
Die Unruhe an den Schaltstellen der Asylindustrie wächst. Schon im letzten Juli, also vor fast einem Jahr, hatte das Oberverwaltungsgericht Münster das Ende des „subsidiären Schutzes“ für Syrer eingeläutet. In Syrien herrscht bereits seit Jahren kein systematischer Krieg mehr, wie staatliche Behörden in Dänemark und Großbritannien längst wissen. Dass der neue salafistisch gesinnte Regent hier für mehr Ordnung gesorgt hat, bestreitet ebenfalls kaum ein Syrer, egal ob in Asien oder Europa. Zurückkehren in die Heimat wollen die Migranten deshalb freilich noch lange nicht.
Laut dem Münsteraner OVG-Urteil besteht für syrische Zivilpersonen heute „keine ernsthafte, individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer körperlichen Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“. Man nennt es auch Frieden, jedenfalls ruhen die Waffen schon längst und weitestgehend, auch wenn es neue Konflikte geben mag.
Zweifellos würden die meisten in Deutschland lebenden Syrer heute in Syrien nicht verhaftet oder gefoltert werden – denn sie flohen ja vor dem säkularen Assad, nicht vor dem neuen Regime. Das Urteil könnte einmal als der Anfang einer deutschen Asylwende (zumindest in Bezug auf Syrien) in die Geschichte eingehen. Die Union und ihr Innenminister ziehen heute erste, vorsichtige Konsequenzen daraus. Zumindest den Familiennachzug will die neue Regierung für „Flüchtlinge“ mit subsidiärem Schutz aussetzen. Aber das allein sorgt für Unruhe und Rauschen im Blätterwald. Der Asyllobby schmeckt die Aufweichung des Schutzstatus für einen Großteil ihrer Klientel natürlich nicht.
Alarmiert sind selbstredend Lobbyorganisationen wie Pro Asyl oder auch der Mediendienst Integration, der von einem wolkig-obskuren „Rat für Migration e.V.“, einem Zusammenschluss von „Migrationsforschern“ getragen wird. 2024 dienten laut Mediendienst acht Prozent aller Nachzugs-Visa der Familienzusammenführung von subsidiär Schutzberechtigten. Mehr als 80 Prozent dieser Visa gingen an Angehörige hier lebender Syrer. Die angekündigte Maßnahme betrifft also den deutlich kleineren Teil des Nachzugs, kommt aber bisher hauptsächlich Syrern zugute. Es gibt folglich kein Argument gegen die Aussetzung, nicht einmal gegen die Abschaffung dieser Art Familiennachzug. Im Schnitt werden jährlich gut 100.000 Visa für die Familienzusammenführung vergeben, zuletzt deutlich mehr (2023: 130.000).
Aber nun gibt sich auch die Welt am Sonntag für ein neues Rührstück her, das an 2015 und längst vergangene Zeiten erinnert. Die Sonntagszeitung will, so scheint’s, gar eine „Debatte um Familiennachzug“ entfachen. Im Zentrum steht die syrische Mutter „Asien al-Hassan“, wiewohl dieser Name von der WamS geändert wurde. Ist es Zufall, dass die Syrerin nun wie der Erdteil heißt, dem sie entstammt? Frau al-Hassan, so erfährt man im Text von Investigativ-Redakteur Ulrich Kraetzer, ist vor vier Jahren im Zuge des Familiennachzugs nach Deutschland gekommen. Ihr Sohn „Nidal“ (Name ebenfalls geändert) war 2019 mit einem Onkel und mehreren Tanten nach Deutschland gekommen, weil er unter einer Atemwegserkrankung litt und in Syrien keine Hilfe bekam. Zwei Jahre später war seine Mutter in Berlin angekommen, lebte zusammen mit ihrem Sohn und offenbar weiteren Verwandten.
War das nun genug Familienzusammenführung? Keineswegs, wie wir aus dem WamS-Artikel erfahren: Denn „Asien“ hat zwei weitere Söhne und ihre zwei Töchter in Syrien zurückgelassen. Es klingt beinahe wie eine Geschichte aus irgendeiner Mythologie. Auch die Königstochter Europa war ja einst aus der Levante nach Kreta entführt worden. Nun eben „Asien“, die ihrem kranken Sohn beisteht, aber weitere vier Kinder bei ihrem Mann in Syrien hat. Und dieser Mann ist natürlich überfordert mit den vier Kindern und seinem Job und schafft es nicht rechtzeitig zu einem Termin in der deutschen Botschaft im Libanon, die gerne behilflich gewesen wäre bei der Zusammenführung noch unter Rot-Grün. Aber das klappte nicht mehr.
Und nun droht eben das Dobrindt-Monster hinter der nächsten Ecke, so ähnlich wie in der Mythologie. O-Ton WamS: „Nun könnte es zu spät sein. Denn Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat eine ‚Migrationswende‘ ausgerufen.“ Wende natürlich nur in Anführungszeichen, anders als die hoch ernst zu nehmende Zeitenwende des Ex-Kanzlers. Für zwei Jahre will Dobrindt den Familiennachzug für subsidiär Geschützte wie „Asien al-Hassan“ aussetzen. Das Kabinett hat schon zugestimmt, Ende Juni soll die Maßnahme auch vom Bundestag beschlossen werden.
Eine „Katastrophe für die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind“, sei das laut Pro Asyl, dabei sind „Asien“ und „Nidal“ doch gar nicht vor „Krieg und Verfolgung“ geflohen, sondern wollten nur das zwar nicht mehr ausgezeichnete, aber dennoch deutlich bessere deutsche Gesundheitssystem nutzen. Daneben verfolgte die Familie vielleicht tatsächlich längerfristige Ansiedlungspläne, wollte eben am Resettlement-Programm der Bundesregierung teilnehmen. Das dürfte die netteste Umschreibung für die einzelnen Schritte sein. Denn „Nidal“ dürfte mit Onkel und Tanten illegal nach Deutschland eingereist sein.
Womit wir auch schon wieder bei Pro Asyl wären. Denn der steht derzeit im Zentrum von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Frankfurt an der Oder. Die Bundespolizei hatte Anzeige wegen Einschleusung von Ausländern, Beihilfe zur unerlaubten Einreise und Urkundenfälschung erstattet. Es geht um den Fall der drei Somalier, von denen einer bei der dritten Einreise plötzlich minderjährig geworden war. Zudem tauchten die drei kurz darauf in Berlin auf, wo sie drei Asylanträge stellten. So schleusten die illegal Eingereisten sich am Dublin-Zentrum in Eisenhüttenstadt vorbei, in das sie allenfalls gehört hätten.
Aber „Asien“ hat verstanden, worum es jetzt für sie geht. Sie gibt vor, dringend Deutsch lernen zu wollen, auch arbeiten will sie und „für dieses Land einen sinnvollen Beitrag leisten“. Nach vier Jahren Aufenthalt sind wir damit noch immer bei Willensbekundungen. Sollte das nicht Beweis genug sein, dass es mit „Spurwechsel“ meist nichts wird?
Dabei hat „Asiens“ Mann doch in Syrien eine Stellung, sie müsste nur zurück zu ihm gehen und hätte vermutlich ein Auskommen. Einziger Anlass für den Verbleib in Deutschland ist „Nidal“. Denn der sei nun in Berlin heimisch geworden und spreche leider kaum Arabisch. Wie konnte das nur geschehen? Er war doch mit einer kompletten Parallelfamilie eingereist und lebt seit vier Jahren zusammen mit seiner Mutter.
Aber die Unlogik gehört zu diesem mythologischen Plot. Den anderen vier Kindern scheint es durchaus zumutbar zu sein, ohne die geringsten Deutsch-Kenntnisse oder Heimatgefühle nach Deutschland zu reisen, um ihre stets weinende Mutter in die Arme zu schließen. Der Rührungsfaktor hat hier die zehn von zehn Punkten durchbrochen.
Aber damit sind wir noch nicht bei der Schlussapotheose dieses Kitschdramas: Deutschland sei doch „eines der reichsten Länder der Welt“, malt „Asien“ ihre Phantasie vom Weltsozialamt mit angeschlossenem Krankenhaus aus. Sie verfällt sogar in Weltschmerz, denn wenn „dieses Land meine Kinder nicht aufnehmen kann“, dann mache sie das sehr traurig. Rein abstrakt betrachtet natürlich, weil es so ein reiches Land ist. Denn dann muss es offenbar um die Armut der Welt schlimm bestellt sein, wenn selbst das reichste Land nicht für die kleine Familie von „Asien“ sorgen kann. Und eventuell für die von ihren Schwestern und Brüdern, die ja auch Onkel und Tanten von „Nidal“ sind und auch wieder kranke Kinder haben könnten, die aber ihre weinenden Geschwister in Syrien zurückgelassen haben werden, von den dadurch verarmenden, zunehmend auf sich selbst gestellten Großeltern ganz zu schweigen.
Aber Syrien kann sich den Verlust an Arbeitskräften wohl leisten. Es ist Deutschland, das sich den „Gewinn“ dieser Kräfte nicht leisten kann. Laut dem Mediendienst Integration warnt ein Dr. Benjamin Etzold vom Bonner International Center for Conflict Studies: „Wenn Familienmitglieder nicht regulär nachziehen dürfen, dann sehen sich viele gezwungen, irreguläre Wege zu nutzen.“ Das entspricht etwa der Redensart „Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“ (Goethe, Erlkönig).
Insofern ein Rat zum Schluss: Fallen Sie nicht auf Tränendrüsen-Geschichten wie diese herein. Diese Geschichtlein werden sich absehbar vervielfachen, mit jedem Gang, den eine Regierung in diesen Fragen anzieht. Der deutsche Asylkomplex ist tief und weit und kann sich unzähliger Vereine, Medien und Parteipolitiker bedienen. In den Hintergrund rückt bei all der Betroffenheit à la WamS-Investigativrecherche, welche Schritte in Wahrheit notwendig wären, um die Probleme dieses Landes zu lösen.