
Mit der Losung „Say their Names“ ist es so eine Sache: Eigentlich ist das Gedenken an die Opfer von Gewaltdelikten ein edles Anliegen – nicht aber, wenn es eine eindeutige politische Schlagseite hat. In der bundesrepublikanischen Realität bleiben Opfer von migrantischer Gewalt meist namenlos, während migrantische Opfer von Rechtsextremisten namentliche Erwähnung finden.
So sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach dem Attentat von Hanau auf einer Veranstaltung, die unter Losung „Say their Names“ lief. Auch die Grünen posten häufig Social-Media-Kacheln mit dem Ausspruch. Und im kollektiven Erinnern an die Anschläge von Mölln, Solingen, Halle – also Anschlägen, die sich gegen Migranten richteten und von Rechtsextremen begangen wurden – wird wiederholt, man solle, ja, man müsse die Namen der Opfer nennen.
In diesem Jahr jährt sich das Hanau-Gedenken zum fünften Mal. „Say their names“ ist zu einer festen Losung der Aktivisten geworden.
Doch wie viele kennen schon die Namen der Opfer des Anis-Amri-Attentats auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz? Wie oft wurde ihrer gedacht? Jetzt, nach dem schrecklichen Messerangriff durch den afghanischen Asylbewerber Enamullah Omerzai in Aschaffenburg, gibt es tatsächlich zwei Namen, die in die Öffentlichkeit gehören: einerseits der Name des zweijährigen Yannis, der am Anfang seines Lebens stand, Polizist werden wollte und völlig sinnlos ermordet wurde. Und andererseits der Name des 41-jährigen Mannes, der sich tapfer vor die Kinder stellte und die Zivilcourage mit seinem Leben bezahlte. Bisher ist seine Identität nicht bekannt.
Zivilcourage klingt dabei immer sehr edel, ist aber in einer Situation wie der brutalen Messerattacke in Aschaffenburg nicht nur leichter gesagt als getan, sondern auch gefährlich. Wenn aber Bürger dieses Landes in Extremsituationen so uneigennützig agieren, dass sie das eigene Leben aufs Spiel setzen, sollte dieser Einsatz für ein größeres Ganzes geehrt werden. Zumal selten das Adjektiv „heldenhaft“ so gut wie in diesem Fall passt: Wer in einem Moment der Lebensgefahr so selbstlos agiert, dass er sich existenzieller Gefahr aussetzt, um Dritte zu schützen, der ist genau dies: ein Held. Helden wiederum verdienen es, dass ihre Namen der Öffentlichkeit bekannt werden – gesetzt den Fall, dass die Hinterbliebenen nichts dagegen haben.
Persönliche Botschaften und Gebete wurden am Tatort in Aschaffenburg niedergelegt.
Politisch hingegen wäre es das absolute Minimum, den Hinterbliebenen des Verstorbenen eine Art Lebensrente auszuschütten und den Mann mit Bundes- oder Landesverdienstorden auszuzeichnen. Zwar werden diese in der Regel nicht posthum verliehen, doch es gibt Ausnahmen: etwa bei Jürgen Schumann, dem Flugkapitän des entführten Lufthansa-Flugzeugs Landshut, der von PFLP-Terroristen ermordet wurde – und der nach seinem Tod das Bundesverdienstkreuz von Bundespräsident Walter Scheel verliehen bekam. Warum also nicht beim 41-Jährigen aus Aschaffenburg? Auch sein Einsatz war in seiner Aufopferung und Entbehrungsbereitschaft beispiellos.
In einem normalen Land wäre die Ehrung des Mannes aber nicht genug: Es wäre vielmehr angebracht, dass Landes- und Bundespolitiker die Familie und Freunde des 41-jährigen Mannes um Entschuldigung und Vergebung bitten. Denn schon jetzt steht fest: Aufgrund von politischen Versäumnissen und Behördenversagen konnte ein 28-jähriger Asylbewerber einen mutigen Bürger ermorden. Anders gesagt: Hätte eine desolate Zuwanderungspolitik nicht dafür gesorgt, dass ein afghanischer Krimineller erst ins Land kommen konnte und hier bleiben durfte, würde der Mann noch leben. Dafür gibt es wiederum politisch Verantwortliche, denen Demut und Bodenständigkeit angesichts der verheerenden Auswirkungen der eigenen Entscheidungen gut stehen würde. Schon die Hinterbliebenen von Opfern wie Ece, Paul oder Mia hätten, wenn man ehrlich ist, die Anteilnahme der Bundespolitik verdient gehabt.
Eine politische Klasse, die einen Restfunken Anstand, Demut und Sitte besitzt, sollte alles dafür tun, das Andenken des Mannes hochzuhalten und das eigene Versagen angesichts seines Todes zu reflektieren. Sie sollte an seinem Grab knien. Und sie sollten seinen Namen sagen, immer und überall.
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