
Wenn Donald Trump und Wladimir Putin am kommenden Freitag in Alaska aufeinandertreffen, begegnen sich nicht nur zwei Präsidenten, sondern zwei Mächte, deren Einfluss und Interessen nicht an den eigenen Landesgrenzen enden. An der Küste des Nordpazifik soll, fast ein bisschen zu deutlich weit entfernt von den Hauptstädten Europas, über Wege zu einem Ende des Ukraine-Krieges verhandelt werden.
Auch arabische oder asiatische Länder, die sich in der Vergangenheit mal mehr, mal weniger erfolgreich als Vermittler anzutragen versuchten, sind nicht mit von der Partie; man trifft sich in einer erfrischend kühlen Ecke des Globus, in der noch die bipolare Logik des Kalten Krieges gilt: Moskau und Washington machen das unter sich aus. Wenn der Kuchen redet, haben die Krümel Pause. Wie schwierig aber ist diese Lage für die Ukraine? Entscheidet sich in den nächsten Tagen vorläufig ihr Schicksal?
Nach über drei Jahren des Krieges dürften sich die beiden Männer, Trump wie Putin, über Bilder freuen, auf die sie beide lange hingearbeitet haben. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Donald Jr., der seiner Wählerbasis ein schnelles Ende des Ukraine-Krieges versprach, wird in Alaska als Gastgeber auftreten, kann so gleichermaßen seine Friedensbewegtheit und sein Hausrecht bemühen.
Wladimir Wladimirowitsch wiederum liefert das Gipfeltreffen die Aufnahmen, welche die Erreichung eines seiner strategischen Ziele – diplomatische Augenhöhe mit den USA – belegen sollen. Zwar ist Russland von einer tatsächlichen Parität mit den USA weit entfernt und die Welt nicht mehr die der 1960er, doch ausschauen wird es dennoch so. Insbesondere, wenn man ohnehin genau das sehen will.
Ein Dritter ist zu diesem Treffen nicht eingeladen, obwohl es um sein Land und seine Staatsbürger geht: Volodymyr Selenskyj wird das Treffen der Großen angespannt verfolgen. Er weiß, dass die Ukraine finanziell und militärisch nicht ohne die USA überleben kann; die Rhetorik der Europäer deckt sich nicht mit ihrer Rüstungsproduktion, zu gravierend sind auch die Fähigkeitslücken in der EU.
Zudem ist in Kiew klar, dass jede für die Ukrainer halbwegs akzeptable Verständigung nur mit US-Garantien belastbar bleibt, da die Europäer weder über strategische Waffen noch ein strategisches Zentrum verfügen. Er muss damit rechnen, dass er zur Abtretung größerer Landesteile gezwungen wird, wenn er die amerikanische Unterstützung nicht gänzlich verlieren will.
Volodymyr Selenskyj steht unter Druck.
Diese Unsicherheit trifft die Ukrainer in einer für sie zunehmend nachteiligen Lage. Zwar ist es ihr insgesamt – und für viele überraschend – gelungen, den russischen Landeinfall zunächst abzuwehren, nicht zuletzt dank frühzeitiger Unterstützung der Briten und einer bemerkenswerten Kampfmoral. Doch die zähe, erstaunlich belastbare Verteidigung der Ukrainer ist letztlich vom Westen abhängig.
Dieser liefert nicht nur humanitäre und militärische Güter, stopft kritische Fähigkeitslücken und teilt sein Know-how. Viel wichtiger noch bietet der Westen der Ukraine eine Perspektive für eine Zeit nach dem Krieg, sagt Gelder für den Wiederaufbau zu, spricht hier und da von NATO- oder EU-Mitgliedschaft. Verspricht vieles, was er nicht wird halten können. Liefert genug, um nicht unterzugehen, aber nie so viel, damit Gegenoffensiven gelingen. Zu chaotisch ist das strategische Theater in Brüssel, zu divergierend die Interessen.
Auch im eigenen Land spüren die Ukrainer die Verheerungen des Krieges. Die Luftangriffe und der Artilleriebeschuss der russischen Armee, die in großer Zahl zivile Opfer fordern; die tödliche Hinterhältigkeit in Masse produzierter Drohnen hinterlassen tiefe Beschädigungen an der Belastbarkeit der Menschen. Immer häufiger kommt es zu Anpassungen an der Wehrpflichtgesetzgebung, zu dramatischen Szenen bei Wehrdienstverweigerern.
Die Verluste auf dem Schlachtfeld und im Hinterland sind hoch, und obwohl über eine halbe Million Ukrainer derzeit in den Streitkräften dient, können sie nicht unbegrenzt ersetzt werden. Zudem scheint das Momentum derzeit beim Angreifer zu liegen: In den vergangenen vier Wochen haben die russischen Kräfte beinahe 365 Quadratkilometer erobern können, etwa 300 im Vormonat. Obwohl sich der Vorstoß in den letzten Tagen zu verlangsamen schien, geht die russische Taktik insgesamt auf: Häufig muss die Ukraine ihre personell unterbesetzten Einheiten aus einer guten defensiven Position sicherheitshalber abziehen, um der drohenden Einkesselung durch die Russen zu entgehen.
Derzeit halten Putins Truppen gut ein Fünftel des ursprünglichen ukrainischen Staatsgebietes. Die Ukraine kämpft zunehmend asymmetrisch, mit hoher Entschlossenheit, aber erschöpft. Russland hingegen setzt auf Masse, industriellen Output und ausländische Produktionshilfen. Der Geländegewinn der russischen Streitkräfte erfolgt inkrementell, nichtsdestotrotz ist er da. Obwohl die Streitkräfte der Föderation eher nach vorne kriechen, sind Russland nicht wie von manchem Experten errechnet die Panzer ausgegangen; es sind sehr viel mehr Panzer geworden, übrigens in einem Vergleichszeitraum, in dem die Bundeswehr personell geschrumpft ist.
Es ist schwierig für die Europäer, den angegriffenen Nachbarn in dieser Lage zum Weitermachen zu motivieren. Wozu das alles, so fragt man sich das inzwischen nicht nur häufiger in Kiew, sondern auch unter den sogenannten Normalbürgern in Europa. Auf der strategischen Ebene spricht zwar einiges gegen einen raschen Erfolg Putins: Die Wirtschaft schmiert zwar nicht ab, aber sie wächst nicht schnell genug; die Kosten für den Krieg explodieren nicht, aber sie sind unangenehm hoch; Russland gehen so schnell auch nicht die Soldaten aus, doch ist die Zahl seiner Gefallenen erschreckend.
Von einer Sonderoperation oder einer Überlegenheit des Kremls kann selbst trotz westlicher Waffenlieferungen nicht mehr die Rede sein, und während die in Zivil agierenden Auslandsgeheimdienste Russlands nach wie vor als Meister ihres Fachs gelten, haben der Wagner-Aufstand und ein Überraschungsangriff auf die strategische Bomberflotte die russische Abwehr alt aussehen lassen.
Der Ölpreisdeckel der EU könnte so langsam eine Schmerzgrenze erreicht haben. Stehen die Chancen für ein Abkommen also gar nicht so schlecht? Wie so oft in der Menschheitsgeschichte ist zumindest eine temporäre Verständigung, beispielsweise eine Art Waffenstillstand, immer dann wahrscheinlich, wenn es für alle Seiten nicht besonders gut läuft. Ein umfassender Friedensdeal ist unwahrscheinlich, um nicht zu sagen unmöglich. Dazu liegen die Versprechungen, die sich beide Seiten derzeit noch machen, zu weit voneinander und der Realität entfernt.
Ukrainische Soldaten an der Front
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die beiden Staatsmänner sich ausgerechnet in Alaska treffen – jenem Territorium, das Russland 1867 an die USA verkaufte, das also einst aus Moskau regiert wurde. Dieser Umstand scheint auf den ersten Blick eine Erinnerung an die expansionistischen Gelüste der beiden Männer zu sein: Hier der Revisionist Putin, der seine alten Territorien zurückgewinnen möchte, da der Dealmaker Trump, der ganze Länder in seinen Einkaufswagen legt. Doch Alaska ist auch eine Erinnerung daran, dass Landkäufe in der Geschichte der USA eher die Regel als die Ausnahme waren, zugleich ein seltener Beleg dafür, dass Verträge zwischen Moskau und Washington auch eingehalten werden können.
Man mag von Trump halten, was man will, doch seine Herangehensweise könnte sich schlussendlich tatsächlich als für den Frieden förderlich erweisen. Erst vor wenigen Tagen hat der ehemalige New Yorker Baumeister einen Frieden zwischen den Erzkontrahenten Armenien und Aserbaidschan vermakelt – die ihn sodann prompt für den Nobelpreis vorschlugen – und damit eindrucksvoll markiert, dass er bereit ist, in Putins Vorgarten zu wildern. Immerhin sind beide Länder ehemalige Sowjetrepubliken und Armenien sogar ein formaler Verbündeter des Kremls in dessen eigener NATO-Variante „OVKS“. Auch das kann man als ein Signal der Stärke verstehen, das die eigenen Ambitionen („Friedensstifter“) mit dem strategisch notwendigen Gehabe verbindet.
Klar ist: Es braucht diese Konferenz, schon deshalb, weil es nicht schadet, wenn miteinander gesprochen wird. Wer nach über drei Jahren der Zermürbung und des langsamen Vorrückens noch an einen russischen Sieg in der Ukraine glaubt, der sollte besser sehr alt werden, um diesen mitzuerleben. Wer allerdings ernsthaft glaubt, die Ukraine könne ohne konkrete ausländische Intervention noch einmal ein Fünftel ihres Staatsgebietes befreien und ihren Feind darüber hinaus so empfindlich treffen, dass er auch seine Ansprüche aufgibt – ohne dabei einen globalen Konflikt auszulösen –, der sei vor dieser allzu mächtigen Entrückung gewarnt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es für beide Konfliktparteien nicht mehr so viel besser wird, steigt täglich. Eine Atempause, um diese Erkenntnis einmal sacken zu lassen – Tote zu betrauern, Gefallene zu beerdigen, Gefangene auszutauschen – wäre sie so schlecht?
Wenn Donald Trump und Wladimir Putin sich am 15. August treffen, dann ist dieser Freitag nicht nur der 256. Geburtstag des regierenden Generals Napoleon, sondern auch der Feiertag Marias Aufnahme in den Himmel. Unweigerlich denkt der Amerikaner da an einen „Hail Mary“, einen sehr langen Pass, der im American Football in einer verzweifelten Situation geworfen wird, in der die Erfolgsaussichten gering sind. Vielleicht ist Trumps Begegnung mit Putin sein außenpolitisches Ave-Maria, wer kann das schon sagen? Ab und zu landen diese Pässe tatsächlich einen Treffer.
Mehr von Chris Becker:Trump entsendet Atom-U-Boote, Ukraine baut See-Drohnen, währenddessen geht die Deutsche Marine baden