Frankreichs berühmter Philosoph Alain Finkielkraut: „Im Reich der rachsüchtigen Moral“

vor 15 Tagen

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Er gilt als einer der bedeutendsten Philosophen unserer Zeit: Alain Finkielkraut, Sohn eines polnisch-jüdischen Lederwarenhändlers, der das KZ Auschwitz überlebte. Finkielkraut ist Mitglied der Académie française, einer französischen Gelehrtengesellschaft mit Sitz in Paris. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung spricht der Philosoph über das Urteil gegen Marine Le Pen und die neue Moral in Frankreich.

NIUS dokumentiert wichtige Gedanken:

„Das erstinstanzliche Urteil ist skandalös. Vier Jahre Haft, davon zwei auf Bewährung, eine Geldstrafe und fünf Jahre Aberkennung der Wählbarkeit, mit sofortiger Vollstreckung. Das bedeutet, es gibt keine Unschuldsvermutung mehr. Zudem hat das Gericht erklärt, es bestehe Wiederholungsgefahr – weil sich Frau Le Pen verteidigt hat und nicht auf schuldig plädiert hat. Als ich die Urteilsbegründung las, kamen mir zwei Adjektive in den Sinn: orwellianisch und kafkaesk. Hier wurde ihre Verteidigung als erschwerender Umstand gewertet – und das ist ungeheuerlich. Sie verteidigt sich, so gut sie kann, das ist ihr gutes Recht. Es geht ausdrücklich darum, Le Pens politische Karriere zu zerstören.“

Marine Le Pen trifft vor Gericht ein.

„Es gibt heute eine unterschwellige, aber dominante Ideologie unter Frankreichs Richtern – vor allem im Verfassungsrat. Ein Beispiel: Im Namen des Prinzips der Bürgerlichkeit hat der Verfassungsrat den Gesetzgebern untersagt, die Beihilfe zur Einreise illegaler Ausländer unter Strafe zu stellen. Damit wird das Prinzip der Brüderlichkeit gegen das Prinzip der nationalen Präferenz ausgespielt. Heute ist es also allgemein akzeptiert, dass man nicht mehr unterscheiden darf, zwischen ‚innen‘ und ‚außen‘, im Namen einer universellen Menschlichkeit. Aber wenn diese Unterscheidung abgeschafft wird, ist keine Nation mehr möglich. Und es scheint, dass ein großer Teil der Richterschaft uns genau in diese Richtung führen will. Wir befinden uns im Bereich einer rachsüchtigen Moral.“

„Die Justiz ist eine eigene Macht, die politisch Wirkung entfaltet. In einer funktionierenden Demokratie bedeutet Gewaltenteilung nicht nur Schutz vor der Exekutive, sondern auch Wachsamkeit gegenüber einer Justiz, die mit moralischen Kategorien argumentiert. Wie sagt Montesquieu so schön? Damit Macht nicht missbraucht werden kann, ist es notwendig, dass die Macht durch die Anordnung der Dinge die Macht einschränkt. Seit einigen Jahren sehe ich, dass sich diese Macht aus ihren Schranken gelöst hat. Das beunruhigt mich, und mit diesem Gefühl bin ich nicht allein. Ich glaube, dass es selbst in der Richterschaft ein Unbehagen gibt.“

„Die linke Richtergewerkschaft, die im Gefolge von 1968 gegründet wurde, hat erst vor wenigen Monaten dazu aufgerufen, der extremen Rechte den Weg zu versperren – als ob das ihre Aufgabe wäre. Auch vertreten heute alle Richter den Standpunkt, dass man gerichtliche Entscheidungen nicht kritisieren dürfe. Ich muss sagen, dass mich diese Behauptung – die übrigens von der wohlmeinenden Presse immer wiederholt wird – sprachlos macht. Was war denn bitte die Dreyfus-Affäre, wenn nicht die Kritik an einem Gerichtsurteil? Marine Le Pen ist natürlich kein neuer Dreyfus. Wir haben es mit einem völlig anderen Fall zu tun. Und doch: Dieses Urteil hat einen Teil der französischen Öffentlichkeit empört. Damals, zur Zeit der Dreyfus-Affäre, neigte die Justiz nach rechts, sogar nach ganz rechts. Heute neigt sie nach links, sogar nach ganz links.“

„Georges Bernanos sagt: Die Optimisten sind die glücklichen Dummköpfe, die Pessimisten die unglücklichen Dummköpfe. Ich versuche, weder das eine noch das andere sein. Aber was die Kultur betrifft, sehe ich wirklich wenig Grund zur Hoffnung.“

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