
Es ist ein Spruch, bei dem im politischen Berlin die Alarmglocken angehen: „Im Herbst wird es auch Entscheidungen geben in der Koalition“, sagt Kanzler Friedrich Merz (CDU) auf die Frage eines Bürgers, warum Deutschland so unternehmerfeindlich sei, so hohe Steuern und Abgaben erhebe. Weißer Sessel, weißes Hemd, blaue Krawatte – „intensive Diskussionen“ werde es auch geben, so Merz auf Instagram.
Friedrich Merz während seiner Instagram-Fragestunde
„Herbst der Entscheidungen“? Da war doch was. Es ist noch kein Jahr her, da rief der damalige FDP-Chef Christian Lindner in der Rheinischen Post den „Herbst der Entscheidungen“ aus und nannte eine Reihe von Zielen, an denen sich die Ampel-Koalition messen lassen müsse. Am Ende dieses Herbstes stand der Bruch des Regierungsbündnisses.
Lindners Forderungen damals: „Setzen wir die Wachstumsinitiative ambitioniert um, damit wir eine Wirtschaftswende bekommen? Verständigen wir uns auf einen Bundeshaushalt, der Bildung, Investitionen und Sicherheit stärkt, aber zugleich die Steuerlast für die Bürger senkt und die Schuldenbremse einhält? Erreichen wir mehr Kontrolle und Konsequenz bei der Migrationspolitik und überwinden wir dafür Denkverbote?“ Alles Themen, die auch für die Nachfolger-Regierung von Kanzler Merz noch aktuell sind.
Dass bei dem Wort „Entscheidungen“ politische Beobachter hellhörig werden, liegt aber weniger an der Wiederholung als vielmehr an der versteckten Botschaft. Merz sagt eben nicht: Wir werden die Abgaben senken und die Sozialsysteme reformieren, schlanker machen. „Entscheidungen im Herbst“ bedeutet im Wortsinne nicht viel mehr, als dass irgendetwas entschieden werde. Eine Formulierung, die Merz zur gezielten Anscheinserweckung von Tatkraft, Entschlossenheit und Reform verwendet, weil ihm klar ist, wie unsicher und unklar ist, ob mit dem Koalitionspartner SPD wirklich etwas in dieser Richtung möglich ist.
Gedämpfte Stimmung zwischen Vizekanzler Lars Klingbeil und Friedrich Merz bei der letzten Kabinettssitzung.
„Entscheidungen im Herbst“ ist eine Tarn-Floskel dafür, dass schon jetzt der Widerstand der SPD gegen jeden harten Einschnitt beim Bürgergeld mit Händen zu greifen und alles andere als sicher ist, ob Merz ernsthafte Reformen wird liefern können. Bundesfinanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil machte erst in dieser Woche klar, dass ein Abbau des Sozialstaats mit ihm und der SPD nicht zu machen sei. So will die SPD derzeit allenfalls gegen säumige Bürgergeld-Klienten und Schwarzarbeiter vorgehen, an der Grundstruktur der Sozialtransfers aber nichts ändern zu wollen. Anstelle von Steuersenkungen machte Klingbeil klar, dass er eher darauf setze, dass sich die Union bei Steuererhöhungen auf die Sozialdemokraten zu bewegen werde.
Mit anderen Worten: Im bevorstehenden „Herbst der Entscheidungen“ dürfte es zwischen Union und SPD genauso krachen, wie weiland in der Ampel. Wer diese Konfrontation auf nahezu allen Politikgebieten nicht benennen will, der spricht von „Entscheidungen“ und verschweigt, welche „Entscheidungen“ denn anstehen und zwingend nötig sind. „Entscheidungen“ ist ein Lauer-Wort, mit dem man sich nicht zu früh aus der Deckung wagen und keine frühzeitige Mauer von Empörung und Blockade provozieren will.
Denn noch ist auch der Streit um die geplatzte Wahl der SPD-nahen Verfassungsrichter nicht beigelegt. In der Union ist längst klar, dass man der SPD wird einen politischen „Preis“ zahlen müssen, damit sie ihr Gesicht wahren und ihre Kandidatinnen zurückziehen kann. Dieser Preis könnte eben auch im Verzicht auf die dringend nötigen Sozialreformen und dem Begnügen mit symbolischen Maßnahmen bestehen. Doch auch hier legt man seine Karten nicht früher auf den Verhandlungstisch als unbedingt nötig.
Wenn Politiker „Entscheidungen“ fordern, ohne sie klar zu benennen, verheißt das nichts Gutes. Auch Kanzlerin a.D. Angela Merkel kündigte 2010 einen „Herbst der Entscheidungen“ an. Damals ging es um ein neues Energiekonzept, Änderungen bei Hartz IV, die Gesundheitsreform, die Aussetzung der Wehrpflicht und um Streit in der Haushaltspolitik. Die gleichen Themen wie heute. Koalitionspartner von Merkel war damals die FDP. Nach dieser Legislaturperiode flog sie aus dem Bundestag.
Soweit wird es diesmal bei SPD und Union wohl nicht kommen. Aber ein gutes Zeichen ist der kommende „Herbst der Entscheidungen“ trotzdem nicht.
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