. ergreift es, sticht einmal zu. Eine Sekunde vergeht. Dann sticht er weitere zweimal zu. Die Stiche verletzen die Hauptschlagader, das Herz und die Lunge, sodass Abdihannan M. innerhalb von kurzer Zeit durch inneres Verbluten verstirbt.
Wegen Nichtigkeiten wird ein junges Leben ausgelöscht.
Der Täter flüchtet über den U-Bahnhof Hohenzollernplatz.
Abdi A., der zum Mörder gewordene Freund, flieht nach der Tat panisch auf die Straße. Am U-Bahnhof Hohenzollernplatz wirft er das Tatmesser weg. Der 25-Jährige fährt mit der U-Bahn ziellos durch die Gegend, läuft orientierungslos durch die Stadt. In einem Park trifft er zufällig auf mehrere Sudanesen, mit denen er weiter Drogen konsumiert. Nach Stunden wird er schließlich dank eines Zeugenhinweises von der Polizei aufgegriffen.
Abdi A. landet in Haft und später vor Gericht. Wegen Totschlags wird der 25-Jährige am 23. Dezember 2024 vor dem Landgericht Berlin zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Der junge Somalier, der in Deutschland zum Mörder wird, stammt aus einer angesehenen Familie. Sein Vater ist Beamter und nimmt in Äthiopien Aufgaben wahr, die vergleichbar mit denen eines Notars sind. Abdi A. genießt eine solide schulische Ausbildung. In den Akten heißt es: „Ohne Gefahren für seine Sicherheit, politische oder wirtschaftliche Repressalien und ohne seine Familie in seine Pläne einzubeziehen, beschloss der Angeklagte im Alter von 17 Jahren, seine Heimat zu verlassen.“
Über die Mittelmeerroute macht er sich 2016 auf den Weg nach Europa, landet erst auf Lampedusa und später auf dem italienischen Festland. Mit ein paar Landsleuten entschließt er sich später nach Schweden zu reisen. Im Dezember 2016 wird er jedoch in Süddeutschland von der Polizei aufgegriffen und dem Jugendamt Lindau übergeben. Hier stellt er erstmals einen Asylantrag.
Abdi A. ist also kein politischer Flüchtling, nicht einmal ein wirtschaftlicher Flüchtling. Er ist ein Abenteurer, ein Glücksritter, jemand, der ein neues Leben in Europa sucht. Ein Asylgrund lässt sich aus den Unterlagen des Gerichts nicht feststellen.
A. bleibt jedoch umtriebig: Zunächst lebt er in Beelitz, dann geht es für kurze Zeit wieder nach Italien. 2023 kehrt er erneut nach Deutschland zurück. Wieder stellt er einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abermals ablehnt. Seine offizielle Wohnadresse ist zu diesem Zeitpunkt im brandenburgischen Pritzwalk, zumeist hängt er jedoch in Berlin ab, unter anderem in der Uhlandstraße mit Abdihannan M., den er seit seiner Kindheit in Äthiopien kennt.
In der Uhlandstraße machen sich seit Jahren Veränderungen bemerkbar.
Das Gericht attestiert dem Mörder einen wenig erbaulichen Lebensstil: „Seinen Lebensunterhalt bestritt er von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und vereinzelten Gelegenheitsjobs. Die deutsche Sprache beherrscht der Angeklagte nicht. Eine feste Partnerin hat er nicht. Zu seiner Familie, die weiterhin in Äthiopien lebt, stand er bis zuletzt über Internet und Telefon regelmäßig in Kontakt.“ Ab und an kommt er mit dem Gesetz in Konflikt – mal wegen Diebstahls, mal wegen des Erschleichens von Leistungen.
Das Leben von Abdi A. verläuft in trostlosen Bahnen, die Wochenenden ähneln sich. Auch das Wochenende des 23. Juni unterscheidet sich in dieser Hinsicht kaum – bis es zum tragischen Vorfall im Treppenhaus kommt und A. seinen Freund mit drei Messerstichen ermordet.
Später zieht der Fall sogar in der rund 6.000 Kilometer entfernten Heimat von Opfer und Täter seine Kreise. Noch während die Gerichtsverhandlung in Berlin läuft, zahlt die Familie des Mörders ein Blutgeld in Höhe von 100.000 US-Dollar an die Familie des Geschädigten. In den Gerichtsakten wird bestätigt, dass diese Zahlung sogar in das Urteil miteingeflossen ist: „Unabhängig davon, wie eine solche Zahlung rechtsethisch zu bewerten ist, haben die Angehörigen des Geschädigten damit eine gewisse finanzielle Genugtuung erhalten.“
Beamte kleben den Tatort ab.
Nachdem die Kriminalpolizei am 23. Juni 2024 abrückt und die ersten Medienberichte erschienen sind, weiß die Öffentlichkeit jedoch nicht, dass jenes Haus unter Nachbarn bereits berüchtigt ist. Fragt man unter Anwohnern herum, wird schnell klar: Die Probleme sind größer, als es dieses Einzelschicksal überhaupt beschreibt. Ursprünglich war das Haus in der Uhlandstraße ein klassisches Gewerbegebäude. Ein Rechtsanwalt hatte hier seinen Sitz, eine Physiotherapeutin behandelte im Haus ihre Patienten, die Schülerhilfe betreute Jugendliche.
Sie alle sind nicht mehr im Haus.
In den oberen Stockwerken firmiert seit Anfang der 2010er Jahre die Berliner City Pension. Später ist auf den Klingelschildern nur noch die „Astrel-Pension“ zu finden. Und kurz nach Beginn der Flüchtlingskrise 2015 spitzt sich hier die Situation zu.
Die Pension wird in ein Wohnheim umfunktioniert, ausgestattet mit 30 Plätzen, wie Unterlagen des Berliner Senats zeigen. Nach und nach quartiert das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf immer mehr Wohnungslose ein, vorwiegend Migranten, für deren Unterbringung der Steuerzahler aufkommt.
Menschen aus aller Herren Ländern erhalten ein Dach über dem Kopf, niemand aber kümmert sich um sie. Nicht unbedingt die Somalis stellen jedoch für die Nachbarschaft das größte Problem dar, sondern Roma-Familien, die hier für ständige Unruhe sorgen. Das berichten mehrere Anwohner gegenüber NIUS unabhängig voneinander. „Die Probleme sind größer als die Tötung des Afrikaners“, erklärt ein Pensionär.
Früher waren hier noch andere Mieter vertreten – mittlerweile sind sie ausgezogen.
Insgesamt konnte NIUS mit mehr als zehn Personen sprechen, die die Vorgänge rund um die „Astrel-Pension“ kennen und beobachtet haben. Sie sind Gewerbetreibende, Ex-Mieter, Anwohner, Restaurantbetreiber, Nachbarn. Sie alle wollten für diesen Artikel anonym bleiben; zu groß die Angst, als Rassisten gebrandmarkt zu werden oder in juristische Streitigkeiten zu geraten. Die Gesprächspartner erzählen, dass vor wenigen Jahren vier Roma-Familien, unter anderem aus Bosnien und Herzegowina und Rumänien, in die Räume der „Astrel-Pension“ einziehen – auf Kosten des Steuerzahlers. Und sie schildern, wie daraufhin der Kiez kippt.
Eine Mitarbeiterin eines Reisebüros, das einst ansässig war, erzählt von Paketen mit Kleidung, die für sie angenommen wurden. Als sie diese abholen will, haben die Kinder einer Roma-Familie diese bereits geöffnet und einzelne Kleidungsstücke anprobiert. „Ich habe meinen eigenen Augen nicht geglaubt, aber der Karton war geöffnet.“ Ein Anwohner bekommt von einem Roma-Jungen das Auto demoliert, mehrere Scheiben sind eingeschlagen. Der Junge wird später festgenommen.
Einem Anwohner wurde die Fensterscheibe eingeschlagen.
Auf dem Vordach im Innenhof der Uhlandstraße 137 stapeln sich zudem ab 2018 benutzte Windeln von Kindern, eine Arztpraxis ist betroffen und wird von Patienten auf die Zustände angesprochen. Eine Therapeutin, mit der NIUS sprechen konnte, berichtet von einem Wasserschaden, der unter anderem deshalb zu Stande kam, weil die Mieter der Wohnungen nahezu überall urinierten und koteten. Eine Reinigungskraft soll schon damals gesagt haben: „Das sind Zustände in Wohnungen, von denen kannst du keinem erzählen.“
Im Hof des Eckhauses türmen sich Müllberge, auch vor der evangelischen Kirche am Hohenzollernplatz sollen die Roma immer wieder Möbelberge deponieren. Mitunter werden Nachbarn mit Feuerzeugen beworfen, wenn sie ihre Zeit draußen verbringen.
Zwei Frauen, so berichten es Anwohner der „Astrel-Pension“, nutzen zwischenzeitlich andere Heimwege, um nicht am Roma-Haus vorbeizugehen, weil es immer wieder zu anzüglichen Sprüchen und Belästigungen gekommen sei. Ein Anwohner zitiert die südosteuropäischen Nachbarn mit dem Satz: „Wir sind Roma, wir dürfen alles.“
Ein Dönerverkäufer am angrenzenden Hohenzollerndamm soll sich laut Anwohnern verzweifelt gezeigt haben, weil die Roma-Familien seinen Imbiss belagert hätten, auf Tischen saßen, lautstark tranken und pöbelten. Dies wiederum soll dazu geführt haben, dass deutsche Stammkunden ausblieben.
Zudem klagen Nachbarn über Lärmbelästigungen bis in die Nachtstunden. Es habe zudem Ansprechversuche auf der Straße gegeben, bei denen jugendliche Roma fragten, ob sie nicht Drogen bei ihnen kaufen wollten.
Im Spielwarenladen „Spielvogel“ an der Hausecke sei es hingegen immer wieder zu Diebstählen gekommen, bei denen unter anderem Playmobil-Figuren entwendet worden seien. Die Roma-Familien erhielten schließlich Hausverbot im Laden, der vorrangig von jungen Eltern aufgesucht wird. Die Vorfälle seien gewerbeschädigend gewesen, heißt es.
Ein anderer Gewerbetreibender sagt: „Durch den Einzug der Roma-Familien hat sich der Kiez verändert, wurde krimineller und verwahrloster.“ Er sorge sich um das Zusammenleben in der Nachbarschaft, erklärt ein weiterer Anwohner. Ein Dritter spricht von „Nachbarschaftsterror“, eine vierte Frau von einem „Höllenhaus“.
Die Nachbarschaft in der Uhlandstraße ist über die Vorgänge nicht erfreut.
In der Uhlandstraße 137 handelt sich um keine offizielle Asylunterkunft, die vom Landesamt für Flüchtlinge (LAF) genutzt wird, wie eine Sprecherin des LAF auf Anfrage von NIUS erklärt, sondern um eine sogenannte vertragsfreie Unterkunft.
Die Abrechnung der einzelnen Plätze erfolgt über Tagessätze direkt mit dem jeweiligen Bezirksamt. In diesem Fall ist es das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. „Unter der angegebenen Adresse Uhlandstr. 137 gab es bisher eine Unterkunft, in der nach dem ASOG wohnungslose Personen von unserer bezirklichen sozialen Wohnhilfe und anderen Bezirksämtern nach ASOG untergebracht wurden“, bestätigt die SPD-Bezirksstadträtin Heike Schmitt-Schmelz. ASOG ist die Abkürzung für das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz in Berlin. Es bildet die Grundlage für die ordnungsrechtliche Unterbringung von wohnungslosen Menschen in Berlin.
Wie viel Geld aber wird in der Uhlandstraße verdient? Der durchschnittliche Tagessatz im Mehrbettzimmer liegt derzeit bei rund 30 Euro pro Kopf, bei einer Einzelbelegung sind es zwischen 40 und 50 Euro. Rechnet man dies auf den Monat und die 30 Plätze hoch, hieße das: Der Betreiber würde mit den Wohnungslosen eine Summe zwischen 27.000 Euro und 45.000 Euro verdienen. Während also die Geldzählmaschine rattert, sorgen die einquartierten Roma-Familien für Ärger. „Es geht den Eigentümern darum, das Gebäude auszupressen wie eine Zitrone“, sagt ein Mann, der fußläufig entfernt wohnt. Und plötzlich beginnt der Kiez sich zu verändern.
Im Umfeld der „Astrel-Pension“ kommt es allein von Anfang 2023 bis Ende Mai 2025 zu insgesamt 83 Polizeieinsätzen, wie die Berliner Polizei auf Anfrage von NIUS mitteilt. Die Gründe für das Ausrücken der Beamten sind breit gefächert. Es geht um randalierende Personen, Schlägereien, häusliche Gewalt, Diebstahl, Körperverletzungen, unzulässigen Lärm, vermisste Personen, plötzlich ausgelöste Alarme, Bedrohungen oder Belästigungen. Dazu werden laut Polizei „an der genannten Adresse regelmäßig Ermittlungs- und Amtshilfeersuchen durchgeführt, die sich hauptsächlich auf die Bereiche Aufenthaltsermittlungen, die Zustellung amtlicher Schreiben, Entstempelungsersuchen sowie Vorführ- und Haftbefehle beziehen“.
Die Bewohner hielten sich offenbar nicht immer an die Vorschriften.
Die Bewohner der „Astrel-Pension“, des Tatorts vom 23. Juni, prägten also auf negative Weise das Zusammenleben der Nachbarschaft, noch bevor es überhaupt zur Tötung von Abdihannan M. kommt. Verwahrlosung, Gewalt – und sogar Mord – werden für Anwohner zu einem Alltag, den sich im Kiez niemand ausgesucht hat.
NIUS warf einen Blick ins Grundbuch der Immobilie, um den Verantwortlichen dieser Entwicklung zu ermitteln. Der Besitzer des Altbaus in der Uhlandstraße ist demnach Dr. Andreas Gerl. Der 81-Jährige ist im politischen Berlin ein bekannter Mann. Für die SPD saß er von 1973 bis 1990 im Berliner Abgeordnetenhaus. Gerl baute sich über die Jahre ein Immobilienimperium in der Hauptstadt auf – und profitierte offenbar auch durch die Flüchtlingskrise.
Schon 2016 berichtete die Berliner Zeitung über undurchsichtige Geschäfte bei der Unterbringung von Asylbewerbern. Dabei ging es um zwei Wohngebäude im Bezirk Mitte, in denen Gerl Asylbewerber einquartierte – obwohl die gewerbliche Unterbringung zuvor vom Bezirksamt abgelehnt worden war. Auch hier kassierte der Ex-SPD-Politiker mit Tagessätzen ab, was deutlich mehr Geld abwirft als eine normale Vermietung.
Gerl gehören zahlreiche weitere Immobilien in der Hauptstadt. Die Geschäfte durch die Vermietung sind einträglich. Der Jurist wohnt in Berlin-Dahlem in einer der exklusivsten Villen der Stadt, über die bereits der Tagesspiegel ausführlich berichtet hat. Sieben Jahre baute ein bekannter Architekt an der klassizistischen „Villa Gerl“, die von vier Türmen eingerahmt wird. Im Inneren wurden die Wände mit Seide tapeziert, die Holzvertäfelungen von einem Maßschnitzer angefertigt und der Terrazzo-Boden in der Eingangshalle von einem österreichischen Meister verlegt.
Die Villa in Berlin-Dahlem war bereits Teil der Medienberichterstattung in Berliner Gazetten.
NIUS konfrontierte Andreas Gerl mit den Vorwürfen. Doch der Ex-SPD-Politiker will von den Geschehnissen nichts mitbekommen haben. „Es ist schon traurig zu erfahren, was Ihnen böse Zungen zugetragen haben“, schreibt er auf Anfrage. „Irgendwelche Beschwerden über Bewohner im Haus sind weder mir noch meiner Frau bekannt, auch von Mitarbeitern wurden uns keine solche Beschwerden berichtet.“
Diese Aussage steht im krassen Widerspruch zu den Aussagen mehrerer Anwohner. Sie hätten sich permanent über die unhaltbaren Zustände im Haus beschwert, erzählen sie. Es habe E-Mails an die Hausverwaltung gegeben, die von Victoria Gerl geführt wird, der Frau von Andreas Gerl. Gespräche hätten zu nichts geführt. Zudem habe es offene Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den Miet- und Lebensverhältnissen der Bewohner in der Uhlandstraße 137 gegeben.
Andreas Gerl und seine Frau Victoria.
Derweil sind sich alle Mieter, Nachbarn und Anwohner einig, dass die Vorgänge rund um die „Astrel-Pension“ nicht isoliert betrachtet werden können. Vielmehr beklagen die Einheimischen einen Identitätsverlust, der sich an den Vorfällen im Haus manifestiert, aber den ganzen Bezirk erfasst. Dazu muss man wissen: Ihre Heimat, die Uhlandstraße, verläuft kreuzt weiter nördlichen den berühmten Kurfürstendamm und die Kantstraße, der Flair des alten West-Berlins weht durch die Straßen.
Doch die Uhlandstraße hat sich wie viele Ecken Berlins gewandelt: Ein Juwelierladen in unmittelbarer Nähe der „Astrel-Pension“ hat nach Informationen von NIUS im vergangenen Jahr Schaufensterscheiben aus Panzerglas installiert. Der DHL-Laden neben dem sechsstöckigen Haus hat zwei Überwachungskameras angebracht, bei Diebstählen von Roma lohne es sich für den türkischstämmigen Betreiber gar nicht mehr, die Polizei zu rufen, heißt es. Die Ermittlungen würden ohnehin im Sande verlaufen. In den letzten Jahren ließen sich zudem mehrere arabischstämmige Barbershops in und um die Straße nieder, in manchem werde kein Deutsch gesprochen. Im Mai eröffnete die Shisha-Bar „Continental“, wo sich laut Bewohnern ausschließlich junge arabische Männer aufhalten. Ende Juni führten Polizei und Zoll nach Informationen von NIUS eine Razzia und Gewerbekontrolle durch.
„Die Nachbarschaft ist nicht mehr die gleiche“, sagt ein Mann, der unweit der „Astrel-Pension“ wohnt. Skurrilerweise befindet sich fußläufig vom Tatort des 23. Juni auch ein Büro der Grünen, quer gegenüber der Unterkunft bezieht die Wilmersdorfer CDU ihr Quartier. Schreiben der Anwohner, sich den Problemen anzunehmen, blieben von den Christdemokraten nach Informationen von NIUS unbeantwortet.
Das Eckhaus in der Uhlandstraße 137 steht sinnbildlich für den Verfall eines Kiezes.
Während die Politik scheinbar kein Problembewusstsein für die Umwälzungen hat, verkommt ein gutbürgerlicher Bezirk zunehmend zu einem migrantischen Problemort – und Anwohner klagen, dass sich die Uhlandstraße immer weniger heimisch anfühlt. Hat Andreas Gerl die Probleme rund um sein Haus tatsächlich nicht wahrgenommen? Zumindest von der Tötung des Ostafrikaners in seinem Haus habe er mitbekommen, bestätigt Gerl gegenüber NIUS. Der Tatverdacht richte sich aber „nicht gegen einen unserer Bewohner, sondern gegen einen fremden Eindringling.“
Recherchen von NIUS zeigen jedoch: Die einträglichen Geschäfte Gerls in der Uhlandstraße sind kein Einzelfall. Auch im Reichensteiner Weg im beschaulichen Berlin-Lichterfelde besitzt der Immobilienunternehmer ein Wohnheim. Das Bezirksamt listete die Immobilie schon 2006 als „Gemeinschaftsunterkunft“. Laut Berliner Senat gab es hier im Jahr 2021 insgesamt 86 Plätze, die per Tagessatz abgerechnet werden. Auch hier wird also einquartiert und abkassiert, während die Nachbarschaft unter den negativen Konsequenzen des Zuzugs leidet.
Auch im Reichensteiner Weg gibt es ein Wohnheim.
So berichtet eine Anwohnerin gegenüber NIUS von ähnlichen Zuständen wie in der Uhlandstraße: Das Haus soll laut ihren Schilderungen Obdachlose und Drogenabhängige beherbergen. Die junge Familie habe drei kleine Kinder, die alleine nicht auf die Straße gehen sollen und nicht draußen spielen dürfen – aufgrund der Zustände im Haus. Die Polizei rücke hier fast jede Woche an. Laut Angaben der Nachbarin klingeln nachts öfter stark alkoholisierte Männer und Männer auf Drogen und fragen die Familie nach Geld. Intern gilt die Wohngemeinschaft bei der Familie als „Action-Haus“. Die junge Familie, die ihren echten Namen ebenfalls nicht in Medien lesen will, möchte nun jedenfalls wegziehen.
„Lebenswert ist diese Nachbarschaft nicht mehr“, so die Frau.
In Berlin-Wilmersdorf ist derzeit zumindest zeitweise Ruhe eingekehrt. Die Roma-Familien sind ausgezogen – wohin, das weiß niemand so genau. Doch schon bald könnte es im Kiez neue Spannungen geben.
Das Gebäude in der Uhlandstraße wird inzwischen kernsaniert. Aufnahmen von NIUS belegen, dass die Wohnungen entrümpelt und umgebaut werden. Zudem sicherte eine polnische Frau zu, die NIUS über die Telefonnummer der „Astrel-Pension“ erreichte, dass eine Unterbringung von polnischen Arbeitern ab Juli oder August kein Problem sei. Die Einquartierung könne mit Rechnung oder bar bewerkstelligt werden. Die Handwerker, die NIUS vorgab, dort unterbringen zu wollen, müssten sich lediglich darauf einstellen, mit Obdachlosen und einigen schweren Fällen zusammenzuleben. Wie die polnische Frau, die als „Asia“ firmiert, mit der Familie Gerl zusammenhängt, bleibt unklar.
In der Uhlandstraße 137 wird derzeit entrümpelt.
Auch offizielle Dokumente der Behörden belegen den Ausbau des Wohnheims. NIUS liegt eine Baugenehmigung vor, die im November 2024 vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf unterzeichnet wurde. Die Pension soll nun offenbar ausgeweitet werden. 240 Betten und 125 Zimmer sind hier geplant, sogenannte Mikroappartments. Die Mindestbelegung soll drei Monate lang möglich sein, maximal könnten Mieter zwölf Monate lang unterkommen – Einquartierung auf Zeit. Die Pension soll sich über das gesamte Gebäude erstrecken. Das ist nur möglich, weil ein Großteil der Mieter das Gebäude verlassen hat.
Übrig geblieben ist die Pension und die Briefkastenadresse der Hausverwaltung, die von Victoria Gerl geführt wird. Ihr Ehemann bestätigt unterdessen gegenüber NIUS: „Die Astrel-Pension will sich künftig Astrel Home nennen und eine Vorzeigeeinrichtung sein. Es handelt sich nicht um eine Flüchtlingsunterkunft. Die nationale Herkunft ist allerdings weder Aufnahmekriterium noch -hindernis. Alles andere wäre Rassismus. Zu Ihrer Beruhigung darf ich Ihnen aber versichern, dass keine Roma im Hause wohnen.“
In der Uhlandstraße munkelte man schon länger: Die Roma-Familien sollten dafür sorgen, die restlichen Mieter aus dem Haus zu treiben, den Verfall voranzutreiben – und das gesamte Gebäude langfristig zu einer noch größeren Unterkunft für Wohnungslose zu transformieren – um am Ende noch mehr Profit zu garantieren?
Wie viele vermögende Personen hat auch der ehemalige Politiker Andreas Gerl vor Jahren eine Stiftung gegründet. Diese hat ihren Sitz ebenfalls in der Uhlandstraße 137. Gemeinnützige Stiftungen sind in Deutschland von der Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer und Erbschaftsteuer befreit. Sie bieten die Möglichkeit, das eigene Vermögen zu schützen. Gerl geht es laut eigenen Angaben jedoch um altruistische Gründe.
„Mir ging irgendwann durch den Kopf, dass ich in der Lage bin, einen guten Teil meines Vermögens für gute Zwecke wegzugeben, ohne große Auswirkungen auf meinen Lebenskomfort“, erklärte er 2022 in einem Interview. Er habe nicht einfach nur Geld spenden wollen, „sondern auch mitbestimmen, wo die Mittel hingehen und was damit passiert“. Deshalb habe er die Stiftung gegründet und eine große Immobilie eingebracht, die im Jahr etwa 500.000 Euro abwerfe. „Dieses Geld steht jährlich für gute Zwecke zur Verfügung.“
Seitdem setzt sich seine Stiftung für Kinder und junge Menschen ein – insbesondere mit Migrationsgeschichte. Die Andreas-Gerl-Stiftung finanziert unter anderem Programme für „Nachwuchstalente mit Flucht- und Migrationshintergrund“, um sie „für den Einstieg in das Berufsleben im IT-Bereich zu qualifizieren“. Kürzlich hat Gerl auch eine Schule in Afrika aufgebaut.
Videoaufnahmen, hochgeladen von der Andreas-Gerl-Stiftung, zeigen ihn freudestrahlend in traditioneller Kluft bei der Eröffnung einer Schule in Äthiopien – dem Land also, aus dem der somalische Mörder stammt, der in seinem Haus in Berlin-Wilmersdorf zustach.
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