
Markus Lanz begrüßt um Mitternacht ein frisch verliebtes Pärchen, so scheint es: den CDU-Politiker Roderich Kiesewetter und den Grünen-Vorsitzenden Felix Banaszak. Gleich zu Beginn schwärmt Banaszak von Kiesewetter: „Es ist gut, dass es Menschen wie Roderich Kiesewetter in der CDU gibt.“ Der Matchmaker Markus Lanz stimmt freudig zu: „Sag’ ich doch, ich spür’ da was zwischen Ihnen beiden.“ Und tatsächlich werden im Laufe des Gesprächs die gemeinsamen Interessen immer deutlicher. Da wäre schon der glückliche Zufall, dass Kiesewetter die Wirtschaftspolitik der Grünen beschönigt und Banaszak damit weitere Munition gegen den „Etikettenschwindel“ der Union sammelt.
So harmonisch wie zwischen diesen beiden Vertretern von CDU und Grünen ist es aber in der Realität nicht. Möchtegern-Kanzler „whatever it takes“ bangt nämlich um die Gunst der im Wahlkampf so verhassten Grünen. Markus Söder hatte erst vor zwei Tagen in der ARD-Sendung von Caren Miosga zugegeben, dass es „für beide Seiten besser ist“, wenn Merz die Verhandlungen mit den Grünen ohne ihn führe. Die CSU hat sich ihre Wünsche in den Koalitionsverhandlungen schon erfüllen lassen und ist so schnell wie möglich nach München zurückgekehrt.
Tiefe Einblicke von Kiesewetter zeigen, wie es dazu kommen konnte. Vor den Wahlen sprach Merz noch davon, „grundsätzlich“ der Meinung zu sein, an der Schuldenbremse nicht zu rütteln. „Das kleine Wörtchen grundsätzlich.“ Kiesewetter lacht und gibt zu, dass dieses Wörtchen „Flexibilität“ bietet. Und auch er zieht wieder das Argument „die Lage hat sich dramatisch geändert“ aus dem Ärmel. „Ja, nicht wirklich“, sagt Lanz dazu nur und erinnert Kiesewetter an seine Aussage im April 2024. Kiesewetter appellierte damals, die Schuldenbremse auszusetzen, denn der Ukraine-Krieg ließe sich nur „mit Schulden gewinnen“. Merz hätte dies als „isolierte Einzelmeinung“ abgestempelt, was Lanz ganz fassungslos macht. Kiesewetter gibt sich gelassen und freut sich nur über die Zeit mit seinen Enkeln – Enkel, die vielleicht für die Politik ihres Opas bezahlen dürfen.
Lanz stellt ihm also die „Jokerfrage“: „Warum hat man es nicht gesagt?“ Die magere Erklärung für den Wahlbetrug: „Aus einerseits Sorge in den Wahlen im Osten. […] Und man hat gedacht, dass wir als Hüter der Schuldenbremse nicht den Eindruck vermitteln wollen, mehr Geld in die Hand zu nehmen.“ Aber es kommt noch dicker. Der Stern berichtet, dass bereits im letzten Herbst „in der Union offenbar in sehr kleinen Arbeitsgruppen und in kleinen Kreisen genau darüber geredet“ wurde. Lanz ist entrüstet und erinnert daran, wie viel Kritik Habeck bekommen hatte und „jetzt machen wir Habeck-Politik“. Wahrscheinlich hätte sich nicht einmal Habeck getraut, so viel Habeck-Politik zu machen.
Banaszak teilt weiter gegen die CDU aus: „Und ehrlicherweise, das ist doch Mathematik. Da hätte man doch drauf kommen können, dass man auch nach einer Bundestagswahl mindestens diese Grünen braucht.“ Sein gekränktes Ego wechselt zu triefender Arroganz: „Ich habe heute in der Zeitung irgendwo gelesen, vielleicht hätte er mal mit Angela Merkel sprechen müssen, die in der Lage war, die Dinge vom Ende her zu denken.“ Neben ihm zieht Münstermann die Augenbrauen zusammen und fängt Banaszak wieder ein: „Also bei aller Wertschätzung ihrer neuen staatspolitischen Verantwortung. Aber Sie sind Vertreter einer Partei, die es drei Jahre nicht geschafft hat, vom Ende mitzudenken in einer Regierung.“
Nach all den Kränkungen der Grünen sind diese nicht gewillt, dem Sondierungspapier zuzustimmen. Banaszak bestätigt das. Wegen des Druck von Union und SPD, dass die Grünen „wegen Putin doch am Ende ‚Ja‘ sagen“ müssten, halte er es für möglich, dass seine Partei dem Finanzpaket ein „Nein“ gibt. Kiesewetter ist dagegen immer noch optimistisch und setzt auf eine Einigung für den Klimaschutz. Vorausgesetzt, die Mailbox wird abgehört. Denn als Merz Britta Haßelmann, die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion erreichen wollte, wurde er an die Voicemail weitergeleitet.
Der Abend verdeutlicht, dass die Grünen und die CDU gar nicht so weit voneinander entfernt liegen. Merz ist bereit, sich für die Kanzlerschaft zu versklaven, während die Grünen verzweifelt versuchen, sich aus ihrer Misere zu befreien. Inmitten dieses Spiels treffen sie sich auf dem politischen Schachbrett. Dabei scheinen sich Balanszak und Kiesewetter einig zu sein, dass in die Bundeswehr investiert werden muss. Kiesewetter ist für die Wiedereinführung der Wehrpflicht – auch für Frauen.
Ob junge Menschen wirklich wieder für eine Wehrpflicht offen sind, beantwortet Kiesewetter gelassen mit „Ja“. Die Euphorie über die Investition in die Bundeswehr geht noch weiter. Kiesewetter betont, dass Europa die Atombomben brauche, um die nukleare Erpressbarkeit zu verhindern. „Was kostet das?“, fragt Lanz. „Viel teurer wäre es, wenn wir russisch erpressbar wären oder wenn die Ukraine zerfällt. Das ist nicht bezahlbar. Da sind die 500 Milliarden Euro ein Nasenwässerle, wie man das im Schwäbischen sagt.“
So schnell verwandelt sich die CDU vom armen Bauern zur reichen Dame. Ohne Strategie ist Deutschland auf jeden Fall bald schachmatt.