
Die Wirtschaft schrumpft. Der Russe pocht derart heftig an die Tür, dass Deutschland sich zu seiner Abwehr mit weiteren 850 Milliarden Euro verschuldet. Und die Regierung kann sich nicht mal auf die Wahl von drei Richterinnen für das Bundesverfassungsgericht einigen. Die Lage ist dramatisch, der Kanzler spricht zur Nation – und kaum einer will es sehen. Nicht mal 1,22 Millionen Zuschauer. In die Liste der 25 am meisten gesehenen Sendungen schafft es das Interview der ARD mit Friedrich Merz (CDU) laut DWDL.de nicht. Anders als die Gartenprofis im ZDF, die Fahrer der Tour de France oder Julia Leischik mit ihrer Forderung: Bitte melde dich.
Am schlimmsten für Merz: Sogar das Interview im ZDF wollen deutlich mehr Zuschauer sehen als seins. Mit dem Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeier. Langweiliger als Steinmeier… Wie viele Demütigungen muss Friedrich Merz noch ertragen? Beide Gespräche liefen unter dem Label “Sommer-Interviews”. Denn, auch wenn man es beim Blick aus dem Fenster nicht direkt merkt: In Berlin hat der Sommer begonnen.
Doch nicht nur metrologisch fällt dieses Jahr der Sommer aus. Eine politische Sommerpause wird es faktisch nicht geben. Zu wenige Baustellen hat Merz abgeräumt. Über die Richterinnenwahl fürs Bundesverfassungsgericht ist ausgiebig berichtet worden. Doch das bleibt nicht das einzige Thema, was Merz und andere in Berlin während des Rest-Julis und des gesamten Augusts über beschäftigt hält.
Da ist zuallererst – auch wenn sie zuletzt aus den Schlagzeilen verdrängt wurde – die Wirtschaft. Bis jetzt haben Merz und seine Brüsseler Parteifreundin Ursula von der Leyen dem Präsidenten Donald Trump alle Wünsche erfüllt. So kaufen Deutschland und die EU Raketen in den USA für die Ukraine. Trotzdem droht ein Handelskrieg mit dem wichtigsten Handelspartner, worunter vor allem die Handelsnation Deutschland leiden würde.
Kommt dieser Wirtschaftskrieg mit den USA, würde sich der “Investitionsbooster” der schwarz-roten Regierung schnell als das falsche Mittel erweisen. Der verzögert ohnehin schon finanzielle Entlastungen. So kommt die Senkung der Kopfsteuer erst 2028 – und auch dann nur schrittweise. Stattdessen will die Regierung Merz die Wirtschaft mit erleichterten Abschreibungen “boostern”. Nur wird niemand in die Produktion von Waren investieren, die er nicht handeln kann – egal, wie viel er von der Investition abschreiben kann.
Die Lohnnebenkosten haben einen gefährlichen Gesamtwert von offiziell 41,9 Prozent erreicht. Doch in allen Sozialversicherungen drohen Erhöhungen: Pflege, Rente, Arbeitslosigkeit und Krankenkassen. In keinem Feld hat die Regierung Merz bisher entscheidend gegengesteuert. In der Rentenversicherung sorgt sie selbst für drohende erhebliche Erhöhungen der Beiträge für Betriebe und ihre Beschäftigten. Die SPD will da jetzt nochmal obendrauf satteln, um Gegenleistungen vom Koalitions”partner” nach der verpatzten Richterinnenwahl abzupressen.
Der Haushalt ist dafür keine Lösung. Für die Pflege- und die Krankenversicherung sieht Lars Klingbeil (SPD) gerade mal 7 Milliarden Euro vor. Für beide zusammen. Verteilt über zwei Jahre. Als Kredit. Obwohl niemand weiß, wann und wie die Kassen diesen zurückzahlen sollen. Bei allen Beteuerungen der schwarz-roten Regierung, wie wichtig ihr die Wirtschaft sei. Mit seinem Entwurf für den Haushalt hat der Finanzminister und Vizekanzler das Thema Lohnnebenkosten fast komplett ignoriert – und wenn er nun die Segen der 850 Milliarden Euro Schulden preist, die er demnächst aufnimmt, ist Klingbeils liebstes Beispiel die Dusche im Schwimmbad, die nun endlich repariert würde.
Den Entwurf für den Haushalt hat Klingbeil vor der Sommerpause eingebracht. Und obwohl es der Etat für das laufende Jahr ist, wird der Bundestag frühestens im September darüber abstimmen. Nach der Sommerpause. Frühestens. Einzelne Punkte werden dem Sommer die Pause nehmen, weil sie zum Streitthema werden. Aus Reihen der Union kommen Wünsche, mehr gegen die hohen Lohnnebenkosten zu unternehmen und alle Bürger mit der Stromsteuer zu unterstützen – statt nur ausgewählte Betriebe. Die SPD will den Sozialstaat noch weiter ausbauen, obwohl der mit 190 Milliarden Euro mit Abstand den größten Posten im Bundeshaushalt ausmacht – mehr als drei Mal so viel wie aktuell die Verteidigung.
Ein Thema hat den Wahlkampf geprägt. Laut internen Umfrage-Analysen der AfD ist es das Thema, das der Alternative für Deutschland den stärksten Zulauf an Wählern bringt. Noch mehr als die illegale Einwanderung. Weil es alle die benachteiligt, die mit ihrer Arbeit den Wohlstand in Deutschland erarbeiten: das Bürgergeld. Die SPD hat mit ihrer Sozialministerin Bärbel Bas deutlich gemacht, dass sie eine Reform entgegen allen Versprechungen doch nicht angehen will. CDU und CSU trauen sich nach der Richterinnenwahl nicht in noch ein öffentliches Duell. Sodass das Problem Bürgergeld totgeschwiegen werden soll. Funktioniert halt nur nicht, wie die vergangenen Monate immer wieder gezeigt haben.
Knapp die Hälfte aller Bezieher des Bürgergelds sind Ausländer. Im Kampf gegen die illegale Einwanderung hat die Koalition bisher friedlich zusammengearbeitet. Das könnte sich in Folge der verpatzten Richterinnenwahl ändern. Die saarländische Ministerpräsident Anke Rehlinger (SPD) hat bereits einen Vorstoß gestartet, wonach ihr Grenzkontrollen als wenig hilfreiches Mittel erscheinen würden. Auch in diesem Themenfeld will die SPD also jetzt streiten.
Dann hat Merz auch noch ein Personalproblem: Jens Spahn. Die SPD hat bereits angedroht, sich für die Richterinnenwahl zu rächen, indem sie gemeinsam mit Grünen und Linken für einen Untersuchungsausschuss in Sachen Maskenskandal stimmen. Dann hätten diese drei Parteien mehr als ausreichend Stimmen für einen solchen Ausschuss – der würde wiederum all die Fehler offenlegen, von denen der Fraktionsvorsitzende der Union schon während der Pandemie sibyllinisch angekündigt hat, dass man sie ihm nach der Pandemie zu verzeihen habe.
Ein solch prominentes Personalproblem kann einem Regierungschef auch so schon ordentlich den Sommer verhageln. Doch ausgerechnet Spahn ist jetzt eigentlich der Mann, auf den es für Merz ankommt. All die Konflikte um Richterinnenwahl, Lohnnebenkosten und anderen Fragen des Haushalts müsste sein Fraktionsvorsitzender mit dem Koalitionspartner SPD abräumen. Doch Spahn ist für die Sozialdemokraten nun eine Mischung aus Feindbild und angeschossener Gegner – gut möglich, dass sie vor dem Hintergrund Spahn angreifen, inden sie die Konflikte eskalieren lassen.
Wenn aber nach dem Sommer wie vor dem Sommer ist, dann hat Friedrich Merz ein Problem. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, einen Wechsel der Stimmung im Lande herbeizuführen. Wohlgemerkt einem zum Guten. Doch mit weiteren Eklats im Parlament trägt zumindest nicht die Regierung zu mehr Optimismus bei. Scheitern nach dem Sommer die Abstimmungen über Haushalt und/oder Richterinnen, dann muss Julia Leischik vielleicht bald die Aufforderung aussprechen: Bitte melde dich, Friedrich Merz. Immerhin hätte er dann mal gute Quoten.