
Der Durchsuchungsbeschluss, mit dem der Unterfranke Stefan Niehoff am Dienstagmorgen im Rahmen des bundesweiten Aktionstags gegen Hasspostings im Morgengrauen aus dem Bett geholt wurde, hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. NIUS berichtete zuerst über den Fall.
Der 64-Jährige hatte auf X ein Meme geteilt, auf dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit dem an den Werbeauftritt von Schwarzkopf angelehnten Schriftzug „Schwachkopf PROFESSIONAL“ zu sehen war.
Die Staatsanwaltschaft Bamberg wertete den Retweet dieses Memes als Volksverhetzung:
Auch einen Tag später sind viele Aspekte des Vorgangs unklar. Da wäre einerseits die Frage: Hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Strafantrag selbst unterschrieben? Da Niehoff nach dem Politiker-Beleidigungs-Paragrafen 188 beschuldigt wird, hätte die Staatsanwaltschaft theoretisch auch ohne das Zutun Habecks tätig werden können.
Auf eine NIUS-Anfrage hierzu antwortete die Staatsanwaltschaft Bamberg trotz mehrerer Nachfragen bislang nicht. Auch aus dem Büro des Bundeswirtschaftsministers erfolgte keine Reaktion.
Naheliegend wäre es zumindest: Im August – also in eben jenem Monat, in dem das Amtsgericht Bamberg den Beschluss zur Durchsuchung von Niehoffs Wohnung ausstellte – wurde bekannt, dass der Wirtschaftsminister seit April 2024 mehr als 700 Anzeigen wegen Hassrede im Internet gestellt hatte.
NIUS fragte außerdem beim Landeskriminalamt Bayern an, zu welchem Phänomenbereich Niehoffs Vergehen gezählt wurde. Eine Antwort erhielten wir bislang nicht.
Rechtsanwalt Udo Vetter erkennt ein typisches Vorgehen der Behörden in solchen Fällen. „Die Tatsache, dass der Beschluss nicht direkt im August, als er ausgestellt wurde, auch vollstreckt wurde, deutet auf eine Bagatellstraftat hin“, erklärt er im Gespräch mit NIUS. „So etwas macht man gerne einmal, um die Fälle dann gebündelt für derartige ‚Aktionstage‘ zu verwenden.“
Dass Niehoff auf dem Durchsuchungsbeschluss einerseits „Volksverhetzung“ vorgeworfen wird, diese dann aber nicht mehr in den später angeführten Paragrafen auftaucht, erklärt sich Vetter so: „Hier hat man das Verfahren offensichtlich zunächst als Volksverhetzung gewertet und ist dann umgeschwenkt, ohne es zu ändern. Das hat keine weitere juristische Bedeutung.“ Fassungslos macht ihn allerdings die ursprüngliche Einordnung: „Dass jemand auf die Idee kommt, einen derartigen Retweet als Volksverhetzung einzuordnen – dafür fehlt mir das Verständnis.“
In ganz Deutschland rückten Beamte der Kriminalpolizei am Dienstag zum Aktionstag gegen Hasspostings aus, um Social-Media-User zu ermahnen, ihre Wohnungen zu durchsuchen und elektronische Geräte zu beschlagnahmen. In über 90 Ermittlungsverfahren wurden mehr als 50 Wohnungen durchsucht, insgesamt gab es 127 Polizei-Maßnahmen. „Wenn die Polizei vor der Tür steht, wird jedem Täter klar, dass Hasskriminalität Konsequenzen hat“, teilte Innenministerin Faeser auf X mit.
Nancy Faesers Bundesinnenministerium initiierte den Aktionstag gegen Hasspostings.
Als „Themenschwerpunkt“ des Aktionstags gab das Innenministerium zwar Antisemitismus aus – doch auch Verfasser anderer „Hass-Postings“ wurden am Dienstag belangt: So basierten laut Innenministerium knapp zwei Drittel der Einsätze auf „Ermittlungen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts“. Hinzu kommen Fälle aus den Bereichen „politisch motivierte Kriminalität sonstige Zuordnung“, „politisch motivierte Kriminalität ausländische Ideologie“ und „politisch motivierte Kriminalität religiöse Ideologie“.
Die häufigsten Straftaten waren laut Innenministerium Volksverhetzung (§ 130 StGB) Beleidigung von Personen des politischen Lebens (§ 188 StGB) und das Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB).
In Bayern durchsuchten die Beamten insgesamt 18 Objekte und vernahmen 19 Beschuldigte.
In einer Pressemitteilung nennt das bayerische Landeskriminalamt lediglich für drei Fälle Details. So feierte ein Beschuldigter auf einer Social-Media-Plattform die Morde der Hamas und solidarisierte sich mit der Terrororganisation. Ein anderer Beschuldigter schrieb auf einer Social-Media-Seite einer bekannten Fernsehsendung unter ein Video, in dem homosexuelle bzw. transsexuelle Teilnehmer zu sehen sind, „ab nach Auschwitz“. Ein weiterer Beschuldigter postete ein Bild von Anne Frank sowie daneben das Bild einer Pizzaschachtel eines bekannten deutschen Lebensmittelherstellers mit der Aufschrift „Die Ofenfrische“. Einer der für Unterfranken gelisteten Fälle ist der von Stefan Niehoff.
Über die weiteren 14 Fälle aus Bayern ist nichts bekannt.
Die Polizei Brandenburg teilte auf eine NIUS-Anfrage mit, es habe drei Beschuldigtenvernehmungen gegeben. Die Tatorte waren dabei Lübbenau, Cottbus und Kloster Lehnin. Die drei beschuldigten Männer hätten auf unterschiedlichen Plattformen Postings veröffentlicht, die als „politisch motivierte Straftaten des Phänomenbereichs rechts“ einzuordnen seien. Zwei Taten ereigneten sich dabei in diesem Sommer, eine weitere im Jahr 2022. Der Nutzer dieses Accounts konnte erst vor Kurzem ermittelt werden. In allen drei Verfahren lautet der Tatvorwurf auf Volksverhetzung gemäß § 130 StGB.
In Sachsen fanden nach Auskunft des Landeskriminalamts sieben Beschuldigtenvernehmungen in Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Görlitz statt. „Es handelt sich bei allen veröffentlichten Posts um antisemitische und den Holocaust verleugnende oder verhöhnende Inhalte, die dem Bereich der Volksverhetzung nach §130 des Strafgesetzbuches zuzuordnen sind“, heißt es in der Antwort auf eine NIUS-Anfrage. Sechs Beschuldigte seien männlich und im Alter zwischen 23 und 67 Jahren. Eine weibliche Beschuldigte ist 42 Jahre alt. Alle Tatverdächtigen haben die deutsche Staatsbürgerschaft.
Von insgesamt 350 Hasspostings in Sachsen im Jahr 2024 werden 232 dem Phänomenbereich „rechts“ zugeschrieben, lediglich 35 dem Phänomenbereich „links“, 68 sind unter „sonstige Zuordnung“ gelistet.
Hasspostings in Sachsen.
In Hamburg wurden fünf Wohnungen durchsucht. Die Durchsuchungen erfolgten laut Pressemitteilung der Polizei in voneinander unabhängigen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung (§ 130 StGB), des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) sowie in jeweils einem Fall wegen der Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) und der gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung, üblen Nachrede und Verleumdung (§ 188 StGB).
Laut Generalstaatsanwaltschaft Rostock wurden in Mecklenburg-Vorpommern keine Durchsuchungsbeschlüsse im Rahmen des Aktionstages vollstreckt. Auch im Saarland gab es keine Einsätze. In Rheinland-Pfalz gab es eine Durchsuchung, die dem Phänomenbereich „rechts“ zugeordnet wird.
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