
So etwas kann nur Markus Söder. A sagen und B meinen. Oder: Heute A sagen und morgen B. Und einfach behaupten, B sei schon immer A gewesen. Auch das Sommerinterview der ARD nutzt der bayerische Ministerpräsident, um sich selbst als den Heilsbringer innerhalb der Union zu präsentieren, der alles kann und alles weiß. Zumindest weiß er alles besser.
Noch am Mittwoch hatte Söder in einem absurd überschwänglichen Post Friedrich Merz über den grünen Klee gelobt. Dieser sei „der neue Leader in Europa“, habe „die Europäer organisiert“ und „mit dem US-Präsidenten beim Ukrainekrieg neue Bewegung in Richtung Frieden gebracht“. Deutschland werde endlich international wieder respektiert und übernehme eine Führungsrolle in Europa. „Das liegt an Friedrich Merz. Respekt!“, so Söder.
Klingt wie Satire. Und bei Söder weiß man nie.
Auch im Sommerinterview wird das Posting kurz zum Thema. Söder steht zu seiner angeblichen Euphorie, die so schwer zu glauben ist. Denn in allen zentralen Themen widerspricht er der gegenwärtigen Regierungslinie, derweil er betont, wie zufrieden er doch mit der Arbeit der Koalition sei. Sogar die SPD bekommt lobende Worte. Balancieren auf rohen Eiern über blankem Eis und dabei sogar noch Salz und Stolpersteine verteilen – so etwas kann nur ein Söder.
Beim Thema Gaza stellt er sich im Gegensatz zu Merz vollumfänglich und uneingeschränkt auf die Seite Israels und verteidigt zugleich, dass Merz die militärische Unterstützung eingestellt hat. Aber nicht direkt, nur zwischen den Zeilen. Dass dies alles recht widersprüchlich klingt, versteckt er hinter wattweichen Worten. Schließlich spricht hier Söder, der kann A und B in einem Atemzug.
Beim Thema Aufrüstung beschwört er munter die Gefahr, dass Putin „2027 oder 2029“ den Westen angreifen könnte. Belege hat er nicht, er zitiert nur „Experten“. So wie damals, als er während Corona das Bücherlesen auf Parkbänken untersagte. Eine Impfpflicht forderte. Menschen in zwei Klassen trennte. Zugleich aber sagt er heute über die Ukraine: „Jede Lösung mit Russland wird keine Nato-Soldaten vorsehen.“ Also wäre eine Aufrüstung, logisch betrachtet, eigentlich gar nicht nötig. Doch nicht so bei Söder. Er verteidigt die geplante massive Erhöhung der Rüstungsausgaben: „Warum warten, wenn wir schon heute wissen, dass die Gefahr besteht?“ Ach ja, die Taurus-Rakete werde übrigens in Bayern produziert, betont er. Vielleicht sind die Dinge mitunter ganz einfach zu erklären.
Die größte innenpolitische Herausforderung sieht Söder beim Bürgergeld. Er fordert die ersatzlose Abschaffung, denn die Hälfte der Bezieher seien keine deutschen Staatsbürger. „Wir haben gut ausgebildete Leute und setzen Anreize, dass sie nicht arbeiten. Das ist absurd.“
Bei Ausreisepflichtigen müssten „die Leistungen auf ein Existenzminimum reduziert werden“ und es brauche eine nationale Bezahlkarte für alle Steuergeldempfänger. Überhaupt sei das Thema Migration ja traditionell ein CSU-Thema und nicht etwa das der AfD. „Wir haben noch ’ne Menge Arbeit, Sparpotential und auch Veränderungen, die durchzusetzen sind.“
So viel Konfliktpotential innerhalb der Union, so viel Uneinigkeit. Und doch: so viel Einigkeit! Das will Söder dem Zuschauer zumindest weismachen. Sein Verhältnis zu Friedrich Merz etwa sei historisch das beste, was es je zwischen einem CDU- und CSU-Vorsitzenden gegeben habe. Da wird es selbst der Moderatorin Anne Engelke zu viel. Sie stellt fest: „Unter historisch machen Sie es nicht.“
In mehreren Videos ist auf den Treppen gegenüber der Open Air-Studiofläche an der Spree eine Gruppe schwarz-gelber Demonstranten zu sehen, die ein Plakat mit dem Spruch „Stärkste Kraft im Land. Uns übertönt ihr nicht“ zeigen. Dazu skandieren sie lautstark „Europa, Jugend, Reconquista“ sowie immer wieder „Remigration“.
Der Flashmob wurde offenbar nach wenigen Augenblicken von der Polizei handgreiflich aufgelöst, und die Demonstranten wurden am Boden fixiert. Interessant, dass die Polizei plötzlich so schnell und effizient einschreiten kann. Beim Weidel-Interview sah es noch ganz anders aus. Die linken Aktivisten durften die ganze Sendung über lautstark stören, sogar ein tausende Watt starker Soundbus war am Start. Und die ARD sah sich außerstande, den Ton später zu bereinigen.
Das Söder-Interview hingegen wurde offenbar erfolgreich bearbeitet. In der ausgestrahlten Sendung ist von den Identitären weder etwas zu sehen noch zu hören. Auch eine angemeldete Demonstration der Pro-Kernkraft-Organisation „Nuklearia“ wird in der späteren Aufzeichnung der ARD nicht erwähnt. Man sieht lediglich ein paar friedliche Demonstranten und zwei Transparente im Hintergrund der Szenerie.
Söder blickt allerdings während des Gesprächs auffällig oft zum anderen Ufer hinüber. Der vorinformierte Zuschauer spürt: Da ist doch irgendwas!
Jedes schauspielerisches Talent hat eben seine Grenzen.