
Der Afghane Farhad Noori ist mit voller Absicht in die Menschenmenge gefahren. Insgesamt gibt es 36 Verletzte, darunter zwei Schwerstverletzte. Dabei ist auch ein Kind, das als schwerstverletzt gilt. Das ist die bisherige Bilanz des zweiten schweren Attentats in Bayern innerhalb kurzer Zeit, wie sie bei einer Pressekonferenz mit Vertretern des Polizeipräsidiums München, des bayerischen Landeskriminalamtes und der Generalstaatsanwaltschaft München bekannt wurde.
In München wurde die Verdi-Demonstration zur aktuellen Tarifrunde im öffentlichen Dienst von der Polizei begleitet. Diese verhinderte offenbar Schlimmeres. Nachdem der Täter mit einem Mini Cooper in die Menge gerast war, so berichtet Vize-Polizeipräsident von München, Christian Huber, auf der Pressekonferenz heute Mittag, gaben Beamte Schüsse ab, doch trafen ihn nicht. Der Täter habe nicht sofort aufgegeben, sondern offenbar noch einmal versucht, Gas zu geben. Doch die Polizei konnte ihn stoppen. „Ich glaube, wir haben Schlimmeres verhindert“, so Huber. Die Polizeifahrzeuge, die den Demonstrationszug begleiteten, seien mit einem gewissen Abstand zur Versammlung gefahren. Dort sei der Attentäter dann hindurchgefahren. Dies beobachtete auch Augenzeugin Alexa Graef, die aus ihrem Büro den Anschlag ansehen musste, wie TE bereits gestern berichtete. (Alexa Graef ist für ‚Courage‘ tätig, das im gleichen Verlag erscheint wie ‚Tichys Einblick‘, Anm. der Redaktion)
Huber rief die traumatisierten Opfer dazu auf, die vorhandenen Anlaufstellen zu nutzen. Nach dem Attentat habe eine hohe Zahl von Beamten und Feuerwehrkräften, die vor Ort waren, betreut werden müssen.
Im Landeskriminalamt wurde eine Sonderkommission Seidlstraße gegründet, die mit rund 140 Beamten rund um die Uhr ermittelt, berichtet Guido Limmer, Vizepräsident des Bayerischen Landeskriminalamtes. Sie wertet auch die mehr als 50 Videos der Tat aus, die den Ermittlern derzeit vorliegen, ebenso wie das Handy des Verdächtigen. Mittlerweile wurden die Social-Media-Accounts des Täters abgestellt, wobei die Polizei keine Details nennen konnte, wer diese deaktiviert habe. Sie seien jedenfalls nicht von der Polizei stillgelegt worden. Im Internet präsentiert sich der Attentäter als Muskelprotz mit noblen Klamotten und teuren Autos. Über 100.000 User folgen ihm.
Aus der Beschuldigtenvernehmung gehe hervor, dass Noori religiös gehandelt habe, führt Gabriele Tilmann, leitende Oberstaatsanwältin für den Bereich Terrorismus, auf der Pressekonferenz aus. Sie würde sich schon trauen, von einer islamistischen Tat zu sprechen. Sie sei, wie sie betonte, sehr vorsichtig mit vorschnellen Bewertungen. Nach der Tat habe er „Allahu Akbar“ gerufen. Von einem Drogenkonsum oder einer ärztlichen Behandlung sei aktuell nichts bekannt. Ein Drogentest sei negativ verlaufen, Noori habe bei seiner Tat nicht unter Drogen gestanden, wie es bei anderen Attentaten häufig der Fall ist.
Tilmann sieht jedoch zum aktuellen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für eine Eingliederung in islamistische Organisationen wie den IS. Vielleicht ändere sich dies im Laufe der Ermittlungen noch, räumte sie ein.
Ungeklärt ist bis jetzt auch die Frage, ob der Täter Helfer oder Mitwisser hatte. In jedem Fall war er bei der Tat allein; untersucht werde jetzt, wer davon im Vorhinein wusste. Dazu wird seine Kommunikation, die teilweise in arabischer Sprache geführt wurde, ebenso wie Chats, Kontakte und Verbindungen ausgewertet. Auf Schwierigkeiten gestoßen seien die Ermittler bisher nicht; es gebe keine Verschlüsselungen, alle Informationen konnten offen gelesen werden. In einem Chat soll er sich von einem Angehörigen verabschiedet haben: „Morgen bin ich nicht mehr da.“
Tilmann berichtet von einer extremen Religiosität des Attentäters. Dies gehe unter anderem aus seinen Posts hervor, ebenso von seinen Besuchen in der Moschee, in der Noori regelmäßig gebetet hat. Der Afghane jedenfalls sei 2016 als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gekommen, hatte im Februar 2017 einen Asylantrag gestellt, der abschlägig beschieden wurde. Noori bekam eine sogenannte Duldung, später eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bis Oktober 2023, die dann als „Fiktionsbescheinigung“ bis 22. April 2025 verlängert wurde. Er hielt sich legal auf und war nicht ausreisepflichtig. Heute soll er auf Antrag der Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft genommen werden.
Anklage nach aktuellem Stand: versuchter Mord in derzeit 36 Fällen, gefährliche Körperverletzung und Eingriff in den Straßenverkehr. Eine Verbindung des Attentats mit der zwei Kilometer entfernten Münchner Sicherheitskonferenz sehen die Ermittler nicht.