Angela Merkel: Eine große Unglücksgestalt deutscher Geschichte

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Schon der Werdegang als Tochter eines christlichen Kommunisten ließ lebenslängliche Verwirrung vorausahnen. Eine zutiefst idealistische und zutiefst materialistische Weltsicht lässt sich nur in Übereinstimmung bringen, indem zunächst alle Kategorien der Logik außer Kraft gesetzt werden. Zudem stellt sich die Frage, welche eine charakterliche Disposition für Spagate von dieser Spannweite notwendig ist.

Wie war es möglich, dass eine durch Biographie und Zeitläufte weltanschaulich desorientierte Frau zur Kanzlerin aufsteigen konnte? Wie konnte eine FDJ-Propagandisten, ohne größere Vernetzung in ihrem neuen Umfeld und ohne jede rhetorische Gabe die Macht ergreifen, diese über 16 Jahre ausbauen, mit der Kernenergie Deutschlands Energieversorgung in Frage stellen und mit der von ihr exekutierten Willkommenskultur die Sozialstruktur Deutschlands auf den Kopf stellen? Warum unterwarfen sich ihre Partei und fast die gesamte politische Klasse ohne nennenswerte Gegenwehr?

Klaus-Rüdiger Mai versucht in seiner Merkel-Biographie das Rätsel Merkel zu enthüllen und diese Fragen zu beantworten. Er erklärt die Person Merkel aus ihrem sozialen und politischen Umfeld, aus den Zeitläuften und vor allem aus dem nach-ideologischen und schließlich postmodernen Zeitgeist. In dieser Einbettung einer Einzelperson in ihr Umfeld und ihre Zeit liegt die große Stärke des Biographen Klaus-Rüdiger Mai, die er schon bei seiner Durchleuchtung von Sarah Wagenknecht („Die Kommunistin“) gezeigt hatte.

Nicht einmal Andeutungen einer freiheitlich motivierten Oppositionshaltung gegenüber der DDR kann Mai bei ihr entdecken. Den Untergang der DDR überstand Angela Merkel dennoch unbeschadet. Im Gegenteil wusste sie, aus ihm Gold zu schürfen. Nach einer kurzen, den Karriereerwartungen dienenden Orientierungsphase fand sie zur CDU. Ihre vermeintlich provinzielle Unschuld täuschte selbst ihren durchtriebenen Mentor Helmut Kohl. Zum Dank schnitt sie ihm später die Ehre ab und verspielte dann dessen ansehnliches Erbe.

Merkels Charakter findet beim Biographen wenig Gnade. Ihr zweifellos vorhandener Fleiß und ihre beachtliche Energie gingen demnach nahtlos in Machtstreben und Intriganz über. Wie kaum jemand anderer beherrschte sie die Kunst des Gegeneinander-Ausspielens und das Kaltstellen tatsächlicher oder auch nur potentieller Gegner.

Die merkelsche Wunderwaffe der „asymmetrischen Demobilisierung“ fiel ihr deshalb so leicht, weil – so Mai – ihr Inhalte egal waren.

„Nicht Werte, nicht Traditionen, nicht die Analyse historischer Notwendigkeiten leiteten sie, sondern die Komplizenschaft mit dem Zeitgeist, der sich für sie in den Medien erschöpfte, denn sie glaubte daran, dass man nicht gegen den Zeitgeist regieren könne…“

Darüber konnte sie zur Erfüllungsgehilfin jeglichen Zeitgeistes werden, der ihr dienlich schien. Zuletzt auch noch dem von Davos, wo sie wie eine Lisa Neubauer haltlos und schwärmerisch von „der großen Transformation“ schwafelte und uns empfahl, die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben,“…in den nächsten dreißig Jahren zu verlassen, um zu völlig neuen Wertschöpfungsformen zu kommen.“ Mit der Abschaffung der Kernenergie hat sie in der Tat einen großen Beitrag zu einer Transformation geleistet, die heute allerdings als Transformation in den industriellen Niedergang erkennbar wird.

Die in der Biographie ausführlich ausgebreiteten Defizite von Angela Merkel enthüllen paradoxerweise das Geheimnis ihres Erfolges. Sie vermochte es, aus jeder ihrer Schwächen Vorteile herauszuschlagen.

Ihre Herkunft als Frau und Ostdeutsche gaben ihr dauerhaften Welpenschutz, ihre äußere Unauffälligkeit verwandelte sie in Bescheidenheit, mit ihrer mangelnden Fähigkeit, Inhalte zu formulieren, konnte sie in Ruhe den Verlauf der Debatten abwarten, um sich dann an die Spitze der siegreichen Meinung zu setzen. Ihr Mangel an Vision, Strategie und Konzept hieß nun: „Auf Sicht fahren“ und „vom Ende her denken.“ Ihr Mangel an Eindeutigkeit und Klarheit galt als Ausgewogenheit, der Mangel an analytischen Fähigkeiten als Pragmatismus und die selbstgerechte Verweigerung jeglicher Folgenverantwortung erhob sie zur Moralistin, die das Gute tut, weil es gut ist.

Ihr sprachliches Geschwurbel musste der Rezensent zweimal aus der Nähe miterleben. Unverständlich, was sie eigentlich gemeint hatte, schlimmer noch, was sie eigentlich gesagt hatte. Aber selbst diese in einer Demokratie eigentlich tödliche Schwäche wusste sie zur Stärke umzuformen, weil sie damit jegliche Angriffsfläche zu verhüllen verstand. Von ihrem Vortrag in der Katholischen Akademie Mülheim bleiben mir ihre beeindruckenden Detailkenntnisse zur Frage im Gedächtnis, wie weit Krankenkassen Brillengestelle mittragen sollten.

Schon ihre Präsenz in einer Katholischen Akademie diente wiederum nur dem taktischen Zweck, ihre zuvor geäußerte unverschämte, allein zeitgeistig motivierte Kritik am deutschen Papst wieder abzumildern, da diese denn doch mehr Stimmen hätte kosten als bringen können.

Ihr weltanschaulicher Relativismus endet laut Mai immer beim eigenen Erfolg.

„Ihr wurde immer wieder die Fähigkeit bescheinigt, Verhandlungen zu einem Ergebnis führen zu können. Das lag daran, dass sie über eine einzige klare Priorität verfügte, die „Ich“ lautete, über den Rest ließ sich jeder Kompromiss schießen – auf wessen Kosten auch immer.“

Trotz ihres Mittelmaßes war sie nie nahe beim Volk. Sie habe – so Mai – Politik immer als Service-Leistung für den Bürger verstanden, von oben nach unten – und daher habe der Bürger den Service auch zu akzeptieren. Damit reihe sich ein in jene weltweite Neo-Aristokratie, die sich über Demokratie und damit Interessen des gemeinen Mannes zugunsten globalistischer Klimaziele und unter Verleugnung eigener Interessen hinwegsetzt.

Kritik, geschweige denn Selbstkritik, wie wir nach der Veröffentlichung ihrer Memoiren wissen, sind selbst im Rückblick nicht ihre Sache. Meckerte das Volk, war das nicht mehr ihr Land. Damit ging Merkel noch einen Schritt weiter als jene Regierung von Bertold Brecht, die sich ein neues Volk wählen wollte. Merkel habe sich – so Mai – kein anderes Volk gewählt, sondern ein anderes Volk geschaffen: durch die Massenmigration in die deutschen Sozialsysteme eine neue Soziologie, eine andere Struktur des Volkes, einen Multitribalismus.

Starke Wurzeln der Politik liegen in der Kultur und eine von deren Wurzeln in der Religion. Von beiden ist bei der Pfarrerstochter Merkel nichts zu bemerken, dafür umso mehr an Bereitschaft, sich ersatzweise an ersatzreligiösen Vorstellungen zu berauschen – aber auch dies wiederum nur zugunsten profanstem Machterhalt.

Aus der Volkspartei CDU schuf sie eine Block- und Kaderpartei, aus der Demokratie eine lupenreine Gesinnungsoligarchie. Sie kreierte den neuen Typus des weltanschauungslosen Politikers, der nur an seiner Karriere interessiert ist, all die Spahns und Wüsts, die sich bis zur Ununterscheidbarkeit dem antibürgerlichen Zeitgeist bis hin zum offenen Wokismus der Selbstauflösung unterwerfen.

Auch der neue Vorsitzende Friedrich Merz folgt der Blockparteienmethode Merkel, sich links anzubiedern und rechts abzugrenzen. Schon das geringe und leider nur inkonsequente Abtragen der Brandmauer anläßlich einer Abstimmung zur Migration im Bundestag erregte den Zorn der Dame im Hintergrund. Dieser Akt äußerster Illoyalität mitten im Wahlkampf unterstreicht ihre von Mai klar erkannte Charakterlosigkeit einmal mehr. Sie scheint mit der ungehinderten Massenmigration tatsächlich ihr Lebenswerk zu verbinden und damit in Kreisen der CDU immer noch Zuspruch zu finden. Die 16 Jahre der Merkel-Regentschaft sind noch lange nicht zu Ende. Das Erwachen zur Realität zieht sich grausam lange dahin.

Diese unerhörten Vorgänge wären ohne Beihilfe des einstigen, jeweils als das Eigene schützenden Bürgertums natürlich nicht möglich gewesen. In dessen zeitgeistigen Offenheit für eine fast bedingungslose „Weltoffenheit“ nach außen und nach innen, in der jede Art von Vielfalt in bunter Ergänzung aufgehoben werden sollte, liegt der tiefere Kern des Verhängnisses. Das Abgleiten von der bürgerlichen Sorge um Staat und Gesellschaft in ein fast schon infantil-utopisches Regenbogen-Denken liegt in der Mitschuld fast der gesamten politischen Klasse von den Hochschulen über die Medien bis zu den diversen, gleichgeschalteten Parteien. Denn eines wird einem im Laufe der Lektüre der diesen Zeitgeist grausam genau sezierenden Biographie deutlich: Angela Merkel hätte in jedem Punkt genau das

Gegenteil getan, wenn es Zeitgeist und Machterhalt von ihr gefordert hätten.

Aus dieser Denkfalle hätte eine Partei der Mitte und eine Staatsfrau der Sorge einen Ausweg suchen müssen, zunächst mit der Eröffnung von Räumen, die die unterschiedlichen Ängste durch offene Diskurse abzugleichen helfen. Der Weg einer liberalen Mitte wäre es gewesen, die Gesinnungskriege zwischen utopischen Globalisten und den Protektionisten des Eigenen in Dritte Wege zu überführen, darauf die besseren Globalisierungsprojekte zu fördern und die schlechteren zu behindern, weltweite Netzwerke aufbauen, deren Knoten – wie etwa die Nationalstaaten – im Sinne auch der Netzwerke zu stärken sind.

Stattdessen haben uns Merkels Wege vom Sowohl-als-auch zum Weder-Noch, vom Engagement zur Demobilisierung und vom Diskurs zur Polarisierung geführt. Und darüber wird sie als „eine der großen Unglückgestalten der deutschen Geschichte“ (Rolf Peter Sieferle) in Erinnerung bleiben.

Klaus-Rüdiger Mai hat mit seiner hervorragenden Biographie unsere Einsichten in ein Verhängnis vertieft, in das wir als Zeitgenossen verstrickt sind. Ihre für die eigene Position geradezu absolutistisch in Anspruch genommene „Alternativlosigkeit“ hat im Gegenzug eine neue Partei hervorgetrieben, die sich der Suche nach Alternativen widmet. An dieser Suche müssten sich aber – über eine damit naturgemäß überforderten Partei hinaus – weit mehr Bürger und Politiker beteiligen, wenn noch rettende Alternativen und Auswege gefunden werden sollen.

Dieser Beitrag von Prof. Dr. Heinz Theisen erschien zuerst auf globkult.de. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur Übernahme.

Klaus-Rüdiger Mai, Angela Merkel. Zwischen Legende und Wirklichkeit. Eine kritische Biografie, Europa Verlag, Hardcover mit Schutzumschlag, 415 Seiten, 26,00 €.

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