
Deutschland brauche 1,7 Millionen Einwanderer pro Jahr. Diese Ansicht vertritt Vanessa Ahuja, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit und für den Bereich Internationales zuständig. Im Interview mit Welt sagt sie, angesprochen darauf, ob 400.000 Einwanderer pro Jahr erreichbar seien: „Es geht ja um die Nettozuwanderung: Wenn, wie im Jahr 2024, 1,3 Millionen Menschen Deutschland verlassen, brauchen wir 1,7 Millionen, die zuwandern.“
Das könne zum Beispiel damit erreicht werden, dass mehr ausländische Studenten nach ihrem Abschluss in Deutschland bleiben und arbeiten würden. Als Gründe, warum die Studenten wieder in ihr Heimatland zurückkehren, nannte Ahuja unter anderem hohe Steuern, Bürokratie, aber auch Rassismus. Ausländische Arbeiter müssten durch Sprachkurse gefördert werden und „eine Willkommenskultur in Betrieben“ erleben, damit sie bleiben.
Dazu müssten die Kollegen verstehen, dass die neue Arbeitskraft nicht ihren eigenen Job bedrohe, sondern stattdessen die Jobsicherheit erhöhe. Auf die Frage, wie mit Schwierigkeiten durch eine zunehmende Arbeitsmigration umgegangen werden soll, antwortet sie, dass eine Gesellschaft sich entscheiden müsse, ob sie noch die Versorgung der Bevölkerung, zum Beispiel im Bereich Pflege, sicherstellen wolle oder riskiere man, Pflegebetten nicht mehr zur Verfügung stellen zu können. „Nimmt man das in Kauf oder setzt man sich kulturell mit anderen Menschen auseinander und integriert sie?“
Die demografischen Probleme seien schon lange bekannt gewesen, jedoch sei „der Druck auf die Politik“ in Teilen noch nicht stark genug gewesen, sagt das Vorstandsmitglieder der Arbeitsagentur. In einigen Branchen wie der Gesundheitsbranche sei der Druck jedoch schon stark genug, dass Veränderungen angestoßen werden.
Die Entscheidung der Regierung, das Westbalkankontingent halbieren zu wollen, bedauert Ahuja in dem Interview. Die Bundesregierung plant, das Kontingent von 50.000 Menschen jährlich auf 25.000 zu reduzieren. Berufsabschlüsse müssen die Bewerber beim Visumantrag nicht vorlegen, sondern nur einen Arbeitsvertrag in Deutschland. Vanessa Ahuja vermutet, dass die Regelung in die Kritik geraten ist, weil „zunehmend formal nichtqualifizierte Menschen gekommen sind“. Doch die Menschen hätten „praktische Erfahrung – auch ohne Berufsabschluss“.
Neben der Migration brauche es weitere Maßnahmen: Mehr Frauen müssten in Vollzeit arbeiten und ältere Menschen müssten auch länger arbeiten können. Auch Langzeitarbeitslose müssten in Arbeit gebracht werden, so Ahuja. „Nur mit einer Kombination aus qualifizierter Zuwanderung, Aktivierung vorhandener Arbeitskräfte und Produktivitätsfortschritten können wir das Problem lösen.“