
Heute möchte ich über eine diskriminierte Minderheit schreiben. Genau genommen über die am meisten unter Beschuss stehende Minderheit in Deutschland, die zugleich von allen Minderheiten den schlechtesten Lobbyismus auf ihrer Seite hat. Diese Minderheit heißt: das Individuum.
Da ich selbst zufälligerweise ein Individuum bin, will ich in dieser Kolumne den Lobbyismus für mich selbst übernehmen. Ich will allen Politikern, Bürokraten und Staatsverehrern mitteilen: Ich bin nicht euer Untertan. Lasst mich gefälligst in Ruhe.
Dieser Wunsch bezieht sich bei weitem nicht nur auf den Elefanten im Raum: die weltrekordverdächtige Abgabenlast. Sicher, es ist skandalös, dass man als Individuum gerne mal mindestens die Hälfte des Jahres ausschließlich für den Staat arbeiten muss – und das ohne die ganzen indirekten Steuern. Persönlich halte ich jede Gesamtabgabenlast von über 25 Prozent für eine unerträgliche Zumutung, völlig unabhängig von der Gegenleistung. Wobei „Gegenleistung“ genau genommen ein Propagandabegriff der Staatsreligion ist. Er impliziert schließlich eine freiwillige Vertragsschließung, die eine monetäre Überweisung und vorher festgelegte Produkte oder Dienstleistungen als Gegenwert für dieses Geld beinhaltet.
Das ist aber keine zutreffende Beschreibung des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger. Ich zahle nur aus einem einzigen Grund Steuern: damit ich nicht im Gefängnis lande. Das war es. Aus meinem Steuergeld entsteht kein Anspruch auf irgendwas, wie es bei einem echten, marktwirtschaftlichen Vertrag der Fall wäre.
NIUS-Kommentator Ben Brechtken fühlt sich in Deutschland zuweilen wie ein Untertan.
Aber nicht nur bei der Abgabenlast ist man als Steuerzahler dem Status eines Untertanen näher als dem Status eines freien Mannes. Auch bei der immer mehr ins Leben der Menschen eingreifenden Bürokratie verkommt das Individuum zu einem unterwürfigen und unmündigen Zettelausfüller von nutzlosen Politikern und Behördenmitarbeitern.
Ein Bekannter von mir hat sich in Dortmund ein Haus gekauft. Kurze Zeit später trudelte ein Befragungsbogen vom „Gutachterausschuss für Grundstückswerte in der Stadt Dortmund“ ein. Auf sechs Seiten musste er Fragen zu seinem Haus beantworten. Neben eher oberflächlichen Fragen zu der Gebäudeart, der Bauweise und der Heizung ging es zum Beispiel um die Art der Türen im Haus, den Treppenbelag, ob die Außenanlage eher ein „normaler Hausgarten“ oder eine „parkähnliche Anlage“ ist, ob die Wände im Badezimmer gefliest sind und es eine Alarmanlage gibt, um nur wenige Frechheiten aufzuzählen. Eigentlich dürfte ein Brief, den man vom Staat nach einem erfolgreichen Hauskauf bekommt, nur einen Satz beinhalten: „Herzlichen Glückwunsch, dass Sie trotz unserer horrenden Abgabenlast und den absurden Kaufnebenkosten diese Leistung vollbracht haben, ab jetzt lassen wir Sie aus Respekt in Ruhe.“
„Zum Hauskauf gibt's erstmal einen Stasi-Fragebogen“, so Brechtken.
Aber nein, stattdessen ein sechsseitiger Stasi-Katalog, der über jeden Quadratzentimeter des Hauses Fragen stellt. Was gab es in den 80er-Jahren für massive Proteste wegen ein paar weniger, recht belangloser Fragen bei der Volkszählung. Die Sorge vor dem „gläsernen Bürger“ erzwang sogar ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das den eigentlich geplanten Fragebogen für verfassungswidrig erklärte und die Befragung um Jahre verschob.
Und heute? Die meisten Deutschen sind hoffnungslos abgestumpft. Übergriffige Fragen werden vielleicht als nervig empfunden, aber so richtig empören kann sich kaum noch jemand darüber. Vom freien Bürger zum emotionsbefreiten Sachverwalter für die zwangsfinanzierten Bürokraten. Man mag das für eine vernachlässigbare Petitesse halten, ich glaube nur, dass wir Bürger mit der Zeit immer mehr zu blindem Gehorsam und Gleichgültigkeit konditioniert werden.
Wer noch nicht diese antrainierte Blindheit hat, erkennt bei genauerem Hinsehen schnell, was für ein irritierender Fremdkörper staatliche Behörden sind. So geht es mir zumindest. Jede einzelne Interaktion mit dem Staat ist mindestens nervig. Jeder Besuch beim Bürgerbüro, jedes einzelne bürokratische DIN-A4-Blatt, das man ausfüllen muss, jedes Telefonat mit einer Behörde, jeder Brief vom Finanzamt. Jedes Mal, wenn ich eine Interaktion mit dem Staat habe, stehe ich gefühlt mit einem Bein im Knast. Als so kafkaesk, als so lebensfremd, als so unnatürlich und wenig nachvollziehbar empfinde ich den staatlichen Nervtöter-Apparat. Und der wird seit Jahrzehnten immer nervtötender.
Eigentlich geht es spätestens seit der Gurtpflicht stetig bergab mit der Freiheit und Eigenverantwortung in Deutschland. Seitdem rennen im Prinzip alle Bürger mit einem unsichtbaren Zettel auf der Stirn herum: „Eigentum des Staates, bloß nicht zerstören, pfleglich behandeln, genau beobachten, immer an der Leine lassen“. Der Beginn der Gurtpflicht für Erwachsene war das Ende der Eigenverantwortung.
Mein Körper gehört mir, ich darf ihn auch schädigen. Mein Leben gehört mir, ich darf es auch fahrlässig oder aus Dummheit beenden. Wer jetzt einwendet, dass ein unangeschnallter Autofahrer nicht nur sich selbst, sondern auch Dritte gefährden kann und mit höherer Wahrscheinlichkeit Kosten für den Steuerzahler produziert, hat zwar recht, aber soll mir dann bitte erklären, warum das viel gefährlichere Fahren eines Motorrads erlaubt ist. Der Staat schränkt nicht nur die Freiheit des Einzelnen ein, er tut dies auch noch völlig willkürlich. In einer Welt der paternalistischen Gurtpflicht-Logik dürften weder Motorräder noch Fahrräder erlaubt sein.
Ich habe nur ein Leben. Ich will nicht die Hälfte dieses Lebens für einen dysfunktionalen Staat arbeiten.
Ich will keine wertvolle Lebenszeit beim Rumsitzen in Bürgerbüros, beim Ausfüllen überflüssiger Anträge, beim erzwungenen Notieren meiner Arbeitszeit und bei Telefonaten mit machtbesoffenen Papierkriegern in den Behörden vergeuden.
Ich will außerhalb staatlicher Zwangssysteme eigenverantwortlich für meine Pflege, für meine Rente, für meine Gesundheit und für meine eventuelle Arbeitslosigkeit vorsorgen dürfen.
Ich will, dass mit meinem Steuergeld niemand finanziert wird, der mich verachtet und meine Freiheit einschränken will.
Die Hälfte des Arbeitslebens schuften die Deutschen für den Staat.
Ich will andere Menschen in Ruhe leben lassen, sie nicht per staatlichem Zwang zu dieser oder jener Tätigkeit bewegen. Dafür möchte ich aber auch, dass andere Menschen mich nicht mit staatlicher Gewalt zu irgendetwas zwingen wollen.
Ich will arbeiten, Wohlstand schaffen, Eigentum erwerben. Mit eigenem Risiko, mit eigener Verantwortung. Dieses eine Leben will ich als freier Mensch verbringen, nicht als Steuersklave von Gesellschaftstransformierern und als Formular-Ausfüll-Maschine von nutzlosen Bürokraten.
Ich will vom Staat in Ruhe gelassen werden. Ist das denn zu viel verlangt? Das ist doch nicht radikal. Das ist so vernünftig und menschlich, wie etwas nur vernünftig und menschlich sein kann.
In keinem anderen Text, vielleicht abgesehen von Robert Habecks Tagebuch, dürfte „Ich“ so häufig vorkommen, wie es in dieser Kolumne vorkam. Und dann auch noch „Ich will“! Das mag der ein oder andere als stilistisch unschön oder als arg egoistisch wahrnehmen, ist aber in Zeiten der alles erdrückenden Wir-Appelle auch einfach mal nötig. Und „Ich will“ ist tausendmal sympathischer, freiheitlicher und humaner als „Wir müssen“.