
Es begann mit einem Selfie, das WG-Feeling und Harmonie ausstrahlen sollte. Der damalige FDP-Generalsekretär und heutige Bundesverkehrsminister Volker Wissing knipste mit ausgestrecktem Arm die spätere Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), FDP-Chef Christian Lindner und den künftigen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne).
Im Hintergrund eine unspektakuläre Zimmertür, auf den Gesichtern die entspannte Leichtigkeit erwarteter Regierungsmacht und darunter die nautisch nicht ganz sattelfeste Zeile: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“ Mit dem Lot misst man Wassertiefen, keine Brücken. Geschenkt in Momenten der Glückseligkeit.
Tempi passati.
Spannende Zeiten gibt es gut drei Jahre danach wieder. Doch jetzt blickt das Land fasziniert bis schockiert auf die innerlich längst vollzogene Trennung der Truppe. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Finanzminister Christian Lindner veranstalten konkurrierende Wirtschaftsgipfel ohne erkennbare Wirkung. Habeck legt einen Plan zur Rettung der deutschen Wirtschaft vor, mit milliardenschweren, schuldenfinanzierten Subventionsfonds. Lindner kontert mit einem 18-seitigen Wirtschaftspapier, in dem Marktwirtschaft pur die deutsche Ökonomie entfesseln soll. Kein Punkt davon sei umsetzbar, erklärt SPD-Chefin Saskia Esken, und der Kanzler soll in diesem Feuer-und-Wasser-Streit entscheiden, welches der unartigen Kinder recht hat.
Die Koalition des Kanzler steht vor einem Trümmerhaufen.
„Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert“, sagt Habeck in der ARD. „Mit Blick auf das, was in der Ukraine passiert, mit Blick auf die wirtschaftliche Lage in Deutschland, mit Blick auf die amerikanische Wahl.“ Gerade jetzt, soll das wohl heißen, braucht Deutschland die Ampel als Stabilitätsanker und verlässliche politische Säule.
Botschaft: Eine Regierung ist besser als keine. Die einst hoffnungsvolle Fortschritts-WG ist zum bloßen Selbstzweck geworden.
In Wahrheit gilt längst das Gegenteil: Es ist die Politik der Ampel, die Deutschland in die wirtschaftliche Krise gefahren hat, um derentwillen Habeck jetzt seine eigene Notwendigkeit reklamiert. Seine Logik würde funktionieren, wenn denn die Ampel tatsächlich ein Hort der Verlässlichkeit und Stabilität wäre und irgendeinen Kurs in den turbulenten Zeiten halten würde. In unsicheren Zeiten braucht man aber keine unsichere Ampel, sondern eine Regierung, die irgendetwas tut, am besten das Richtige.
Im Grunde sind die WG-Freunde von einst längst ausgezogen, wollen die gemeinsame Wohnung aber sicherheitshalber noch behalten. Die „ausgeloteten“ Gemeinsamkeiten sind aufgebraucht, die Brücken sind abgebrochen. Ampel ade, scheiden tut gar nicht weh ...
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