
Mehr Wahnwitz geht kaum: In Stuttgart trägt ein Finanzbeamter des Finanzamtes Stuttgart II vor dem Landgericht die Steuerschulden des Angeklagten Michael Ballweg vor. Das Ergebnis überrascht alle. Zur Erinnerung: Ballweg wurde wegen angeblicher Steuerhinterziehung angeklagt. Eine außer Rand und Band geratene Staatsanwaltschaft schickte ihn neun Monate lang ins Gefängnis in Untersuchungshaft, nachdem wie heute üblich seine Wohn- und Geschäftsräume durchsucht worden waren.
Vertreter des Finanzamtes und sogar ein Regierungsdirektor der Oberfinanzdirektion Karlsruhe traten im Gerichtssaal auf – mit Anwalt als Beistand, als ob die teuer bezahlten Beamten nicht selbst aussagen könnten. Sie sind womöglich in Sorge, wegen Verfolgung Unschuldiger belangt zu werden, wie der Professor für öffentliche Finanzen, Stefan Homburg, im Gespräch mit dem TE Wecker ausführte.
Jetzt stellte sich in Stuttgart heraus: Das Finanzamt schuldet Ballweg noch 200.000 Euro. Nicht Ballweg hat Steuerschulden. Dies kommt aber nun erst heraus, nachdem das Gericht angeordnet hatte, dass das Finanzamt endlich eine Berechnung der Steuerschuld für das Jahr 2020 vorlegen solle.
Scheibchenweise tritt zutage, wie das grün geführte Finanzministerium zunächst unter der vorherigen grünen Ministerin Edith Sitzmann und dann anschließend Danyal Bayaz die Steuerverwaltung ganz offensichtlich missbrauchte, um eine der Führungsfiguren von Demonstrationen gegen Coronapolitik aus dem Verkehr zu ziehen und zu desavouieren.
Der grünen Landesregierung passte nicht, dass Ballweg und seine Mitstreiter Hunderttausende zu Anti-Corona-Demonstrationen motiviert hatten, unter anderem im Herzen Stuttgarts, auf dem Cannstatter Wasen. Er war das Gesicht der „Querdenken“-Bewegung und damit der Proteste gegen die Corona-Politik. Gerade in Baden-Württemberg, wo sich in Stuttgart und anderen Städten große Demonstrationen formierten, bestand bei den Grünen in der Regierung großes Interesse daran, die Proteste unter Kontrolle zu bringen.
Die Staatsanwaltschaft präsentierte Anzeigen gegen Ballweg, so auch einen „Strafantrag gegen den Stuttgarter Rädelsführer der Querdenken-Bewegung Michael Ballweg“ wegen „Aufhetzung sowie Teilnahme am Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall“ und „Verstoß gegen die amtlich verordneten Covid-19-Schutzmaßnahmen“. Die öffentliche Ordnung sei gefährdet. Staatsanwalt Christian Schnabel ließ das Finanzamt prüfen, inwieweit ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen Ballweg eingeleitet werden könnte. Schnabel ist Grünen-Mitglied. Erst nach öffentlicher Kritik wurde er im Frühjahr 2025 abgezogen.
Ballweg habe, so die Staatsanwaltschaft, durch öffentliche Spendenaufrufe mehr als eine Million Euro von Tausenden Bürgern für seine Organisation eingeworben, die Spender aber über die Verwendung der Gelder getäuscht und einen Teil für private Zwecke verwendet.
Ballweg, Gründer und Kopf der Querdenken 711 Bewegung, hatte diese zunächst mit viel Geld aus seinem Privatvermögen und Unternehmen unterstützt, und dann um Spenden geworben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtete die Bewegung als „Sammelbeobachtungsobjekt“. Der Internet-Konzern Facebook und die Video-Plattform Youtube löschten „Querdenken“-Seiten.
Erinnert werden muss an die eifrigen Vorstöße von SPDlern im baden-württembergischen Landtag, die die Jagd auf Ballweg begrüßten. So betonte der Verfassungsschutzexperte der SPD im Landtag, Boris Weirauch: „Die Geschäftspraktiken der sogenannten Querdenker und deren Hintermänner müssen lückenlos aufgeklärt werden.“ Die Finanzströme extremistischer Bewegungen müssten ausgetrocknet werden: „Diesen Leuten müssen die Ressourcen entzogen werden, die es ihnen ermöglichen, unsere Demokratie zu bekämpfen.“ Im Frühjahr 2021 habe die SPD-Fraktion darauf gepocht, die Finanzströme zu durchleuchten. „Schon damals stand der Verdacht im Raum, dass die Organisation offenbar gezielt Gelder von Unterstützern anwirbt, ohne hierfür klare Verwendungsnachweise zu führen“, so der voreilige Weirauch.
Die Staatsanwaltschaft versuchte jetzt einen Rückzieher auf offensichtlich verlorenem Posten. Staatsanwältin Gräfe fragte laut einem Vermerk am 6. Juni telefonisch an, ob von Seiten des Gerichts grundsätzlich eine Einstellung des Verfahrens nach $ 152a StPO in Betracht komme. Das Gericht habe grundsätzlich bejaht, so liest man in dem Vermerk. Dann habe am 26. Juni Staatsanwalt Eisele angerufen und mitgeteilt, eine Einstellung komme aus Sicht der Staatsanwaltschaft weiterhin nicht in Betracht.
Ballweg würde ohnehin „nicht im Traum zustimmen, weil er unschuldig ist und einen Freispruch will“, schreibt Stefan Homburg auf X. „Als schuldig sehe ich die Staatsanwälte an, und zwar wegen Rechtsbeugung und Verfolgung Unschuldiger, eventuell auch wegen Korruption.“
Belastbare Beweise ist die Staatsanwaltschaft bis heute schuldig geblieben. Dafür offenbart sich nun ein anderes Bild: Ein offenbar von der politischen Spitze gesteuertes Ermittlungsverfahren gegen einen prominenten Regierungskritiker. Bereits am 30. Dezember 2020 leitete Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne) Hinweise und Beschwerden gegen Ballweg direkt aus dem Finanzministerium an das Finanzamt Stuttgart weiter – versehen mit Prioritätsvermerken wie „Eilt sehr“ und Betreffzeilen wie „Dubiose Querdenker-Spenden“ oder „z.w.V. – Zur weiteren Verwendung“. Die Anweisung: sofortige Prüfung von Konten, Adressen, Verwendungszwecken.
Der Steuerbeamte G., als Zeuge geladen, sprach offen davon, dass er das Verfahren von Anfang an als „politischen Fall“ wahrgenommen habe. Er hatte mehrfach direkten Kontakt zum Ministerium. Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar: Für das Steuerjahr 2020 lagen noch nicht einmal Fristen zur Abgabe vor – und dennoch wurde ein „Vorermittlungsverfahren“ eröffnet.
Das Landgericht Stuttgart, das den Prozess bemerkenswert sachlich führt, hat das Finanzamt nun aufgefordert, endlich die Steuerbescheide zu erstellen. Das Ergebnis: Das Finanzamt schuldet Ballweg 200.000 Euro.