
Friedrich Merz wollte 2003 US-Präsident George W. Bush in den Irak-Krieg folgen, aber rund zwei Jahrzehnte später US-Präsident Trump nicht in den Ukraine-Frieden.
Am dritten Jahrestag des russischen Überfalls postet die CDU auf X einen einfachen, aber in seinen Auswirkungen doch gefährlichen Satz, der vollkommen aus der neuen Zeit gefallen scheint: „Die Ukraine muss den Krieg gewinnen.“
„Gewinnen“ – das ist nicht nur militärisch vollkommen aussichtslos. Es würde auch bedeuten, dass die Ukraine verlorenes Territorium zurückerobern, die russischen Invasionstruppen aus der Ukraine vertreiben, die russische Armee zumindest auf dem eigenen Staatsgebiet „vernichten“ müsste, wie es militärisch heißt. Selbst wenn es möglich wäre – der menschliche Preis, den die Ukraine dafür entrichten würde, wäre unermesslich hoch. Zehntausende, eher Hunderttausende Leben würden verloren, sinnlos ausgelöscht für ein unerreichbares Ziel.
Wer die Ukraine jetzt noch zum „Gewinnen“ auffordert, muss zwangsläufig einen Krieg verlängern, der für keine Seite mehr zu gewinnen ist. Die ganze Welt hat das erkannt, direkte Verhandlungen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Diktator und Präsidenten Wladimir Putin scheinen aussichtsreich. Nur der nächste deutsche Bundeskanzler scheint in einem möglichen Friedensschluss eine existenzielle Bedrohung zu sehen. (Fürs Protokoll: Manchmal liegen Menschen auch historisch richtig, wenn sie mit ihrer Meinung allein dastehen.)
Donald Trump und Wladimir Putin 2019 beim G20-Gipfel in Japan
Friedrich Merz sieht in der diplomatischen Initiative von Donald Trump eine direkte Bedrohung für Deutschland und Europa.
Friedrich Merz sagt: „Für mich wird absolute Priorität haben, so schnell wie möglich Europa so zu stärken, dass wir Unabhängigkeit erreichen von den USA. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich so etwas mal sagen muss. Aber spätestens nach den Äußerungen aus der letzten Woche von Donald Trump ist klar, dass den Amerikanern, dieser Regierung, das Schicksal Europas weitgehend gleichgültig ist. Ich bin sehr gespannt, ob wir beim Nato-Gipfel im Juni überhaupt noch über die Nato in ihrer gegenwärtigen Verfassung sprechen oder ob wir hier nicht sehr viel schneller eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit herstellen müssen.“
Friedrich Merz kurz nach der Bundestagswahl im Konrad-Adenauer-Haus vor einem Bild des ersten Bundeskanzlers.
Aus den Worten von Friedrich Merz am Wahlabend schäumt ein Furor gegen Donald Trump, der an den Antiamerikanismus der Linken erinnert, nicht an einen CDU-Transatlantiker. Aufgebracht über die amerikanisch-russischen Friedensverhandlungen lässt Merz sich zu Sätzen hinreißen, die unbedacht, falsch und gefährlich sind.
Bloß weil die US-Regierung Deutschland daran erinnert hat, gemeinsame Werte wie die Meinungsfreiheit und freie Wahlentscheidung, die man innerhalb der NATO gemeinsam zu verteidigen geschworen hat, auch zu achten, haben die Amerikaner noch lange kein Bündnis aufgekündigt. Viel mehr ist es Friedrich Merz, der diese Forderungen offenbar als so empörend und unerfüllbar empfindet, dass er das Militärbündnis wackeln sieht. Für einen Kanzler, der noch nicht mal im Amt ist, ist es die größtmögliche sicherheitspolitische Torheit, Artikel 5 der NATO infrage zu stellen.
Auch ist der US-Regierung das „Schicksal Europas“ nicht „gleichgültig“, man sorgt bloß ungern mit Milliardenkosten für die Sicherheit Europas, nur um sich – besonders von den Deutschen – ständig beschimpfen zu lassen.
Vor allem aber verbreitet Friedrich Merz neuerdings das Märchen, Europa könne „Unabhängigkeit erreichen von den USA“ und „eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit herstellen“.
Natürlich ist es sinnvoll, mehr Geld in die Bundeswehr und insgesamt in die Sicherheit Europas zu investieren, an dieser Stelle ausdrücklich auch mit neuen Schulden namens „Sondervermögen“. Aber nicht, wenn man das strategisch im Sinne einer Loslösung von den amerikanischen Fähigkeiten ankündigt und umsetzen will. Das ist ein historischer Irrweg, der (versehentlich?) wahr zu machen droht, wovon die politische Linke immer geträumt hat: den NATO-Austritt.
Wer den US-geführten Einsatz in Afghanistan miterlebt hat, erinnert bitterlich, dass so etwas wie eine europäische Kriegsführung schlicht nicht existiert. Europäische Armeen sind technologisch, qualitativ und quantitativ so weit hinter den US-Streitkräften zurück, dass sie ohne die USA weniger kampfstark wären als zum Beispiel die ukrainische Armee allein.
Vielleicht wird Friedrich Merz erst in diese offenen Geheimnisse eingeweiht, wenn er im Amt ist, aber so etwas wie europäische Verteidigungsfähigkeit existiert nicht, eine deutsche schon gar nicht. Europas Armeen sind eine integrierte Fähigkeit der Amerikaner, nicht selten, wie zum Beispiel bei der Bundeswehr, eher eine Last, die mit ihren nationalen, ultra-bürokratischen Einsatzregeln vor allem im Weg rumsteht. Nicht einmal ihre Kommunikation könnten die europäischen NATO-Streitkräfte in einem Kriegsfall ohne die Amerikaner aufrechterhalten, geschweige denn Nachschub und Logistik. Hinzu kommt: In den unterschiedlichen Lagern und Ländern Europas könnte man sich nicht einmal darauf einigen, wer eigentlich der Feind ist. Und glaubt Friedrich Merz ernsthaft, die Franzosen wären bereit, bei einem begrenzten russischen Atomschlag gegen Fulda nuklear zu antworten und ihren Eiffelturm zu riskieren?
Man muss sich wirklich inzwischen fragen, wer Friedrich Merz berät und wie er zu seinen sicherheitspolitischen Ansätzen und seinen grotesken Kraftmeier-Sätzen über Amerika kommt. Mit der Realität hat all das, was er derzeit erzählt, rein gar nichts zu tun.
Hinzu kommt ein beunruhigendes Kreiseldrehen der Merz’schen Kompassnadel beim Umgang mit Freund und Feind. Merz über die Wahlempfehlung von Elon Musk für die AfD: „Die Intervention aus Washington in den Wahlkampf waren nicht weniger dramatisch als die Interventionen, die wir aus Moskau gesehen haben.“
Auch hier: Was Merz behauptet, ist faktisch falsch und vollkommen abwegig, wird aber in den Trump-feindlichen deutschen Medien kaum hinterfragt. Russland hat allein in der Botschaft in Berlin rund 400 Mann stationiert, die ausschließlich daran arbeiten, Deutschland geheimdienstlich schwersten Schaden zuzufügen. Russische Hacker führen einen offenen Krieg gegen die digitale Infrastruktur in Deutschland. Russland versucht mit hohem Aufwand, illegale Migranten nach Europa und dann nach Deutschland zu kanalisieren, um das Land zu schwächen. Nichts dergleichen existiert aus den USA.
Elon Musk, der in Deutschland sechs Milliarden Euro in eine Tesla-Fabrik investiert hat, hat seine Meinung gesagt. Die kann man finden, wie man will, aber das war der ganze Vorgang. Das gleichzusetzen mit den Machenschaften der KGB-Erben, ist absurd, grün-populistisch, geschichtsvergessen und grenzt an den üblen Antiamerikanismus des ganz linken Lagers.
Was die Amerikaner im Wahlkampf tatsächlich getan haben, war, dieses Land mehrfach vor islamistischen Terroranschlägen zu warnen und zu bewahren, die so dramatisch gewesen wären, dass sie die AfD auf über 30 Prozent und die CDU in die politische Bedeutungslosigkeit katapultiert hätten. Deutschland hat keinen besseren Freund als Amerika. Ohne die Geheimdienstarbeit der USA würden Deutsche in großer Zahl im Monatsrhythmus für die Migrationspolitik der Merkel-CDU mit dem Leben bezahlen. Das sind übrigens auch die Geheimdienste, die dafür sorgen, dass das NATO-Land Deutschland einen bevorstehenden Angriff Russlands überhaupt mitbekommen würde. Man sollte nicht vergessen, dass der BND einen russischen Angriff auf die Ukraine so sehr ausgeschlossen hat, dass BND-Chef (und CDU-Mitglied) Bruno Kahl vom russischen Überfall in Kiew (!) überrascht wurde. Der BND hatte Putins Panzeraufmarsch als Übung und Säbelrasseln gewertet. Ups. Wer vor diesem Hintergrund von europäischer Eigenständigkeit in der Verteidigung schwadroniert, ist sicherheitspolitisch ein Blender – und riskiert den Bruch mit einer über Jahrzehnte bewährten Abschreckung, die Europa niemals allein leisten kann.
Auch dies sagt Friedrich Merz: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Donald Trump das Beistandsversprechen des Nato-Vertrages nicht mehr uneingeschränkt gelten lässt. Deswegen ist es aus meiner Sicht wichtig, dass die Europäer jetzt wirklich größte Kraftanstrengungen unternehmen, um wenigstens in der Lage sein zu können, den europäischen Kontinent aus eigener Kraft zu verteidigen.“
Solche Sätze können im Weißen Haus auch schnell als eingeschnappt-beleidigende Aufforderung verstanden werden. Vor allem aber dürften sie nach den verheerenden Erfahrungen, die US-Streitkräfte im Einsatz mit ihren europäischen Partnern gemacht haben, für lautes Lachen sorgen.
Dass Europa sich ohne die USA verteidigen kann, ist nämlich nur eines: absolut lächerlich.
Die Videos, die Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron im Weißen Haus zusammen mit Donald Trump zeigen, führen vor: Man kann sehr wohl mit Donald Trump auf freundschaftliche Weise kritisch reden, sogar in der Öffentlichkeit, man muss ihn nicht als Bestatter der NATO verunglimpfen. Macron sagt ausdrücklich: „Wir sind jeder in unserer Rolle, aber es gibt europäisch-amerikanische Einigkeit.“
Auch die Fotos des Besuchs dokumentieren den freundschaftlichen Umgang:
Was Friedrich Merz rasant braucht, ist ein vernünftiger Nationaler Sicherheitsberater, der in der Lage ist, Gedanken zu entwickeln, die nicht von linken Think Tanks und noch linkeren Medien geprägt sind. Ein Sicherheitsberater, der neue politische Phänomene wie die disruptive Trump-Regierung versteht, lesen und damit zum Nutzen Deutschlands umgehen kann, ohne sofort in patzige Schnappatmung zu verfallen. Und der Friedrich Merz davon abhält, einfach mal mit der NATO zu brechen, weil er sich in wütende Gedanken über die Reden von US-Politikern hineineskaliert.
Das letzte, was Deutschland außenpolitisch braucht, ist eine Diskussion über das Beistandsversprechen der NATO, die in Washington gar keiner führen will.
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