
Keine Stadt ist so verrückt wie Berlin – und manchmal wirkt es, als wolle sie das mit aller Kraft beweisen. Der Fall um den schwulen Lehrer Oziel Inácio-Stech, der von homophoben muslimischen Schülern gemobbt und bedroht wurde, nimmt eine Wende, die man kaum glauben kann: Er entwickelt sich zu einem Sittengemälde der Hauptstadt, in dem alles enthalten ist: politisches Versagen, Intrigen, harte Drogen und Alkohol sowie eine Verwaltung, die dem offenbar tatenlos gegenübersteht.
An der Carl-Bolle-Schule in Moabit steht plötzlich nicht mehr nur der Lehrer Oziel Inácio-Stech im Mittelpunkt, sondern eine Kollegin, die ihn einst belastete – und nun selbst unter schweren Verdacht geraten ist. Darüber berichtet die Berliner Zeitung unter der Überschrift: „‚Weit aufgerissene Augen‘: Lehrerin an der Carl-Bolle-Schule soll Kokain und Ecstasy konsumiert haben“. Über den Scharia-Skandal selbst hatte im Mai zuerst die Süddeutsche berichtet.
Im Oktober 2024 geht bei der Berliner Schulaufsicht ein anwaltliches Schreiben ein: Der Anwalt von Inácio-Stech legt eidesstattliche Versicherungen von Lehrkräften vor, wonach eine Kollegin regelmäßig harte Drogen konsumiert und während des Unterrichts unter deren Einfluss gestanden habe. Genau diese Kollegin hatte einst den Verdacht in die Welt gesetzt, Inácio-Stech komme Schülern „zu nah“ – ein Vorwurf, der laut Berliner Zeitung eine Kaskade von Maßnahmen ins Rollen brachte. Demnach seien Kinder und Eltern befragt worden, sogar eine Strafanzeige sei gegen Inácio-Stech gestellt worden.
Doch nun steht ihre Glaubwürdigkeit auf der Kippe. Laut einer Ex-Kollegin konsumierte sie Kokain, Ecstasy und Alkohol im Schulalltag, schlief im Unterricht und zeigte auffällige Symptome wie Zucken und geweitete Augen. Andere Kolleginnen bestätigten dies und berichteten von Wutausbrüchen, Manipulationen und Verleumdungen durch die Frau, wie aus Erklärungen hervorgeht, die der Berliner Zeitung vorliegen. Eine Mitarbeiterin sagt über die Lehrerin: „Sie ist drogenabhängig und säumt Unterricht und Aufsichten, ist ewig auf der Toilette und kommt berauscht dort wieder heraus.“ Weiter ist von „Ticks“ die Rede, die bei ihr zu beobachten seien: „Weit aufgerissene Augen, Zucken und Grinsen.“ Das Konsumverhalten habe sich auch auf ihr Sozialverhalten ausgewirkt, wie die Zeitung nahelegt: „Die Lehrerin manipuliere Kinder, habe Kolleginnen erniedrigt und angebrüllt und Unwahrheiten über andere verbreitet.“
Dennoch blieb sie im Dienst.
Die Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit.
Dabei sind die Vorwürfe keineswegs neu. Bereits seit fünf Jahren sollen Mitarbeiterinnen vor der Lehrerin gewarnt haben – offenbar ohne Konsequenzen. Selbst nachdem die Schulaufsicht durch das Anwaltsschreiben offiziell informiert wurde, tat man wenig: Statt Ermittlungen einzuleiten, wurden die Hinweisgeber wegen angeblicher Pflichtverletzungen in Sachen Verschwiegenheit gerügt.
Von der Bildungsverwaltung ist bislang wenig Aufklärungswille zu erkennen. Statt konkret Stellung zu den schwerwiegenden Vorwürfen zu beziehen, begnügt man sich mit allgemeinen Hinweisen auf Verfahrensregeln im Fall von Drogenverdacht.
Die zuständige Bildungsverwaltung antwortet auf eine Anfrage der Berliner Zeitung, man werde sich „zu Personaleinzelangelegenheiten aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht äußern“. „Grundsätzlich gelte“, fasst die Zeitung die amtliche Position weiter zusammen: „Besteht bei einer Lehrkraft der Verdacht auf Alkohol- oder Drogenkonsum, sind die zuständigen Stellen verpflichtet, diesem nachzugehen. Sollte sich der Verdacht erhärten, könnten ‚eine ärztliche Begutachtung oder Konsequenzen im Rahmen des Arbeits- bzw. Beamtenverhältnisses‘ erforderlich werden. Der Konsum illegaler Drogen während der Dienstzeit stelle eine schwerwiegende Pflichtverletzung und möglicherweise eine Straftat dar.“
Ob allerdings disziplinarische Schritte eingeleitet wurden oder Vorgesetzte informiert waren – das bleibt weiterhin im Dunkeln. Erst als der Anwalt von Inácio-Stech im Dezember direkt an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, die Lebensgefährtin des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, schrieb, kam neue Bewegung in den Fall – zumindest vordergründig. Die CDU-Politikerin gab zunächst an, das Schreiben erst Monate später, im Mai, zur Kenntnis genommen zu haben. Kurz darauf musste sie einräumen, dass sie es doch bereits im Dezember erhalten hatte – ein Eingeständnis, das ihr im Abgeordnetenhaus erkennbar zusetzte. Über diesen Teil des Scharia-Komplexes berichtete NIUS zuletzt unter dem brisanten Aspekt, dass allein ihr Lebensgefährte, Bürgermeister Kai Wegner, sie als Senatorin abberufen könnte – ein offenkundiger Interessenkonflikt.
Katharina Günther-Wünsch und Kai Wegner (beide CDU).
Inhaltlich nahm die Senatorin bislang nur vage Stellung. Eine Prüfung habe ergeben, dass keine Diskriminierung gegenüber Inácio-Stech vorgelegen habe – und diese Einschätzung stammt ausgerechnet von der Schulaufsicht Mitte, also jener Behörde, die den Fall bislang auffällig nachlässig behandelt hat. „Es gehört zur Ironie dieses Falls, dass die zuständige Stelle ausgerechnet die Schulaufsicht Mitte ist. Eben jener Detlev Thietz“, bilanziert die Berliner Zeitung. Weiter schreibt sie:
„Bei ihm laufen also alle Fäden zusammen. Vieles spricht dafür, dass Detlev Thietz und seine Kollegen von der Schulaufsicht Mitte die vielfältigen Probleme an der Carl-Bolle-Schule nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit verfolgt haben. Weder wurde thematisiert, dass es an der Schule massive Disziplinprobleme mit Schülern gibt, noch, dass ein Lehrer über Jahre hinweg gemobbt wurde. Und wie es nun aussieht, blieben offenbar auch Meldungen von Mitarbeitern, eine Lehrerin unterrichte betrunken und unter dem Einfluss von Drogen, ohne Konsequenz.“
Die Carl-Bolle-Schule gerät zunehmend zum Sinnbild für eine Hauptstadtverwaltung, die bei Fehlentwicklungen lieber beschwichtigt als durchgreift. Was mit homophoben Anfeindungen durch Schüler begann, ist nun ein vielschichtiger Skandal um Drogenmissbrauch, Behördenversagen und politisches Lavieren.
Am 30. Juni soll der Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses erstmals vollständigen Einblick in die Aktenlage erhalten. Nachdem Katharina Günther-Wünsch zwar einen Missbilligungsantrag von Grünen und Linken überstanden hat, beginnt nun dennoch ihre politische Rückendeckung zu erodieren. Wie die Berliner Zeitung hörte, wächst auch beim Koalitionspartner SPD der Unmut – „das Murren hinter den Kulissen“ sei groß.
Die Affäre dürfte die Öffentlichkeit wohl noch eine Weile beschäftigen.
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