
Parteien machen sich den Staat zur Beute. Die größte Bedrohung der Demokratie kommt deshalb aus ihr selbst. Dass die Parteien den Staat auch finanziell missbrauchen, kann nicht überraschen.
Die Causa Marine Le Pen wird viel zu eng diskutiert. Klar ist: Die französische Politikerin hat Recht gebrochen und ist zu recht verurteilt worden. Die Frage ist nur, ob sie aus politischen Gründen so hart angefasst wird? Ob der in Frankreich in solchen Fällen übliche Entzug des passiven Wahlrechts sofort in Kraft treten musste oder nicht, lag im Ermessen des Gerichts. Eine zumindest nicht besonders kluge Entscheidung. Die Justiz kreiert eine Märtyrerin, bestraft ein Drittel der Wähler und verbessert die Aussichten dieser Partei. Der Spruch von Ungarns Orbán über seine „Freundin“, „Je suis Marine“ – ich bin Marine – ist an Borniertheit nicht zu überbieten. Sie ist kein Opfer von Terror (wie der Spruch, an „Je suis Charlie“ erinnernd, insinuiert), sondern Teil der verfilzten politischen Klasse, zu der sie auch gehört.
Dass Mitarbeiter der Fraktionen zugleich Parteiaufgaben erledigen, ist zwar Betrug am Steuerzahler, doch völlig „normal“. Die meisten Politiker stellen es nur geschickter an als Le Pen, deren Verachtung für das EU-Parlament sie wohl unvorsichtig werden ließ. Es gibt genug andere Fälle. Vor drei Jahren wurde Ex-Premierminister François Fillon für die Scheinbeschäftigung seiner Frau verurteilt. Auch seine Karriere war damit zu Ende. Auch in Deutschland sind solche „Vergehen“ handelsüblich. Über das der Grünen-Vorsitzenden Franziska Brantner wurde hier berichtet. „Grauzone“ ist noch ein freundlicher Ausdruck für dieses Schattenreich.
Le Pen ist Oppositionspolitikerin. Ihre Möglichkeiten, Staatsknete umzuleiten, ist relativ gering gegenüber den Zugriffsusancen regierender Parteien. Der große Missstand besteht im Vorteil der Regierungsparteien. Ganze Beamtenstäbe haben nichts anderes zu tun, als Regierungsmitgliedern zu dienen, also Parteimitgliedern in Ämtern, die sie ihren Parteien zu verdanken haben. Viele Beamte sind nicht unbestechliche „Staatsdiener“, sondern dankbare Diener ihrer Herren. Es geht um Machterhalt; dabei gibt es keine Waffengleichheit. Die Regeln werden eher weniger streng eingehalten, denn in dieser Hinsicht stecken alle Parteien unter einer Decke. Deshalb wäre es zum Beispiel zwingend geboten, Regierungsmitglieder von Parteiämtern auszuschließen. Und auch Beamte sollten nicht Parteimitglieder sein dürfen.
In den Parlamenten sitzen Parteifunktionäre, deren Gewissensfreiheit nur auf dem Papier steht. Sie leben von ihrem Mandat und verhalten sich entsprechend. Das weit übertriebene Berufspolitikertum ist Ursache aller einschlägigen Veruntreuung – nicht nur von Geld, auch von Vertrauen. Es müsste radikal beschnitten werden. Mandate sollten zum Beispiel grundsätzlich zeitlich begrenzt werden.
Was zwischen Parteien und ihren Vorfeldorganisationen, vor allem den NGOs läuft, spottet jeder Beschreibung. Obermoralapostel wie der grüne Wirtschaftsvernichtungsminister Habeck sind ganz vorne mit dabei und müssen sich vor rotem Genossenfilz und schwarzer Kungelei nicht verstecken.
Die Parteispendenskandale sind eine weitere Anbaumethode auf diesem Acker. Anderswo sind die Verhältnisse noch ruchloser. Trump sitzt mit dem Vorwurf, gegen Le Pen werde eine „Hexenjagd“ veranstaltet, im Glashaus. Wie sich der Milliardär Musk mit Wahlkampfspenden quasi ein Regierungsamt kaufte, setzt dem generellen Skandalon die Krone auf. Ganz offen werden in der Musterdemokratie Stimmen bezahlt – zum Glück funktioniert es nicht immer, wie soeben bei der Richterwahl in Wisconsin zu sehen war. Aber auch die endlose Folge der Parteispendenskandale in den weitaus zurückhaltenderen europäischen Demokratien zeigt, dass zum Missbrauch geradezu eingeladen wird. Denn die Begünstigten machen letztlich die Regeln selbst.
Macht korrumpiert. Deshalb braucht es nicht nur strengere Regeln, sondern auch bessere Kontrolle. Doch die zu Kontrollierenden kontrollieren sich weitgehend selbst. Ansetzen müssten Reformen deshalb bei der Struktur der Macht. Gegen Machtmissbrauch hilft nur Machtteilung. Laut Grundgesetz wirken die Parteien an der „Willensbildung des Volkes“ bloß mit. Tatsächlich haben sie die Willensbildung nahezu ganz an sich gezogen. Immer deutlicher gegen den Willen des Volkes.