ARD-Sommerinterview: Das Interview, das alles zerstörte – nur nicht Weidel

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die ARD versucht sich offenbar an einer Wiederauflage des „Heißen Stuhls“, einer legendären Polit-Show aus den 1990er-Jahren, mit der RTL damals die Straßen fegte. Einer wird öffentlich gegrillt, und der Plebs lacht höhnisch.

Im Sommerinterview sitzt Alice Seidel in Weiß auf dem heißen Sommerstuhl. Und es dauert keine 40 Sekunden, bis erstmals das Schlagwort von der AfD als „Gefahr für unsere Demokratie“ fällt. Auch „gesichert rechtsextremistisch“ darf selbstverständlich nicht fehlen, wenn die verhasste, leider größte Oppositionspartei beschrieben wird. Dazu eine Handvoll Fragen, die Moderator Markus Preiß lang und breit formuliert, auf die er aber nur klitzekurze Antworten erlaubt. Er fällt seinem Gast ins Wort, er unterbricht, er stellt Aussagen in Frage. Man spürt: Es geht ihm gar nicht um die Antworten, es geht ihm bloß ums Bloßstellen.

So weit, so üblich, so bekannt. Was neu ist, dürfte auch dem letzten Zuschauer die Augen darüber geöffnet haben, wie ungeniert die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vorgehen, um jemanden in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken.

Dass die ARD die Sendung als „Live-Interview“ ab 18 Uhr verkaufen will, obwohl sie bereits um 15 Uhr Ausschnitte zeigt – ist dabei nur die Kirsche auf der Sahnetorte. Die Sahne selbst ist derart fett, dass sogar Kollegen aus dem Mainstream den Kopf schütteln. Von einem „Tiefstpunkt öffentlich-rechtlichen Informationsmanagements“ spricht Thomas Tuma aus der Chefredaktion der Illustrierten Focus. Der Chefautor konstatiert, es habe „mit Journalismus nur noch so viel zu tun wie eine Kirmes, bei der sich ein eigens eingeladener Gast plötzlich als Hau-den-Lukas-Objekt für die Dorfschläger wiederfindet“.

Die Schmieren-Kirmes im Einzelnen:

Auf dem gegenüberliegenden Ufer der Spree hat sich pünktlich zum Beginn des Interviews eine Gruppe von Demonstranten eingefunden. Woher sie die genaue Uhrzeit der Aufzeichnung wissen, sei einmal dahingestellt. Mit lauten Rufen, Sprechchören und buchstäblich mit Pauken und Trompeten wollen sie die Aufnahme torpedieren. Wie schön, dass auch ein Kameramann der ARD hinübergeeilt ist, um die ersten Bilder des Grüppchens für die 20-Uhr-Tagesschau im Kasten zu haben.

Das gelingt erstaunlich gut. Deutlich zu gut sogar. Jedem Amateur mit einer kostenfreien Tonaufnahme-App würde gelingen, was die hoch gebührendotierten Techniker der ARD angeblich nicht hingekommen können: die Umgebungsgeräusche einfach herunterzuregeln und die Mikrofone der beiden Sprecher lauter zu stellen. Preiß entschuldigt sich gleich mehrfach scheinheilig dafür, dass es ja „so laut“ sei. Dass er dabei grinsen muss, macht das Schauspiel offensichtlich. Weidel muss mehrfach nachfragen, weil sie nichts versteht, sie rückt näher an den Moderator heran und bittet ihn mehrfach, die Frage zu wiederholen. Zeitweise nimmt sie sogar den Knopf aus dem Ohr, den ihr der Sender verpasst hat. Denn dort hat sie zusätzlich noch ein Echo und hört plötzlich alles doppelt, wie sie sagt.

Während die Tontechnik ihr perfides Spiel als angebliche Unfähigkeit verkaufen kann, hat es die Bildregie deutlich schwerer. Denn so lange man keine Menschen live duplizieren kann, muss sie halt zeigen, was ist. Und mit technischen Kniffen versuchen, aus einer Mücke einen möglichst imposanten Elefanten zu zaubern. Zu diesem Behufe werden in der Regie alle Register gezogen. Die Demonstranten rücken per Teleobjektiv optisch an Weidel heran und kleine Teilgruppen werden übergroß in Szene gesetzt, doch eines lässt sich eben nicht verbergen: Bei den Demonstranten handelt es sich nur um eine versprengte Gruppe, die mit großen Abständen zwischen den einzelnen Personen größer zu wirken versucht als sie es tatsächlich ist. Mehrere Kameramänner sind dort ebenfalls zu sehen, und man muss nicht die Mondlandung in Zweifel ziehen, um zu unterstellen, dass die ARD hier gezielt den Ton vor Ort abgenommen haben könnte, um ihn übers Ufer zu holen.

Denn es ist schon recht erstaunlich, dass so ein kleines Häufchen Elend aus eigener Kraft einen so imposanten akustischen Aufschlag zustande beringen soll, ohne dass technisch nachgeholfen wurde. Noch dazu wirken die Protestgesänge zeitweise geradezu majestätisch inszeniert – wie ein Kirchenchor überlagern sie das Interview derart eindrücklich, dass auch der Zuschauer bisweilen kein klares Wort mehr versteht.

Inhaltlich kann Weidel nur wenige Treffer landen. Denn es werden gefühlt auch kaum mehr als fünf Fragen gestellt. Unterbrochen von mehreren, langen Einspielern, bleibt für das eigentliche Interview so wenig Zeit, dass die Co-Vorsitzende der AfD kaum einen Gedanken zu Ende bringen kann. Sie kritisiert, dass der Etat für Arbeit und Soziales auf 190 Milliarden Euro explodiert sei, von dem allein 45 Milliarden auf das Bürgergeld entfallen. Hier würde sie deutlich kürzen, denn „die Hälfte geht an Menschen, die nicht deutsche Staatsbürger sind und die nie in unsere Sozialsysteme eingezahlt haben“. Zugleich würde sie die Ausgaben für Entwicklungshilfe oder Waffenlieferungen an die Ukraine reduzieren. Dass dies die Ausgaben senken würde, will Preiß allerdings aus unerfindlichen Gründen nicht akzeptieren. Immer wieder unterbricht er Weidel, versucht – bisweilen mit unverhohlenem Grinsen –,sie aus dem Konzept zu bringen.

Dazu prangen an der Wand die passenden Zitate, etwa Kritik vom Krankenkassenverband oder „hinreichende Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen“ aus einem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster. Wenn die Kritik der AfD an der hyperaktivistischen Richter-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf das Thema ist, lässt die Bildregie dunkle Wolken über dem Reichstag aufziehen. Dazu Sätze wie „Die Partei weiß selbst: Die Menschen haben Angst.“

Ein weiterer Einspieler, so heuchelt Preiß, gebe „vielleicht Gelegenheit, auch das Tonproblem hier in den Griff bekommen“. Was das bedeutet, zeigt sich drei Minuten später: Der Tontechniker hat noch mehr aufgedreht. Die Chöre haben jetzt scheint’s noch Hall und Tremolo.

Die 30 Minuten Sommerinterview kommen dank eines sehr zeitigen Endes inklusive elegischer Abmoderation am Ende auf kaum mehr als 28 Minuten. Dazu die vielen Einspieler, die sich auf mehr als sechs Minuten summieren. Am Ende möchte Preiß von Weidel tatsächlich noch drei Dinge wissen, „die richtig gut laufen in diesem Land.“ Sie muss passen.

Wir warten derweil auf den Tag, an dem Preiß vom Kanzler drei Dinge wissen möchte, die richtig mies laufen in diesem Land. Das könnte, wäre der Kanzler der zweiten Wahl denn ehrlich, das längste Sommerinterview aller Zeiten werden.

Diese halbe Stunde werde noch lange nachhallen, prophezeit Focus-Mann Tuma – „als Beispiel, wie Journalismus eben nicht geht“.

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