
Es ist Bundestagswahlkampf – also bemühen sich vor allem SPD und Grüne darum, den Mordfall von Aschaffenburg gegen die CSU zu wenden. Denn der Tatort liegt in Bayern, und der Täter Enamullah O. hätte sich eigentlich, wäre es nach Gesetz und Regeln gegangen, entweder gar nicht mehr in Bayern aufhalten dürfen – oder in einem bayerischen Gefängnis sitzen müssen. Kanzler Olaf Scholz zeigte deshalb mit dem Finger auf den Freistaat, und sprach anklagend von „Vollzugsdefiziten“.
Der Fall Enamullah O. zeigt die ganze Verworrenheit der Gesetzeslage und die heillose selbsterzeugte Überforderung des deutschen Bürokratiestaates mit einer bisher politisch gewollten schrankenlosen Massenmigration. Der 28jährige Afghane kam 2022 illegal nach Deutschland, nachdem er schon in Bulgarien als Migrant registriert worden war. Das erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auch – und Bulgarien erklärte sich am 3. Februar 2024 bereit, ihn wieder zurückzunehmen. Trotzdem konnte Enamullah O. im März 2023 einen Asylantrag in Deutschland stellen, den das BAMF erst am 19. Juni 2023 ablehnte. Darüber informierte es allerdings die für die Rückführung zuständigen Behörden in Bayern erst am 26. Juli 2023 – also zu einem Zeitpunkt, als die sechsmonatige Rücküberstellungsfrist nach Bulgarien fast abgelaufen war.
Scholz müsste sich also in erster Linie mit der Arbeit des Bundesamtes beschäftigen, für das seine Regierung die Verantwortung trägt – konkret Innenministerin Nancy Faeser.
Auch die Grünen in Bayern versuchen aus dem Fall Aschaffenburg Wahlkampfprofit zu schlagen. Die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze postete auf X eine anklagende Kachel mit dem Spruch: „Der Täter hätte nicht mehr in Bayern sein dürfen“. Was sie vergessen hatte mitzuteilen: Sie persönlich bekämpfte mit ihren Grünen bisher gegen jede Abschiebung von Migranten nach Afghanistan.
Außerdem lehnt ihre Partei strikt ständige Kontrollen und Zurückweisungen an der deutschen Grenze ab. Ohne diese Kontrollen kann ein nach Bulgarien überstellter Migrant problemlos mit dem nächsten Flixbus wieder einreisen.
In Bayern liegt eine andere Verantwortung: Denn eigentlich hätte Enamullah O. zum Tatzeitpunkt wenigstens im Gefängnis sitzen müssen. Wegen einer Gewalttat verurteilte ihn die Justiz 2024 zu einer Geldstrafe, die er allerdings nicht zahlte. Also bekam er die Ladung zum Haftantritt. Auch der folgte er nicht. Trotzdem erließ die Justiz keinen Vollstreckungsbefehl. Der bizarre Grund: er verübte in der Zwischenzeit eine weitere Straftat, nämlich versuchten Betrug, wofür er vom Amtsgericht Aschaffenburg wegen einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen erhielt. Das Gesetz schreibt allerdings vor, bei mehreren Strafen vor Haftantritt eine Gesamtstrafe zu bilden, die beide Strafen zusammenfasst. Also eine neue bürokratische Mühle, neues Aktenwälzen, Übersetzen, Zustellen. Auf die Idee, den ohnehin schon ausreisepflichtigen abgelehnten und mehrfach straffälligen Migranten in Abschiebehaft zu stecken, kam in Bayern offenbar niemand.
Schon auf einer Konferenz der Denkfabrik R21-Konferenz im Dezember 2024 wies der Rechtsprofessors Daniel Thym darauf hin, dass sich die Regeln rund um die Migration mittlerweile so widersprüchlich und kompliziert darstellen, dass Behörden geradezu planmäßig versagen müssen. Thym, heute Leiter des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht der Universität Konstanz, gehörte vor sieben Jahren zu den Juristen, die Merkels Entscheidung rechtfertigten, die Grenzkontrolle praktisch aufzugeben, und erst einmal jeden ins Land zu lassen.
Jetzt vertritt er zu diesem Thema Ansichten, die sich von seiner damaligen Haltung fundamental unterscheiden. Das Konglomerat von Regeln und Urteilen zur Einwanderung sei inzwischen viel zu kompliziert und praktisch kaum noch handhabbar, so Thym auf der Konferenz in Berlin: „Wir müssen überlegen, ob es nicht Zeit ist, das Migrationsrecht radikal zu vereinfachen.“ Er nannte ein Beispiel: „Als ich angefangen habe, zum Thema Asylrecht zu forschen, war die Abschiebehaft in 200 Worten geregelt. Heute sind es 2000.“ Jeder Gerichtsentscheidung dazu habe die Anforderungen noch weiter nach oben geschraubt. Ganz nebenbei sagt er einen Satz, der die radikale Abkehr von 2015 bedeutet: Man müsse auch überlegen, „ob wirklich weiter jeder in die EU kommen kann, der an der Außengrenze ‚Asyl‘ sagt.“