
Offiziell heißt es „Lesereise“, doch in Wahrheit ist es ein Feldzug. Kaum ein Tag vergeht, an dem Kanzlerin a.D. Angela Merkel (CDU) am Rande der Promotiontour für ihre Erinnerungen („Freiheit“) nicht Schlagzeilen macht mit Kommentaren zur Tagespolitik in Deutschland.
Kritisierte sie anfangs nur den Kurswechsel in der Migrationspolitik mit Zurückweisungen an den Grenzen, so holt sie inzwischen zu regelrechten Rundumschlägen aus. Beim Gespräch auf dem Podium der Ostsee-Zeitung (RND) im Innenhof des Schweriner Schlosses am Dienstag nannte sie beispielsweise das Vorgehen des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu „hartherzig“. Ihr Herz schlage mehr für die Friedensdemonstranten für Gaza – eine deutliche Abgrenzung von der Linie der Merz-Regierung.
Merkel beim Signieren ihres Buches in Prag.
Mit dem Erstarken der AfD will sie nichts zu tun haben und beklagt den Frauenmangel in der Politik, was vor allem in der Union als Seitenhieb auf den Koalitionsausschuss gesehen wird. In Schwerin ging Merkel sogar mit der Verteidigungspolitik der Merz-Regierung ins Gericht. Es sei richtig, dass mehr Geld dafür ausgegeben werden müsse, so die Altkanzlerin. Aber: „Wir müssen friedenstüchtig werden durch militärische Stärke.“
Eine wörtliche Anleihe ausgerechnet bei AfD-Chef Tino Chrupalla, der am 24. Juni im Bundestag seine Rede mit den Worten schloss: „Wir alle dürfen seit Jahrzehnten in Frieden leben. Belassen wir es dabei! Werden wir nicht friedensmüde, Herr Pistorius, sondern vielmehr friedenstüchtig!“
Zitiert Merkel jetzt schon Chrupalla, um Merz zu schaden? Zumindest kommt es so bei vielen in der Union an, die in Merkels Auftritten vor allem einen Rachefeldzug der Rechthaberei sehen. Und das sogar in Mecklenburg-Vorpommern, dem Landesverband von Merkels langjährigem Wahlkreis: „Dass Frau Merkel diesen Kurs öffentlich kritisiert, ist ihr gutes Recht“, sagt CDU-Landeschef Daniel Peters zu NIUS. „Interessanterweise zeigt gerade diese Kritik, dass die CDU den notwendigen Politikwechsel ernst meint und die neue Bundesregierung den Wandel vollzieht. Viele Menschen spüren: Wenn selbst Angela Merkel sich so deutlich abgrenzt, dann ist der neue Kurs wohl keine bloße Symbolpolitik, sondern echte Neuausrichtung.“
Botschaft: Merkels Kritik zeigt, dass es der Merz-Union ernst ist mit dem Wechsel. So kann man es auch sagen. Eine mehr als diplomatische Formulierung für den Umstand, dass Merkel an der Ostseeküste alles andere als ein Zugpferd ist. Die Union steht in Mecklenburg-Vorpommern bei 17 Prozent, die AfD bei 29 Prozent.
Die Ex-Kanzlerin bei einer Diskussionsveranstaltung in Athen.
Deutlicher wird die CDU-Bundestagsabgeordnete Caroline Bosbach, Tochter von CDU-Urgestein Wolfgang Bosbach. Sie sagte NIUS: „Natürlich möchte Angela Merkel zum 10. Jahrestag der Grenzöffnung ihre damaligen Entscheidungen verteidigen. Es bleibt aber völlig unverständlich, warum sie partout nicht verstehen will oder kann, dass diese Politik auch mit erheblichen Problemen verbunden ist, zu einer Überlastung vieler Kommunen und einem Erstarken der AfD geführt hat. Daher waren und bleiben Kurskorrekturen und die Rückkehr zu einer geordneten Migrationspolitik notwendig. Und wirklich hilfreich ist ihre Kritik für die Union nun auch nicht.“
An der Unionsbasis kocht die Parteiseele über die Stillosigkeit, dem eigenen Laden mit Penetranz durch solche Zwischenrufe zu schaden. Anders als die Ex-Kanzlerin sehen sich Mitglieder und Funktionäre der CDU noch immer mit dem Schicksal der Partei verbunden und sind davon betroffen, wenn das Image der Union immer weiter ins linksliberale Lager verschoben wird. Viele, die jetzt zu Merkels Lesungen pilgern, sagen auch die Leute im MV-Landesvorstand, haben nie Union gewählt und werden es auch nicht tun.
Die CDU-Politikerin Caroline Bosbach geht mit der einstigen Kanzlerin hart ins Gericht.
Noch viel heftiger gehen CDU-Mitglieder in den internen Chat-Foren und WhatsApp-Gruppen mit der Altkanzlerin ins Gericht. „Hat sich ein Politiker jemals so akkurat peinlich selbst zerlegt wie Angela Merkel? Fast 16 vertane Jahre, komplette Arbeitsverweigerung und die Wurzel fast aller massiven Probleme der Gegenwart: Merkel war als Kanzlerin eine Katastrophe“, schreibt ein langjähriges CDU-Mitglied aus NRW.Und dann ledert er weiter: „Egal ob verschlafene Rentenreform, die Öffnung der Grenzen für Millionen illegale Migranten mit den entsprechenden Folgen für den Alltag der Menschen, die innere Sicherheit und steigenden Antisemitismus, die Wirtschaft pfeift aus dem letzten Loch, ein irrwitziger, populistischer Atomausstieg und und und. All das hat Merkel weitgehend zu verantworten.
„Merkel ging es nie ums Land. Ihr ging es immer nur um sich selbst. Kein Kanzler vor – oder nach ihr – hatte ein so großes Ego wie Merkel“, heißt in der Gruppe. Fazit: „Merkel sollte schlicht schweigen. Oder die CDU endlich verlassen, statt unserer Partei noch weiter zu schaden.“
Auch bei NIUS: Merkels große Propagandashow im WDR zeigt: Die Altkanzlerin bleibt ohne Einsicht