
Es ist wohl das meistbeachtete Interview dieses Monats. Denn es steht für eine Regierungskrise, die der Schuko (Schuldenkoalition) gerade gehörig ihre Sommerpause verhagelt: die umstrittene Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf zu Gast bei Markus Lanz. Und so, wie sie um sich schlägt, dürfte die Stimmung vor allem in der CDU kaum besser werden.
Die Frau, die am vergangenen Freitag nicht ins Bundesverfassungsgericht gewählt wurde, weil sie unter anderem wegen ihrer Äußerungen in einer früheren Lanz-Talkshow ins Kreuzfeuer geraten war, kehrt an den Tatort zurück. Und Lanz kann es offenbar selbst kaum glauben. „Warum machen Sie das? Warum sitzen Sie heute Abend hier?“, fragt er. Sie wolle „einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte“ leisten, antwortet sie. Spoiler: Dieses Ziel bleibt unerreicht.
Mit ihrer eigenen Empathie allerdings ist es nicht so weit her, und das genau macht den Abend für sie zum Debakel. Erkennbar ungerührt und bar jedes möglichen Erkenntnisgewinns wiederholt sie alte Thesen, die schon vor Jahren fragwürdig waren und es heute erst recht sind. Etwa die Überlegung, dass während der angeblichen Corona-„Pandemie“ Ungeimpfte die Behandlungskosten selbst tragen sollten. Man sei doch schließlich Teil einer Solidargemeinschaft, lautet noch immer ihre Rechtfertigung. Und als habe es die RKI-Protokolle nie gegeben, tut sie auch heute noch so, als seien Geimpfte durch Ungeimpfte in Gefahr geraten. Lanz macht es ihr dabei leicht: Auch er spinnt das Narrativ einer angeblichen Pandemie ungeniert weiter – spricht selbst aber nur noch von einer „Epidemie“. Und er schlägt sich klar auf ihre Seite: So brandmarkt er beispielhaft eine Formulierung wie „diese furchtbare Juristin“ ganz klar als „Nazi-Sprech“.
Dass die beiden an diesem Abend unter allgemeiner Beobachtung stehen, daran lässt Lanz keinen Zweifel: „Ich hab’ durchaus die ein oder andere Nachricht aus dem Regierungsviertel bekommen, um es mal freundlich zu sagen“, berichtet er.
Beim Thema Plagiate läuft er ins Leere. Jener Vorwurf, den die CDU in letzter Sekunde aus dem Hut zauberte und zum Totschlagargument aufbauschte, bis sogar der Plagiatsjäger selbst zur Mäßigung mahnte (er selbst habe nie von einem „Plagiat“ gesprochen), wird von Brosius-Gersdorf nicht mehr selbst kommentiert. Sie und ihr Mann hätten die Sache an einen Fachanwalt abgegeben, und „die Stellungnahme kommt morgen“.
Dass sie für die Abschaffung der Witwenrente ist, wird nicht thematisiert. Hingegen schon, dass sie sich weiland bei Lanz positiv zu einem AfD-Verbot äußerte. Damals war von einem „Beseitigen” der Wähler die Rede. Lanz lässt eigens nochmal die Szene einspielen, doch ausgerechnet das besagte Wort fällt dort gar nicht; die Szene wird exakt einen Satz zuvor abgeschnitten. Es sei „nicht sehr glücklich ausgedrückt“ gewesen, sagt Brosius-Gersdorf. Er habe sich damals schon an der Formulierung gestoßen, erinnert auch Lanz. Umso seltsamer, dass er die Szene nicht zeigt.
Wie kleinkariert und nickelig gerade solche Juristen im Ernstfall argumentieren, wird auch beim nächsten Thema deutlich: Man müsse darüber nachdenken, ob eine Impfpflicht vielleicht sogar verfassungsmäßig geboten sei, hatte Brosius-Gersdrof seinerzeit geäußert. Darauf jetzt angesprochen, gibt sie zwar zu: „Ich finde, das kann man heute anders sehen, ja.“ Doch falsch sei es damals trotzdem nicht gewesen, denn „entscheidend ist das Wort ‚Nachdenken‘, Herr Lanz“. Sie habe es offengelassen und „zum Nachdenken angeregt“. Lanz hingegen kann nachvollziehen, dass genau auf solchen Äußerungen der Vorwurf gründet, sie sei eine Aktivistin. Denn sie gehe stets „einen Schritt weiter“ und sage oft „das Zweite vor dem Ersten“.
So geht der Abend munter weiter, und Brosius-Gersdorf hat die seltene Gabe, auch als vermeintliches Opfer in der Defensive kaum Sympathiepunkte einzufahren. Das christliche Kreuz an der Wand einer Schule etwa könne verboten werden, weil sich der Staat das Symbol ja mit der Wand „zu eigen“ mache. Andererseits sei eine Lehrerin mit muslimischem Kopftuch für sie akzeptabel. Für sie ist eine Lehrerin offenbar eine reine Privatperson, nicht etwa die Vertreterin des Bildungssystems, also ebenfalls des Staates. Happy Erbsenzähling, Folge drölfundfuffzig.
Immerhin hier bricht Lanz die Problematik klar herunter. Menschen wie Brosius-Gersdorf, sagt er, würden „aus dem Elfenbeinturm heraus“ die Dinge sicher sehr gut und genau analysieren und definieren, „aber am Ende verlieren wir die Menschen dabei“.
„Könnte der Moment kommen, an dem Sie sagen, die Debatte rund um meine Person ist so groß, dass die Gefahr besteht, dass das Verfassungsgericht beschädigt wird?“, will Lanz wissen. Für Brosius-Gersdorf offenbar eine recht ferne Idee: „Sobald das auch nur droht, würde ich an meiner Nominierung nicht festhalten. Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land, weil wir nicht wissen, was dann hinterher passiert.“
Was sie nicht erkennt: Die Regierungskrise ist offenkundig längst da, und ihr Auftritt bei Lanz hat die Wogen sicher nicht geglättet.
Direkt im Anschluss an das Interview sollen zwei Journalisten im Studio die gebührend mainstreamige Einordnung liefern. Anna Lehmann von der linken taz spinnt die Legende von einer groß angelegten Kampagne gegen Brosius-Gersdorf weiter und lobt ausgerechnet Stephan Harbarth, weil er sich vom Merkel-Vertrauten und CDU-Kader zu einem total unabhängigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gemausert habe. Das könne die Kandidatin ganz sicher auch, und daher müsse die CDU ihrer Wahl schon aus Prinzip endlich zustimmen.
Marc Felix Serrao, Deutschlandchef der Neuen Zürcher Zeitung, sieht hingegen einen ganz wesentlichen Punkt, der gegen die Kandidatin spricht: „An diesem Gericht müssen die Richter wirklich über jeden Zweifel erhaben sein.“