
Die Grünen haben ein neues Führungsduo, Franziska Brantner und Felix Banaszak. Brantner, die als enge Vertraute von Robert Habeck gilt, erhielt 78,15 Prozent, Banaszak, Vertreter des linken Flügels, überwältigende 92,88 Prozent. Wer ist dieser neue Liebling der Partei mit den Pausbäckchen, den Wuschellocken und der kleinen Narbe unter dem Mund, wo mal sein Emo-Piercing geglänzt hat? Das wollte er seinen Parteikollegen und den deutschen Wählern auf dem Grünen-Parteitag mit einer Rede zeigen. Eine sehr emotionale Rede von Angst, Zuversicht und sehr persönlichen Eingeständnissen. Eine Rede, die man nicht umschreiben kann. Eine Rede, die am besten wirkt, wenn man sie selbst hört. Wer das allerdings nicht ertragen kann, der kann hier den wichtigsten Teil transkribiert lesen:
„Der für mich wichtigste Satz“ – Banaszak legt theatralisch seine rechte Hand aufs Herz – „ist der: Wir haben nichts zu verlieren“ – Kunstpause – „außer unserer Angst.“ Die Kamera schaltet zu Claudio Roth, die ihren kleinen Felix stolz beobachtet, als wäre er ihr leiblicher Enkel. „Was für ein starker Satz.“ – wieder Kunstpause – „Ein mutiger Satz.“ – nochmal Kunstpause – „Und gleichzeitig -“ beginnt er und setzt neu an, damit ihn über den mäßigen Applaus auch wirklich jeder versteht: „Und gleichzeitig ist, außer unserer Angst, gar nicht mal so wenig.“ Es wirkt, als hätte er den Text auswendig gelernt, auf Autopilot heruntergerattert und dabei unbemerkt ein Wort vergessen. Auch die paar Sekunden Nachdenkzeit, die er seinen Zuhörern durch die anschließende Kunstpause gewährt, machen den Satz nicht inhaltsvoller. Er setzt neu an: „Angst“ – schon wieder Kunstpause – „ist ein sehr starkes Gefühl.“ Nochmal Kunstpause. „Und in diesen Zeiten auch ein sehr dominantes.“ Noch längere Kunstpause. „Ich selbst hatte in der letzten Zeit ab und an“ – kurze Kunstpause „Angst.“ Kunstpause.
„Wir können Angst haben, vor Donald Trump oder Vladimir Putin.“ Kunstpause. Interessante Wahl, Trump noch vor Putin zu nennen. „Vor der Gasrechnung am Ende des Monats.“ Kunstpause. „Oder vor dem nächtlichen Nachhauseweg.“ Sie haben es wahrscheinlich schon erraten: Wieder Kunstpause. „Wir können Angst haben, Gewalt zu erfahren, ausgegrenzt zu werden, nicht dazuzugehören, einfach“ – Kunstpause – „weil wir sind“ – Kunstpause – „wer wir sind.“ Lange Kunstpause. „Und wie begegnen wir Angst?“ Sehr lange Kunstpause. „Angst begegnet man nie mit einer Statistik oder einem Argument und sei es auch noch so stark und noch so scharf“ – er wird immer schneller und lauter, während er das sagt, um dann wieder in eine abrupte Kunstpause zu münden. „Angst“ – Kunstpause – „begegnet man mit Empathie.“ Er legt wieder eine Kunstpause ein und wenn Sie ganz genau zuhören, hören Sie in der Ferne das Lachen aller „Coronaleugner“, „Impfverweigerer“, „Rassisten“, „Wutbürger“, „Verschwörungstheoretiker“ und „Terfs“, die sich alle noch sehr deutlich daran erinnern können, wie empathisch man ihrer Angst in den letzten Jahren begegnet ist.
Er führt seinen Satz fort: „Mit Zuhören, mit Dasein! Damit“ – Kunstpause – „sich unterzuhaken, ja einander auch mal in den Arm zu nehmen. Angst begegnet man mit der ehrlichen und der gemeinsamen Suche nach Zuversicht.“ In einer weiteren Kunstpause nimmt er nochmal seine ganze Energie zusammen, um so energisch wie er kann aufzurufen: „Seien wir – in diesen Zeiten – eine Kraft der Zuversicht!“ Pause für Applaus, über den er dann rüberbrüllt: „Seien wir“ – doch wieder Applauspause, damit er dann wieder über den Applaus brüllt: „Seien wir ein Hoffnungsort für alle, die glauben, oder glauben wollen, dass es gut, ja dass es besser werden kann!“
Die Kamera schwenkt immer wieder in die begeistert applaudierende Masse an grauen Oberstudienrätinnen und Radhelmträgerinnen zwischen 45 und 60. „Seien wir da, hören wir zu und machen wir die Dinge möglich. Denn wenn die Gegenwart nicht das Ergebnis göttlicher Fügung ist, sondern menschlichen Handelns“ – Kunstpause – „dann ist es auch unsere Zukunft.“ Kunstpause. „Und dann – dann! – meine Freundinnen und Freunde – dann! Dann haben wir wirklich nichts zu verlieren“ eine letzte Kunstpause – „Außer unserer Angst.“
Die vielen Kunstpausen, das Gerede von „göttlicher Fügung“ – alles an Felix Banaszak schreit evangelischer Jugendpastor. Er hätte seine Rede genauso gut mit „meine lieben Schafe“ einleiten und das „Freundinnen und Freunde“ gegen „meine liebe Gemeinde“ austauschen können. Mit ein bisschen Fantasie könnte man seine Rede sogar als Plagiat der „Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis“ aus dem 10. Kapitel des Matthäus-Evangeliums interpretieren: „Fürchtet euch nicht vor denen, die euch bedrohen! Denn nichts bleibt für immer verborgen, sondern eines Tages kommt die Wahrheit ans Licht, und dann werden alle Geheimnisse enthüllt.“
In einer Kirche wirken die Kunstpausen allerdings besser, da sie da den Zweck haben, das Echo abzuwarten. In einem Veranstaltungsraum sind sie einfach nur theatralisch und lassen das Ganze wie der verzweifelte Versuch wirken, ein Poetry-Slam-Gedicht zu einer politischen Kampfrede aufzuwerten, der kläglich scheitert.
Jetzt, da Banaszak Teil des Grünen-Vorstands-Duos ist, werden wir noch viele solcher Reden hören, die man beinahe eins zu eins auch beim Lagerfeuer auf dem evangelischen Ferienlager wiederverwerten könnte. Banaszak hat einen Hang zur pathetischen Moral-Theatralik. Vielleicht ist sein Vater wirklich Pastor. Oder Philosophie-Professor. Oder freischaffender Haiku-Dichter. Tatsächlich weiß man nicht, was Mama und Papa Banaszak beruflich machen, Felix ist da sehr zurückhaltend. Er begreift sich zwar selbst als „Kind des Ruhrgebiets“, weil sein Großvater in einer Kokerei in Duisburg gearbeitet hat. Aber für einen Beruf in seiner Familie, der gut für sein Image ist, musste er offenbar zwei Generationen zurückgehen. Man kann also nur mutmaßen.
Wahrscheinlich irgendwas abgedreht Intellektuelles, was in seinem Duisburger Wahlkreis so gar nicht gut ankommen würde. Arbeiterkind wird er jedenfalls nicht sein, sonst würde er damit jede Rede einleiten und beenden. Das, und weil ich noch nie von einem Duisburger Arbeiterkind gehört habe, das Felix heißt. Das würde auch erklären, weshalb er das Buch „Working Class“ von Julia Friedrichs auf Instagram begeistert als spannende Lektüre und Inspiration für seine Bundestagsbewerbungsrede im Wahlkampf 2021 anpries – so sehr, dass er es für nötig hielt, darunter den Hinweis „unbezahlte Werbung“ zu setzen.
Nichts schreit so sehr „Mann des Volkes“ als ein studierter Sozial- und Kulturanthropologe, der über die arbeitende Bevölkerung nur aus Büchern liest. Eigentlich reicht schon, dass er überhaupt von einer „Working Class“ spricht. Ja, die Vorstellung, dass manche Menschen in diesem Land nur „von Lohnarbeit leben“, muss für ihn ganz und gar augenöffnend gewesen sein, etwas, das er bis dahin nur aus den Geschichten seines Opas gehört hat.
Banaszak ist sehr schnell angefasst und emotional berührt. Wahrscheinlich kommen ihm bei Bambi mehr die Tränen als seiner Tochter und er nimmt danach als Learning mit, sich noch mehr für den Tierschutz einzusetzen. Er ist jemand ohne Kanten, alles an ihm ist abgerundet und weich. Einmal hat er eine Art Haiku über den Wahlkampf geschrieben:
„Wahlkampf heißt, früh aufzustehen, um am Bahnhof die Berufspendlerin mit einem – und einem Flyer – in den Tag starten zu lassen. Wahlkampf heißt, an den Türen zu klingeln in der Hoffnung, dass jemand aufmacht und sich freut. Wahlkampf heißt, bei strömendem Regen am Marktstand zu stehen und sich die gute Laune nicht nehmen zu lassen. Wahlkampf heißt, Menschen auf ein Bier einzuladen und mit ihnen über das zu reden, worauf es ankommt. Wahlkampf heißt, immer und immer wieder für das einzustehen, wovon man überzeugt ist. Wahlkampf heißt, mit Kritik an der eigenen Arbeit konfrontiert, mit Erwartungen überhäuft und immer wieder mit Lob bedacht zu werden. Wahlkampf heißt, sich zu erklären, sich zu öffnen und zuzuhören. Ich liebe Wahlkampf.“
Felix Banaszak hat das gleiche Selbstverständnis wie die Zeugen Jehovas, die an der Tür klingeln, den Menschen Angst vor der Hölle einreden und glauben, sie würden sich über die Erlösung freuen. Er wirkt wie einer dieser Menschen, die eine Postkarte mit dem Spruch „Mach die Welt jeden Tag ein bisschen besser“ am Kühlschrank hängen haben, dann zieht er los, drückt einer Frau einen Apfel in die Hand und hat seinen Beitrag für den Tag getan. So jemand kommt beim Klientel super an. Wie lange es allerdings dauert, bis er erkennen muss, dass seine Durchsetzungsfähigkeit für eine kleine Truppe an braven Konfirmanden am Lagerfeuer ausreicht, aber schon am Trotzanfall seiner Tochter scheitern wird, sobald sie in seine rosa Blümchenstrickjacke passt.
Bis dahin kann er an seinen Kunstpausen-Reden arbeiten und seine Partei weiter als den Heiland darstellen, der die Menschen vor der Angst rettet, die die Grünen in jahrzehntelanger mühevoller Kleinarbeit selbst geschürt haben. Jeder, der seinen Parteibeitrag leistet oder zu einer Minderheit gehört, die sich gut auf einem Wahlplakat macht, ist herzlich willkommen zum grünen Gruppenkuscheln. Sie werden in ihrer Angst nicht mit Statistiken konfrontiert, sie bekommen nicht zu hören, dass sie keine Angst im Dunkeln haben müssen, weil sie „zu Hause viel gefährdeter sind“. Wenn sie in ihrer Angst vor unverantwortlicher Politik Witze über ihre Verursacher machen, kriegen sie nicht die Polizei auf den Hals gehetzt. Banaszak wird seine Schäfchen mit einlullenden Worten und Kunstpausen immer willkommen heißen. Aber nur seine Schäfchen.