
Die Atomkraft spielt für die neue Bundesregierung – obwohl von CDU und CSU im Wahlkampf anders versprochen – keine Rolle. Kein Wort im Koalitionsvertrag, die Chance für eine Rückkehr zur Atomkraft sei in der Energiekrise vertan worden und „wir müssen mit der Situation jetzt leben“.
Nicht damit leben wollen zahlreichen Kernkraft-Experten aus Deutschland und der ganzen Welt. Mit der „Anschalt-Konferenz“, die diese Woche in Berlin stattgefunden hat, wollen sie die öffentliche Debatte in Deutschland mit Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen fluten. Kein Entscheider in Deutschland soll sich in die Ausrede flüchten können, er habe nicht wissen können, dass ein Re-Start der Kernkraft in Deutschland möglich, vergleichsweise günstig und für die Energieversorgung zudem sinnvoll sein könnte.
Das Kernkraftwerk Brokdorf wäre laut Studie eines der Kraftwerke, die schon sehr schnell zurück ans Netz könnten.
„Nach dieser Veranstaltung wird es für Journalisten unmöglich sein, ihre Arbeit ordentlich zu machen, wenn sie weiterhin einfach so die Lügen deutscher Versorger und Behörden wiederholen – eure deutschen Behörden behaupten, eine Rückkehr zur Kernkraft sei zu teuer und brauche zu lange. Was sie nicht sagen: Alle Alternativen sind noch teuer und brauchen noch länger“, sagt der Kernkraft-Experte Mark Nelson zu NIUS.
Nelson hat mit dem Energieberatungsunternehmen Radiant Energy Group vor kurzem eine Studie vorgelegt, die zeigen soll, welche in Deutschland abgeschalteten Kernkraftwerke in recht kurzer Zeit wieder ans Netz gehen könnten. Die Reaktoren Brokdorf und Emsland demnach innerhalb von einem bis drei Jahren und für weniger als 1 Milliarde Euro an Kosten. Insgesamt sollen es bis zu 11 Reaktoren sein, die im Jahr 2032 Strom für bis zu 32 Millionen Haushalt liefern können.
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Bei der Konferenz treten mehr als 200 Teilnehmer an, darunter weltweite Top-Experten für Kernenergie, um viele der bestehenden Bedenken und Hindernisse mit Fakten aus dem Weg räumen. Politiker aus Deutschland sind auf dem Podium kaum vertreten, auch niemand aus dem Wirtschaftsministerium. Einzig Johannes Winkel, der Vorsitzende der Jungen Union, gab sich aus den Regierungsfraktionen die Ehre.
Ex-Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die sich jetzt als Publizistin in politische Debatten einbringt, sagte zu NIUS: „Energieverbrauch und Wohlstand eines Landes sind unmittelbar miteinander verbunden – es gibt auf der Welt kein Land mit niedrigem Energieverbrauch, aber hohem Wohlstand. Deutschland geht aber gerade den Weg in die andere Richtung, in Richtung einer programmierten Energiearmut. Und so ist vollkommen klar, dass wir unseren Wohlstand nicht werden halten können.“ Deshalb setze sie sich für einen Mix aus Erneuerbaren und Kernkraft ein, auch, um den großen Energie-Hunger von KI stillen zu können.
Die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder
Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat sich – wie eingangs erwähnt – bereits skeptisch zur Atomkraft geäußert, so zum Beispiel, dass die Chance für einen Re-Start in der Energiekrise vertan worden sei. Zahlreiche Experten bei der „Anschalt-Konferenz“ widersprechen ihr da ausdrücklich. Reiche kündigte stattdessen an, Gaskraftwerke mit bis zu 20 Gigawatt an Leistung bauen zu wollen, um die teils wochenlangen Versorgungslücken, die Wind und Sonne hinterlassen, ausfüllen zu können.
Doch auch Reiche weiß, dass der Bau von mehr als 40 Kraftwerken, die dafür nötig wären, utopisch ist – im Kern glaubt Reiche selbst schon jetzt nicht mehr daran, das in einer Legislatur hinzubekommen.
„Selbst wenn ich es schaffe, mit der EU-Kommission schnell zu einer Einigung zu kommen auf die nächsten Ausschreibungen von Gaskraftwerken, sind die ja nicht übermorgen gebaut. Bis 2030 bis zu 20 Gigawatt Kraftwerke – das sind über 40 Gaskraftwerke – installiert zu haben, ist mehr als optimistisch. Also müssen wir wenigstens die erste Welle hinbekommen, um zu jedem Zeitpunkt der Industrie und den Verbrauchern sagen zu können: Ihr könnt euch darauf verlassen, dass die Stromversorgung sicher ist“, sagte sie zu Table Media.
Die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU)
Das ist die Stelle, an der Energieexperte Mark Nelson wieder ins Spiel kommt: „In Amerika, dort, wo ich herkomme, dauert es derzeit sieben Jahre, um ein Gaskraftwerk zu bauen. Auf der ganzen Welt ist die Nachfrage gestiegen. Im selben Zeitraum könnte man in Deutschland sieben oder acht abgeschaltete deutsche Atomkraftwerke wieder zurückholen – und das sind die besten und sichersten der Welt. Mir als jungem Techniker blutet das Herz, dass diese Wunderwerke der Technik zerstört werden. Außerdem wünsche ich mir als Amerikaner ein starkes Europa an unserer Seite. Und dafür braucht es ein starkes Deutschland mit günstiger und zuverlässiger Energie.“
Die „Anschalt-Konferenz“ will dafür einen wichtigen, inhaltlichen Anstoß geben und die emotionale Debatte in Deutschland mit Fakten in eine rationale Richtung rücken – die relevanten Entscheidungen kann aber nur die Bundesregierung treffen.
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