
Eines muss man Carsten Linnemann lassen: Er gibt einfach nicht auf. Die CDU kann noch so viele Wahlversprechen brechen, sie kann sich noch so sehr der 16-Prozent-SPD unterwerfen, er stellt seine Partei dennoch unverdrossen als Heilsbringer und Friedrich Merz als Erfinder des Rückgrats dar. In der freien Wirtschaft hätte Linnemann allerbeste Chancen. Er könnte beispielsweise auf Wochenmärkten den Leuten verölte Putzlumpen als geniale Superschwämme verkaufen. Schaut her, einfach mal machen!
Aber nein, Linnemann will lieber weiterhin die CDU aufpolieren. Im Vergleich zu den Öllumpen geradezu eine Herkulesaufgabe.
Denn mit Michael Bröcker hat der CDU-Generalsekretär heute einen schweren Gegner. Der Publizist (Table Media) bringt die Mängel des 140-Seiten-Koalitionspapiers auf den Punkt. Vor allem die SPD dürfe ihr Klientel pampern, während entscheidende Themen bis zum Sankt-Nimmerleinstag aufgeschoben würden. „Jeder dritte Erwerbstätige geht in den nächsten zehn Jahren in Rente, und was macht die große Koalition? Sie hat die Rente mit 64 verlängert, sie hat die Mütterrente ausgeweitet“, sagt Bröcker. Das sei „übrigens eine klassische Forderung einer dieser Parteien“. Für ihn ganz klar: Die CDU habe sich über den Tisch ziehen lassen.
Zuvor hat sich auch Manuela Schwesig ins Zeug gelegt, den Koalitionsvertrag herauszuputzen. „Wenn wir es zügig schaffen, schon mal die Hälfte davon umzusetzen, dann wird es dem Land besser gehen“, sagt die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und nennt die Themen Wirtschaft, Arbeitsplätze und Wohnraum. Sie spricht gar von einem „Wohnbau-Turbo“ mit beschleunigten Abläufen. „Das ermöglicht, Genehmigungsverfahren, die sonst sechs Jahre dauern, auf halbes Jahr oder vielleicht anderthalb zu machen“, sagt die SPD-Politikerin. Mit Deutsch mag sie es nicht so haben, aber mit Tempo kennt sie sich aus. So zerrte sie einen Bürger in Windeseile vor Gericht, nur weil der sie „Märchenerzählerin“ genannt hatte.
Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, ist „heilfroh, dass wir dieses Lieferkettensorgfaltsgesetz weg bekommen“. Der Koalitionsvertrag sei „besser als wir erwartet haben“. Aber bei Steuersenkungen sei die Koalition „zu zaghaft“. Und die Sozialversicherungsbeiträge seien zu hoch. Man müsse sie bei 40 Prozent deckeln. Ansonsten sei man bald bei 50 Prozent, und das sei nicht mehr zu bezahlen.
Schwesig mahnt, „dass die Modelle der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr funktionieren“. Sie malt in gewohnter Manier den Teufel an die Wand: „Wir bekommen keine billige Energie mehr aus Russland, und wir sollten auch nicht mehr dahin zurück“, sagt die SPD-Politikerin, die vor drei Jahren wegen ihrer eigenen Russland-Verstrickungen noch als Gefahr für die Partei galt.
Na gut, dann eben das Thema Energie. „Das Heizungsgesetz ist abgeschafft!“ freut sich Linnemann. Aber nur, um es durch ein Neues zu ersetzen, kontert Bröcker sofort: „Dafür kommt jetzt das Gebäude-Energiegesetz.“
Linnemann freut sich weiter: „Aktivrente. 2000 Euro steuerfrei. Das wird so kommen.“ Das werde ein „dickes Ding. Ich hab’ immer gesagt, einfach mal machen. Wir brauchen diesen Schub!“ Einsatz für die Ex-Linkenchefin Katja Kipping, die jetzt den Paritätischen Wohlfahrtsverband leitet: Es gebe immer mehr Rentner, die zusätzlich noch Sozialleistungen beziehen müssten, klagt sie. 588.000 seien es vor vier Jahren gewesen. „Jetzt sind wir schon bei 730.000. Und die Tendenz geht steil nach oben.“
„Wir müssen liefern. Wir sind verdammt für den Erfolg“, sagt Linnemann. Und auch Schwesig hat noch ein paar Textbausteine parat. Die Schönsten:
Dass Saskia Esken nur einen Tag nach der Einigung der Koalitionäre schon wieder die Diskussion über eine Reichensteuer eröffnet, das „klingt nach einem neuen Streit“, sagt Illner. Bröcker gibt ihr Recht: „Dieser Konflikt ist nicht ausdiskutiert.“ Aber „immer nur so zu tun: Das sind die bösen Reichen – das stimmt so nicht.“
Arbeitgebervertreter Wolf hakt sich ein: „Das Bild vom Unternehmer, der sich die Taschen füllt, das ist 150 Jahre alt“, sagt der ehemalige Vorstandschef (ElringKlinger AG), Aufsichtsratschef (DHBW), Unternehmensberater (Horváth-Gruppe), Lobbyist und CDU-Gemeinderat. Er erinnert an Gerhard Schröders Agenda 2010. „Das, was er gemacht hat, war richtig. Das hat dieses Land wieder nach vorne gebracht.“ Auch heute gehe es „ganz arg um Arbeitsplätze“.
Für Kipping ein willkommenes Stichwort, um eilig vor der AfD zu warnen. Die Agenda 2010 habe auch große soziale Verunsicherung gebracht. Das bereite „den Boden für den Zulauf zu den Feinden der Demokratie“. Prima, dann wäre der Punkt also auch abgehakt.
Wolf will „den Menschen in diesem Land wieder Zuversicht geben“. Ob das geht mit einem Kanzler, der durch Vorspiegelung falscher Wahlversprechen ins Amt gekommen ist, will Illner wissen. Kann Friedrich Merz seinen zerstörten Ruf noch retten?
Die Antwort folgt auf dem Fuße: „Sie müssen sich das vorstellen wie ein Buch, das Sie lesen. Und jetzt wird mit der Bundeskanzlerwahl ein neues Kapitel aufgeschlagen. Und er wird uns dann, ja, überraschen. Weil er dann eine Figur abgibt, die Deutschland dringend braucht, und er wird endlich Verantwortung in Europa übernehmen, und ich bin mir sicher, er wird ein erfolgreicher Bundeskanzler werden.“
Sagt Linnemann. Er gibt einfach nicht auf.