
Das Urteil im Berliner Schlägerprozess ist gefallen. Es wurden drei Jahre Haft für den ehemaligen Lehramtsstudenten Mustafa A., der seinen damaligen Kommilitonen Lahav Shapira vor einer Bar in Berlin-Mitte ohne große Umschweife angriff, niederschlug und dann noch einmal nachtrat. Shapira trug eine Gehirnblutung und eine komplexe Mittelgesichtsfraktur davon, derentwegen er mehrmals operiert werden musste. Mit dem Urteil ist Shapira zufrieden, mit der Entschuldigung A.s nicht.
Denn Mustafa A. soll gelächelt haben, als er sich angeblich bei Shapira entschuldigen wollte. Nun gibt es viele Gründe zu lächeln, aber auch der Wortlaut ist eindeutig: „Es tut mir leid, dir Schmerzen zugefügt zu haben.“ Ebenso tue ihm leid, „dass dieser Fall instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen“. Das sei nie sein Ziel gewesen. Laut Shapiras Schilderung und der anderer Augenzeugen hatte es kein Zögern von Seiten Mustafa A.s gegeben. Nach sehr kurzer Ansprache hielt A. Gewalt für die angemessene Umgangsweise. Jetzt versuchte er, seine Schuld mit anderen Faktoren (der angeblichen Instrumentalisierung des Falls) aufzuwiegen. Dass seine Tat als so schlimm erscheint, daran sollen auch die anderen mit schuld sein.
Shapira hatte sich zuvor an der Freien Universität, wo auch er – wie damals noch A. – auf Lehramt studiert, gegen antisemitische Plakate und Äußerungen in einer Whatsapp-Gruppe eingesetzt. Vor Gericht wurde ein rasant geschnittenes Video gezeigt, in dem Shapira solche Plakate (etwa mit dem Slogan „From the River to the Sea“) herunterriss. Die Verteidigung ließ das mit Musik unterlegte Video vorspielen – doch das war nicht zu ihrem Nutzen. Laut dem vorsitzenden Richter wirkte dieses „Beweismittel“ sogar strafverschärfend, weil es wohl den Mangel an Einsicht beim Angeklagten wie auch bei seinem Rechtsbeistand zeigte.
Außerdem sei Mustafa A.s Geständnis nicht von Schuldeinsicht und Reue geprägt gewesen, sondern verdankte sich vielmehr nur einer „Salamitaktik“, so der Richter weiter in seiner Begründung des Strafmaßes, das deutlich über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausging. Zugegeben wurde also immer nur das, was nicht mehr abzuweisen war. Viele Indizien sprechen für eine schwere Schuld Mustafa A.s. So wurde ein Snapchat-Video auf seinem Smartphone gefunden, das den Tatort zeigt, auch den niedergeschlagenen Lahav Shapira, mit der Aufschrift: „Musti hat den Judenhurensohn totgeschlagen. Polizei full hier.“
Für Staatsanwalt Tim Kaufmann stand fest, dass es sich um einen „antisemitischen Gewaltexzess“ handelte: „Lahav Shapira wurde angegriffen, weil er Jude ist und sich gegen Antisemitismus einsetzte.“ Ein Augenzeuge der Tat hatte den Eindruck mitgeteilt, dass A. sein Gegenüber, also Lahav Shapira, in diesem Moment geradezu vernichten wollte. Kaufmann hatte eine Strafe von zwei Jahren und vier Monaten gefordert. Die Frage ist, ob in einem weniger prominenten Fall genauso scharf geurteilt worden wäre. Der Berliner Prozess wurde immerhin vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung beobachtet. Der Richter Sahin Sezer stellte fest, dass das Urteil auch deshalb besonders hart sein müsse, um dem wachsenden Judenhass in Deutschland entgegenzutreten. „Generalpräventiv“ nennt sich dieser Ansatz,
Oft lassen sich aber auch Richter auf die Säuseleien eines zerknirschten Angeklagten ein. Man denke nur an den afghanischen Vergewaltiger Mohammad M. aus Regensburg, der angeblich auf einem guten „Integrationsweg“ war. Für die Vergewaltigung einer Sechzehnjährigen gab es so eine Bewährungsstrafe von 22 Monaten. Übrigens bot der Angeklagte hier wie da dem Opfer freiwillig Geld an, um den Schaden „wiedergutzumachen“. Auch Shapira lehnte die angebotenen 5500 Euro von Mustafa A. ab.
Der türkischstämmige Richter fand das „Herumwedeln mit Cash“ laut der Welt auch eher „ungeschickt“. Den Verurteilten sieht er aber letztlich als „Produkt dieser Gesellschaft“, nicht einer spezifischen Parallelgesellschaft. Mustafa A. sei offenbar kein besonders frommer Muslim, lebe in „wilder Ehe“ und habe schon Cannabis geraucht, angeblich auch mehrere Selbstmordversuche unternommen. Die „Projektionen“ in den Medien, dass seine Tat etwas mit seinem Muslimsein zu tun habe, seien belastend für A. gewesen. Also doch mildernde Umstände? Denn das Video auf dem Handy des Täters beweist eigentlich eine Mordabsicht, was eine noch viel härtere Strafe erfordert hätte. Vielleicht sah der Richter das nicht als bewiesen an. Aber lässt sich daran zweifeln?
Die Chats, in denen Shapira als Moderator zur Zielscheibe geworden war, kommentierte der Richter entgeistert. Shapira wurde darin als „Hurensohn“, „Hund“ und „Zionist mit Größenwahn“ bezeichnet. Der Richter fragte erstaunt: „Das sind alles Lehramtsstudenten?“
Es gibt also wenig zu Lachen, auch nach diesem Urteil nicht. Mustafa A. hat Reue nur wegen des Schauwerts gezeigt. Sein Anwalt fand offenbar, dass das vorherige Verhalten Shapiras die heftige Gewalttat rechtfertigen könnte. Das war ein Fehlschluss. Der Täter, der sich zuvor selbst an seiner Uni exmatrikuliert hatte, da ein Hausverbot gegen ihn verhängt wurde, wurde eingebremst und kann in drei Jahren Haft über seinen Fehler nachdenken. Allerdings wird er sie wohl nicht vollständig absitzen müssen, sondern – wie so viele andere – vorzeitig entlassen werden. A. wurde in Berlin als Kind libanesischer Eltern geboren und ist zwischenzeitig nach München gezogen.