Alice Weidel, Friedrich Merz und das doppelte Spiel der ARD

vor etwa 7 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Am 20. Juli 1944 versuchte eine Gruppe von Wehrmachtsoffizieren vergeblich, Adolf Hitler mit einem Sprengsatz umzubringen. Es war der bedeutendste Umsturzversuch in der Zeit des Nationalsozialismus.

Man darf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie sich bei der ARD ordentlich ins Fäustchen gelacht haben, als AfD-Chefin Alice Weidel die Einladung zum „Sommerinterview“ ausgerechnet für den 20. Juli 2025 angenommen hat.

Da war ihnen eine kleine Bosheit für Feinschmecker gelungen: Hatte man Deutschlands mit weitem Abstand größte Oppositionspartei doch schon rein terminlich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht.

Dem kleinen Kalender-Coup folgte ein Lehrstück für einseitiges und tendenziöses Fernsehen, das die Bezeichnung „Journalismus“ nicht verdient.

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So richtig würdigen kann man die als Gespräch verkleidete Anti-AfD-Propagandashow im „Ersten“ erst, wenn man das „Sommerinterview“ mit Friedrich Merz eine Woche vorher dagegenstellt.

Da stellte Moderator Markus Preiß nach einer etwa einminütigen Einleitung die erste Frage. Merz durfte ca. 35 Sekunden ununterbrochen antworten. Zweite Frage, zweite Antwort: eine Minute, ununterbrochen. Dritte Frage, dritte Antwort: 25 Sekunden, ununterbrochen. Vierte Frage, vierte Antwort: 45 Sekunden, ununterbrochen. Fünfte Frage, fünfte Antwort: 20 Sekunden, ununterbrochen.

Das „Gespräch“ mit Alice Weidel verlief, nun ja, anders.

Nach etwa einer Minute stellt Preiß auch hier die erste Frage. Doch bevor Weidel auch nur einen Satz sagen kann, wird erst einmal ein Clip eingespielt. Preiß formuliert erst dann die eigentliche Frage. Weidel kommt erstmals nach einer Minute und 24 Sekunden zu Wort – also knapp eine halbe Minute später als Merz. Bei einer Gesamt-Sendezeit von nominal 30 Minuten ist das durchaus relevant.

Noch wesentlich relevanter ist dann der Gesprächsverlauf.

Nach drei Minuten stellt Preiß eine Frage zum Haushalt. Weidel setzt zur Antwort an. Nach zwölf Sekunden unterbricht Preiß sie. Weidel versucht erneut zu antworten. Mitten im Satz unterbricht Preiß sie. Sie setzt erneut an. Nach weiteren sechs Sekunden unterbricht Preiß sie. Sie formuliert erneut eine Antwort.

Plötzlich schneidet die Regie ohne Vorwarnung, ohne Grund und ohne jede Erklärung von Weidel auf das laute Häufchen von Störern am gegenüberliegenden Spree-Ufer. Dann schneidet die Regie zurück auf Weidel – die in ihrer Antwort, wir kennen das schon, von Preiß unterbrochen wird.

Auch vom inhaltlichen Anspruch her haben die beiden „Interviews“ nicht das Geringste miteinander zu tun. Die ersten drei Fragen an Merz lauten:

• Was ging Ihnen am Freitag bei der gescheiterten Richterwahl durch den Kopf? • Dass unterschiedliche Meinungen bestehen, dass vielleicht nicht jeder Abgeordnete die gleiche Meinung hat wie der Fraktionsvorsitzende – das kann vorkommen. Nur dass das dann im letzten Moment erst offensichtlich wird: Ist das eine lebendige Demokratie, oder ist das eine nicht funktionierende, nicht professionelle Arbeit in der Fraktion? • Sie haben gesagt, Sie hätten das erkennen können, dass es diesen Unmut (in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Red.) gibt. Hätte es Jens Spahn erkennen müssen? Sie waren früher selber Fraktionschef. Sie wissen, wie man da arbeitet.

Drei politische Fragen zu einem aktuellen Vorgang. Zwar alle zu demselben, aber immerhin. Von Alice Weidel will Moderator Preiß in seinen ersten drei Fragen etwas ganz anderes wissen:

• Warum ist Ihnen Ehrlichkeit in der Politik so wichtig? • Würden Sie sagen, Sie sind eine ehrliche Politikerin? Sie lügen nicht? • Aber hätte Ihnen das, was Friedrich Merz jetzt gemacht hat (das Brechen der zentralen Wahlversprechen, Red.), nicht auch passieren können? Sie haben im Wahlkampf eine massive Senkung der Einkommensteuer gefordert, Entlastung für die Familien, komplette Abschaffung von Grund- und Erbschaftssteuer, niedrigere Energiepreise, 2.000 Euro Willkommensprämie für Babys, und, und, und… Laut Institut der Deutschen Wirtschaft hätte das 149 Milliarden Euro pro Jahr gekostet. Wie viel Schulden hätten Sie aufgenommen?

Auf die letzte Frage versucht Weidel dann zu antworten – vergeblich, weil sie ab da immer und immer wieder unterbrochen wird.

Die Fragen sind für sich schon entlarvend. Merz wird auf eine aktuelle Schwachstelle in seiner Regierungskoalition abgeklopft. Weidel dagegen wird eine völlig unsinnige persönliche Frage nach „Ehrlichkeit“ gestellt – mit dem offenkundigen Ziel, ihr hinterher Unehrlichkeit vorzuwerfen. Und gegen den Vorwurf darf sie sich dann nicht einmal wehren, weil Preiß sie sofort unterbricht.

So macht der Moderator das „Sommerinterview“ schon ganz allein zum Desaster. Da hätte es die Krakeeler gar nicht gebraucht.

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Übrigens: In der Gehaltsstufe 9-15 verdient ein Kameramann/Tonmann bei der ARD zwischen gut 4.000 und fast 9.000 Euro im Monat. Das ist objektiv sehr viel Geld, und es ist nicht plausibel, dass die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Riesenkonzerns es dafür bekommen, dass sie weniger können, als in der Branche üblich ist.

Mehrere Tontechniker außerhalb der ARD haben es aber ganz ohne die logistischen Möglichkeiten eines ÖRR-Senders – also ohne einen Etat von sechs Milliarden Euro jährlich – geschafft, das Sommerinterview innerhalb kurzer Zeit so zu bearbeiten, dass Frau Weidels Antworten klar und deutlich zu hören sind. Auf der Plattform X kursieren mehrere Ausschnitte des Gesprächs, bei denen die Geräuschkulisse im Hintergrund technisch simpel und höchst erfolgreich weggefiltert wurde.

Aber das „Erste“ kann das nicht, oder will es nicht können.

Zwischen der Aufzeichnung des Interviews und der Ausstrahlung lagen zweieinhalb Stunden. In dieser Zeit war es dem ARD-Fachpersonal angeblich nicht möglich, die Tonspuren des Gesprächs so zu bearbeiten, dass eine sendefähige – das heißt: den knapp 1,6 Millionen Zuschauern der Sendung zumutbare – Version entstanden wäre.

Da darf sich die „Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands“ dann bitte auch nicht wundern, dass sich in den Sozialen Medien rasend schnell der Verdacht verbreitet, die ARD habe an der technisch möglichen Unterdrückung der Tonspur der Störer – sagen wir mal: nicht mit vollem Nachdruck gearbeitet.

Auch die Berliner Polizei hat nichts Besseres zu tun, als Zweifel an ihrer politischen Neutralität fleißig zu verstärken. Im Internet kursieren Aufnahmen, die eindeutig zeigen, dass Einsatzkräfte schon während des Weidel-Interviews direkt neben Störern stehen – ohne auch nur den Versuch zu machen, den Angriff auf die Pressefreiheit zu beenden. Dem Komplettversagen beim Schutz eines Grundrechts begegnet die Polizei mit einer Pressemitteilung, die vor Ausflüchten nur so strotzt.

Selbstkritik? Fehlanzeige, genau wie bei der ARD.

Beschwichtigend lässt die Polizei aber wissen, die Lärm-Attacke mit dem technisch aufgemotzten Lautsprecher-Bus sei eine „Spontankundgebung“ gewesen. Ja klar, und die Sonne dreht sich um die Erde. Die Versammlung habe sich gegen 16.00 Uhr aufgelöst, „nachdem die Politikerin die Örtlichkeit verlassen hatte“.

Oder anders: Was wollt ihr eigentlich – gleich nach dem gestörten Interview war doch alles vorbei.

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Das ARD-Hauptstadtstudio ist jetzt vor allem damit beschäftigt, Kritik zurückzuweisen. Bis zum Beginn der Sendung sei die Störaktion ja nicht bekannt gewesen. Umgekehrt wussten die Störer allerdings sehr genau, wann die Aufzeichnung des Interviews begann. Woher eigentlich? In den Programmzeitschriften wurde nur der Ausstrahlungstermin veröffentlicht. Und die AfD schickt der Antifa normalerweise keine Terminhinweise.

„Wir werden aus der Sendung Schlüsse ziehen und in Zukunft Vorkehrungen treffen“, heißt es dann noch vom „Ersten“. Offiziell gibt man sich also zerknirscht. Allerdings machen die üblichen Verdächtigen in der Riege der fürstlich bezahlten ARD-Redaktionsleiter auch schon klar, dass sie einen direkten Angriff auf die Pressefreiheit und die akustische Sabotage ihres eigenen Arbeitgebers durchaus gutheißen: Falls es noch irgendeines Beweises bedurft hätte, dass die ARD an Haupt und Gliedern verloren ist: voilà.

via Bluesky

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