Auftrag verfehlt: Warum der Verfassungsschutz keine Meinungspolizei ist und sein darf

vor etwa 5 Stunden

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In schönster Selbstverständlichkeit wird in diesen Tagen öffentlich darüber diskutiert, ob der Verfassungsschutz (BfV) mit seiner Einschätzung recht hat, dass die AfD ein „ethnisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis“ pflege, wie es im BfV-Gutachten heißt, oder tatsächlich durch Äußerungen von AfD-Mitgliedern die Demokratie verächtlich gemacht werde.

Eine interessante Debatte, die aber einen, DEN zentralen Punkt völlig ignoriert: Der Verfassungsschutz ist dafür nicht zuständig. Er wurde von den Autoren des Grundgesetzes ausdrücklich nicht als Gesinnungswächter konzipiert. Es ist schlichtweg gar nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes, Meinungen und Ansichten im Auge zu behalten. Die Debatte, was und wie die AfD und ihre Anhänger denken, mag politisch interessant sein, ist aber in diesem Kontext völlig irrelevant. Ein einfacher Blick in Paragraph 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) oder auf die Webseite des Bundesamtes schafft da Klarheit. Der Verfassungsschutz ist zuständig für

„Bestrebungen, die

Allenfalls Punkt vier könnte man mit viel Mutwillen in einen Auftrag für den Verfassungsschutz umdeuten. Erwägungen, welche Grundsätze oder Missdeutungen die AfD und ihre Mitglieder zum Staatsangehörigkeitsrecht oder zur Einwanderung haben, müsste man mit durchsichtigem Ziel als gegen „die Völkerverständigung“ gerichtet interpretieren, wenn man hier eine Zuständigkeit ableiten wollte. Da aber viele Länder der Welt sehr unterschiedlich mit Staatsangehörigkeit, ethnischer Herkunft und Volkszugehörigkeit umgehen, dürfte es sehr schwerfallen, hier eine gültige weltweite Norm abzuleiten, was man in Deutschland im Sinne der Völkerverständigung denken und äußern darf und was nicht.

Auch der vom bisherigen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang (CDU), gern zu Hilfe genommene Verweis auf die Menschenwürde (Art. 1 GG), ist ein verfassungsrechtlich eher wackeliges und wolkiges Konstrukt. Haldenwang, der die Bekämpfung der AfD durch seine Behörde offen einräumte, begründete die Zuständigkeit seines Amtes damit, dass Äußerungen und etwa die migrationspolitischen Vorstellungen der AfD die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes infrage stellten.

Ex-Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und Ex-Innenministerin Nancy Faeser (SPD)

Das Grundgesetz bindet allerdings in erster Linie den Staat in seinem Verhältnis zum Bürger und ist kein beliebig interpretierbares Strafgesetzbuch gegen den Bürger oder der Bürger untereinander. Der Staat muss sich in seiner Gesetzgebung und selbstverständlich auch bei der Strafgesetzgebung an das GG halten.  Folgt man der Haldenwang-Doktrin, so wäre jeder Stammtisch, an dem Schotten- (Geiz), Ostfriesen- oder Blondinenwitze (intellektuelle Schlichtheit) gerissen werden, ein Fall für den Verfassungsschutz, weil dort einvernehmlich „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ artikuliert wird, die in pauschalisierender Form die Würde der zugehörigen Menschen herabsetzt. Ein Stammtisch könnte zudem als „Bestrebung“ (Personenzusammenschluss) gelten.

Wenn diese Interpretation greifen würde, wäre der Verfassungsschutz auf dem besten Weg zur Gesinnungspolizei, die er als Konsequenz aus der NS-Zeit ausdrücklich nicht sein sollte. Der Menschenwürde-Artikel 1 bindet zum Beispiel den Staat und sein Handeln, sodass er eben auch unter dem Eindruck islamistischen Terrors keine gesonderten Einreiseregeln etwa für Muslime wie den „Muslim Ban“ in der ersten Amtszeit von Donald Trump erlassen kann.

Hier hat sich in den zurückliegenden Jahren mit Blick auf den Verfassungsschutz etwas deutlich verschoben. Ursprünglich sollte sich das BfV ausschließlich um „Bestrebungen“ kümmern, die gezielt und erkennbar aggressiv-kämpferisch die freiheitliche Ordnung, den Staat, die Bundesrepublik abschaffen wollen oder zumindest bedrohen könnten. Meinungen, Gesinnungen, Ansichten gehörten ausdrücklich NICHT zum Verfolgungsgegenstand des Inlandsgeheimdienstes.

Böse Witze verboten: Bei der AfD hört die Meinungsfreiheit in Deutschland offenbar auf.

Besonders eindrucksvoll ist dieses Verständnis von Meinungsfreiheit im sogenannten Wunsiedel-Urteil von 2009 nachzulesen, bei dem es um Neonazi-Aufmärsche in besagtem Ort ging, die übrigens verboten blieben. In dem Text des Bundesverfassungsgerichts heißt es wörtlich:

„Das Grundgesetz gewährt Meinungsfreiheit im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung vielmehr grundsätzlich auch den Feinden der Freiheit. Der Parlamentarische Rat bekannte sich hierzu auch gegenüber dem soeben erst überwundenen Nationalsozialismus. In den Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG legte er fest, dass nicht schon die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen als solche die Grenze der freien politischen Auseinandersetzung bildet, sondern erst eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Entsprechend gewährleistet Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Meinungsfreiheit als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit, rechtlichen Durchsetzbarkeit oder Gefährlichkeit. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen.“ (Hervorhebung vom Verfasser)

Mit anderen Worten: Der Verfassungsschutz ist mit seinem Gutachten auf gefährlichen Abwegen. Wenn sein Wort Gewicht haben soll und er sich von jeglichem Verdacht der politischen Instrumentalisierung freimachen will, sollte er eine Beweisführung vorlegen, auf welchem Wege sich die AfD verschworen hat, Parlamentarismus, Mehrheits- und Demokratieprinzip abzuschaffen und eine andere Staatsform anzustreben. Politische Geschmacklosigkeiten, böse Witze und intellektuelle Irrlichterei sind in einem freien Land erlaubt. Genau das macht den Unterschied zu autoritären Regimen. Das sollte auch so bleiben.

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